LICHTEMPFINDLICHKEIT – Photophobie
Peter Heilig
Eine ungewöhnliche Lichtempfindlichkeit greift um sich: Photophobie, irritierend und ablenkend, ein Sicherheitsrisiko im Straßen verkehr: „A potentially debilitating symptom.“ Helles Licht wirkt zudem als Trigger, etwa für Dysfunktionen neuronaler Netzwerke.
Suchmaschinen bleiben die Antwort schuldig. Sie liefern unter anderem das Photo-Oculodynia-Syndrom* (ICD 11: not found), erinnernd an die Steinlaus Petrophaga Lorioti, und informieren über Regionale Sympatholysis oder Botulinum-Toxin-Behandlungen bis zu „Beta-Blockers, Calcium Channel Blockers, Anticonvulsants, and CGRP Inhibitors“. Immerhin wird auch „avoiding intense light“ erwähnt – ein geradezu prophetischer Schlusssatz, vorausgesetzt, man nähme eine kleine Korrektur vor: „preventing intense light“.
Zu helles bläulich-weißes Licht löst physiologische Schutzvorgänge aus, beispielsweise reflexartige Lidspaltenverengungen und Pupillenkontraktionen sowie Abwendung von überdosiert- blendendem Licht (Light-Aversion), auch bei neugeborenen, noch blinden Mäuschen ohne Zapfenund Stäbchenfunktion. Intrinsisch photosensitive Retinale Ganglienzellen (ipRGC) übernehmen diese Warnung, auch bei blinden Patienten mit intaktem ipRGCSystem. Das evolutionär gewachsene „avoiding intense light“ wird immer mehr unter dem Einfluss kurzwellig dominierter gleißend heller Monitore in Smartphones, Tablets und PCs ignoriert oder vermieden, von Kindesbeinen an.
Konditionierung und epigenetische Prägungen
Schon Kleinkinder werden nicht selten mit bewegten Bildern aus den Smartphones und „kindgerechten“ Tablets ruhiggestellt, auch während der Nahrungsaufnahme. Nicht ganz unerwartet wird die Aufmerksamkeits – defizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) in diesem Zusammenhang zitiert. Die hohe integrale Helligkeit dieser Monitore bewirkt – cave zeitliche Summationen – Konditionierung und epigenetische Prägungen, à la longue. Die retinalen Lichtbelastungen werden während der Adoleszenz nicht weniger, im Gegenteil. Ein „impairment of light sensitivity“ (ICD 11) entwickelt sich unmerklich; Kinder mit ihren kristallkaren Medien und Jugendliche zwingen sich dazu, auf strahlend bläulich helle Bildschirme zu starren, über unbegrenzt lange Zeiträume – bis ins hohe Alter.
Das Volksleiden Trockenes Auge ist mit im Spiel, chronische Kopfschmerzen und in der Folge Dysphorien, komorbid mit stumpfem Hirntrauma. Pathophysiologische Prozesse, ausgelöst durch Melanopsin- ipRGC, erreichen über trigeminothalamische Pfade die posterioren Thalamuskerne. Konzentrische kortikale Depolarisationen können die Ausschüttung von Neuropeptiden bewirken, wie zum Beispiel den Entzündungsmediator Calcitonin Gene-Related Peptid (CGRP) und überschießende vaskuläre Reaktionen in Dura und Meningen.
Helles Licht als Trigger
Trigger ist immer helles Licht. Berichte über blinde Patienten, welche unter dem Einfluss hellen Kunstlichts über Beschwerden klagen, lassen aufhorchen. Intakte ipRGCs sind die Antwort darauf. Sie spielen eine induzierende bis dominierende Rolle. Denn das blaue (nicht das gelbe) Licht kann Entzündungen trigeminaler Ganglien bewirken, wobei immer sekundär sympathische und parasympathische Prozesse als überschießende Reaktionen auf kurzwellig dominiertes Licht mitbeteiligt sind. CGRP aktiviert Proteinkinasen samt Transkriptionsfaktoren, letztendlich Entzündungskaskaden (Interleukine und Cytokine). CGRP-Gabe verursacht Photophobie sowohl im Tierexperiment als auch in humanen klinischen Studien: Photophobie wird häufig von Kopfschmerzen begleitet, gelegentlich von kornealer Symptomatik.
Die CGRP-Spiegel von Patientinnen und Patienten mit Migräne sind signifikant erhöht.
