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Aus den medizinhistorischen Beständen der Ub MedUni Wien [2]: Ulrichs, Karl Heinrich: Memnon. Die Geschlechtsnatur des mannliebenden Urnings. Eine naturwissenschaftliche Darstellung. Körperlich-seelischer Hermaphroditismus. Anima muliebris virili corpore inclusa.

Ulrichs, Karl Heinrich: Memnon. Die Geschlechtsnatur des mannliebenden Urnings. Eine naturwissenschaftliche Darstellung. Körperlich-seelischer Hermaphroditismus. Anima muliebris virili corpore inclusa. Als Fortsetzung der Schriften von Numa Numantis: Siebente Schrift. Schleiz: Hübscher 1868.

Zweigbibliothek für Geschichte der Medizin, Signatur: 54.019

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Autor

Karl Heinrich Ulrichs (*1825 Aurich/Deutschland, gest. 1895 L’Aquila/Italien) war ein deutscher Jurist, Journalist und Verleger. Er gilt als Pionier der Sexualwissenschaft und erster Aktivist für die Gleichstellung von Homosexuellen. Er studierte zwischen 1844 und 1848 Theologie, Rechtswissenschaften und Geschichte in Göttingen und Berlin; danach arbeitete er zunächst als Gerichtsassessor. Ab 1864 veröffentlichte er seine erste von insgesamt 12 Schriften Forschungen über das Räthsel der mannmännlichen Liebe. Am deutschen Juristentag 1867 in München forderte er erstmals die Straffreiheit von konsensuellen gleichgeschlechtlichen Handlungen unter Erwachsen, worauf es zu Tumulten und zum Abbruch seiner Rede kam. [vgl. Legalisierung homosexueller Handlungen – DDR: 1968, BRD: 1969, Österreich: 1971]. Durch die zunehmende strafrechtliche Verfolgung Homosexueller, besonders nach der Gründung des Deutschen Kaiserreichs 1871, sah er sich 1880 gezwungen ins Exil nach Italien zu gehen. Karl Heinrich Ulrichs gilt heute vielen als „erster Schwuler der Geschichte“ da er seine Homosexualität als Teil seiner Persönlichkeit begriff, positiv besetzte und zur Emanzipation aufrief.

Werk

Karl Heinrich Ulrichs kreierte für gleichgeschlechtlich agierende Männer den Begriff des „Urnings“ – das stellt auch die erste Selbstdefinition der Geschichte von Homosexuellen dar, davor wurde von „Päderasten“ oder „Sodomiten“ gesprochen. Diesem Begriff wird später der „Homosexuelle“ und schließlich der „Schwule“ folgen. Der Urning wurde nach der Göttin Aphrodite Urania, die der Legende nach aus abgetrennten Körperteilen ihres Vaters Uranus entstand, also eine eingeschlechtliche Liebe repräsentierte, benannt. Ulrichs‘ Systematik sah auch den Begriff „Urninde“ für eine homosexuelle Frau vor. Memnon. […], die siebten seiner 12, zwischen 1864 und 1880 erschienen Schriften, zählt zu den zentralen theoretischen Auseinandersetzungen mit dem Thema Homosexualität. In seiner Theorie „Anima muliebris virili corpore inclusa” postulierte Ulrich die Idee einer weiblichen Seele, die dem Urning innewohnt, und dieser sich dadruch zum gleichen Geschlecht hingezogen fühlt. Ebenso versuchte er eine Kategorisierung und Unterkategorisierung von seiner Meinung nach unterschiedlichen Ausprägungen von Homosexualitäten. Diese Kategorisierungen wurden später von Magnus Hirschfeld (*1868 Kolberg, gest. 1935 Nizza) aufgegriffen und in dessen heute längst überholten Theorie der sexuellen Zwischenstufen erweitert.

Diskurs

Es ist kein Zufall, dass der erste emanzipatorische Beitrag in der Debatte um die Frage der Homosexualität von einem Juristen stammt. Denn erst im Laufe der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts verschiebt sich die Auseinandersetzung von einem erst rein juristischen zu einem immer stärker durch die Medizin geprägten Diskurs. Der Begriff „Homosexualität“ wurde 1868 von Karl Maria Kertbeny [eigentl. Karl Maria Benkert] (*1824 Wien, gest. 1882 Budapest) ebenfalls von einem Nichtmediziner in die Debatte eingeführt. Der Schriftsteller Kertbeny prägte auch 1880 analog zur Homosexualität den Begriff „Heterosexualität“. Doch auch Mediziner waren schon in den 1860er Jahren Teil des Diskurses: wie der damals noch in Würzburg (Professur an der Medizinischen Fakultät der Universität Wien ab 1872) lehrende Pathologe Heinrich von Bamberger (*1822 Zwonarka bei Prag, gest. 1888 Wien), dessen Briefwechsel mit Ulrichs in seiner Schrift Memnon auch zitiert wird: „[…]Ich gestehe, daß die geistreiche Art, wie Sie das Thema behandelt haben, sehr geeignet ist, das wissenschaftliche Interesse dafür rege zu machen. […]“[1] Erst mit den Pionieren der Sexualwissenschaft Richard von Krafft-Ebing (*1840 Mannheim, gest. 1902 Graz) und Magnus Hirschfeld im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts wird die Forschung und Debatte zur Homosexualität klar von der Medizin dominiert.