Dysfunktionen neuronaler Netzwerke
Über die zu erwartende Symptomatik des trockenen Auges hin – ausgehende trigeminale Dysfunktion provoziert Schmerzempfindungen. Neuronale und Glia-Depolarisationen (spreading depolarisation) sind das pathophysiologische Substrat der Migräneaura. Das stumpfe Schädel- Hirn-Trauma (SHT, TBI) nach Sport- oder Verkehrsunfällen kann Behinderungen oder weit schlimmere Folgen nach sich ziehen. Posttraumatische Kopfschmerzen (PTH) können immer wieder, über Monate und Jahre, aufflackern. Diffuse axonale Läsionen (DAI), Entzündungen und gestörte Heilungsprozesse bis zum Zusammenbruch der Blut- Hirn-Schranke bewirken chronische trigeminale Hypersensitivität. Das Symptom Photophobie zieht sich wie ein roter Faden durch derartige Dysfunktionen neuronaler Netzwerke. So manche erfolglose therapeutische Bemühung wird durch die all dem zugrunde liegende trigeminothalamische Pathophysiologie verständlich Photophobie** kann durch emotionale Reaktionen zusätzlich verschlimmert werden, auch depressive Verstimmungen gesellen sich möglicherweise zur bereits bestehenden Symptomatik. Seit jeher wird in der Ambulanz für trockene Augen dem emotionalen Faktor Beachtung geschenkt und diverse Dysphorien werden nicht als bedeutungslose oder harmlose Spinnereien abgetan.
Eine erdrückende Beweislage überführt das blaue Licht als Hauptschuldigen im EBM-„Indizienprozess“. Die zwingend logische
Schlussfolgerung lautet: Bläuliches, zu helles Licht, welches keinen wesentlichen Beitrag zum zentralen Sehen liefern kann (Brindley 1954), muss konsequent verhindert werden – vor allem im Straßenverkehr.
Fazit: „Preventing intense light“:
indoors, outdoors, traffic. Monitore:
dunkler Hintergrund/Smartphone, Tablet, PC etc.)
aus cpt 202308 med photophobie
*Photo-Oculodynia Syndrome, ICD 11:
„not found“. Dieses merkwürdige
Konstrukt erinnert an lose Assoziationen
von Chatbots (ChatGPT) oder KI
LaMDA – ohne Bezug zur Realität. Darauf
aufbauende Therapie-Experimente
sind mit falsifizierbarem EBM-Procedere
nicht vereinbar – Eintrag löschen,
Korrektur nicht möglich.
**Photophobie, ICD 11: „Impairment
of light sensitivity“. Achromatopsie,
Aniridie, Adie‘s P., Erosio corneae,
Konjunktivitis, Iritis etc. werden hier
nicht vollständig aufgelistet – dies
lenkte zu sehr vom Thema ab.
Schlüsselwörter:
Photophobie – Blaues Licht – Dysfunktion
– intrinsisch photosensitive
Retinale Ganglienzellen
(ipRGC) – Calcitonin Gene-Related
Peptid (CGRP)
Literatur:
1. Diel RJ et al. (2021) Photophobia:
shared pathophysiology underlying
dry eye disease, migraine and traumatic
brain injury leading to central
neuroplasticity of the trigeminothalamic
pathway. Br J Ophthalmol;
105(6):751–760.
2. Burstein R et al. (2019) The Neurobiology
of photophobia J Neuroophthalmology
38,1, 94–102
3. Fine PG et al. (1995) A controlled
trial of regional sympatholysis in
the treatment of photo-oculodynia
syndrome. J Neuroophthalmol;
15(2):90–4.
4. Belliveau MJ et al. (2012) Relief of
refractory photo-oculodynia with
botulinum toxin. J Neuroophthalmol;
32(3):293.
5. Ghanizadeh A. (2011) Sensory processing
problems in children with
ADHD, a systematic review. Psychiatry
Investig; 8(2):89–94.
6. www.visioncenter.org/conditions/
photophobia/
Interessenkonflikt:
Der Autor erklärt, dass bei der Erstellung
des Beitrags kein Interessen –
konflikt im Sinne der Empfehlung des
International Committee of Medical
Journal Editors bestand.
Korrespondenzadresse:
Univ.-Prof. Dr. med. Peter Heilig
Augenheilkunde und Optometrie
Nussberggasse 11c
A-1190 Wien / Österreich
peter.heilig@univie.ac.at
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