Text: Harald Albrecht

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Abb.          Sign. 54.014, Zweigbibliothek für Geschichte der Medizin

Ulrichs, Karl Heinrich: Memnon. Die Geschlechtsnatur des mannliebenden Urnings. Eine naturwissenschaftliche Darstellung. Körperlich-seelischer Hermaphroditismus. Anima muliebris virili corpore inclusa. Als Fortsetzung der Schriften von Numa Numantis: Siebente Schrift. Schleiz: Hübscher 1868.

[1] Ulrichs, Karl Heinrich Ulrichs: Memnon. […] Schleiz: Hübscher 1868. S. X.

Normdaten (Person) Ulrichs, Karl Heinrich: BBL: 26502; GND: 11888980X

 Ulrichs, Karl Heinrich in: Wikipedia – Die Freie Enzyklopädie: URL: https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Karl_Heinrich_Ulrichs (Stand: 16.02.2022)

Bio-bibliografisches Lexikon (BBL)/Liste aller Beiträge der VS-Blog-Serie: Aus den medizinhistorischen Beständen der Ub MedUni Wien

Bitte zitieren als VAN SWIETEN BLOG der Universitätsbibliothek der MedUni Wien, BBL: 26502 (20.10.2016); Letzte Aktualisierung: 2022 02 16
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Aus den medizinhistorischen Beständen der Ub MedUni Wien [1]: Die private Ärztebibliothek der Familie Lederer

Die private Ärztebibliothek der Familie Lederer

Text: Dr. Walter Mentzel

Die Zweigbibliothek für Geschichte der Medizin der Universitätsbibliothek der Medizinischen Universität Wien besitzt eine mehrere hundert Bücher umfassende Bibliothek aus der Provenienz der Wiener Ärztefamilie Lederer. Diese medizinische Bibliothek wurde vom Kinder- und Frauenarzt Thomas Lederer jun. (1791-1874) Anfang des 19. Jahrhunderts aufgebaut und von seinem Sohn, dem Homöopathen, Magister der Geburtenhilfe und praktischen Arzt Camill (Kamillo) Lederer (1830-1912) übernommen und bis zu seinem Tode im Jahr 1912 erweitert. Die ältesten Werke stammen aus der Mitte des 18. Jahrhunderts. Die Bibliothek stellt eine der größten und ältesten zusammenhängenden privaten Wiener Ärztebibliotheken dar.

Die Bücher wurden von Camill Lederer einheitlich gebunden und enthalten in den meisten Fällen den Exlibris-Stempel: „Camill Lederer Marxergasse 15“, wo Lederer in Wien 3 bis 1889 wohnhaft war. Andere Exemplare besitzen den Stempel mit seiner letzten Wohnadresse: „Wien III, Ungargasse 58“. Die Bibliothek kam durch die Verlassenschaftsabhandlung nach Camill Lederer beim Landesgericht Landstraße in Wien an die Erben aus der Familie Lederer und in den 1960er Jahren durch eine Schenkung der Familie Maresch-Heissenberger an die Zweigbibliothek für Geschichte der Medizin.

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Abbildung: Stempel Camill Lederer

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Bio-bibliografisches Lexikon/Liste aller Beiträge der VS-Blog-Serie: Aus den medizinhistorischen Beständen der Ub MedUni Wien

Bitte zitieren als VAN SWIETEN BLOG der Universitätsbibliothek der MedUni Wien, BBL: 38481 (13.10.2016); Letzte Aktualisierung: 2022 01 26
Online unter der URL: https://ub-blog.meduniwien.ac.at/blog/?p=26481

Van Swieten Blog als Quelle für neue Publikation über „Die Neurologie in Wien von 1870 bis 2010“

Gestern wurde im Van Swieten Blog die neue Publikation Die Neurologie in Wien von 1870 bis 2010. Von Gernot Schnaberth und Ruth Koblizek vorgestellt.

Chronologische Darstellungen Neurologischer Institute und ihres wissenschaftlichen und medizinischen Wirkens sowie Kurzbiographien herausragender Proponenten zeichnen im vorliegenden Buch anschaulich die Entwicklungslinien der Wiener Neurologischen Schulen nach.
Ein besonderes Anliegen des Buches ist es darüber hinaus, die auf Grund der beiden Weltkriege und politischer Umbrüche in Vergessenheit geratenen Nervenärzte und die Bedeutung aufgelassener neurologischer Institutionen in Erinnerung zu bringen.

Siehe Website von: MEMO Verein für Geschichtsforschung

Van Swieten Blog als Quelle für neue Publikation über „Die Neurologie in Wien von 1870 bis 2010“ weiterlesen

Icones Plantarum Medicinalium des Joseph Jacob Plenck (11): Vanille – Epidendum vanilla L.

vanillebVanille – Epidendum vanilla L. (Die Vanille) Plenck Bd. 7, Tab. 646

Vanille ist ein Orchideengewächs und liefert aromatische Kapseln, die gemeinhin als Vanilleschoten bezeichnet werden. In fermentierter Form kommen sie in den Handel. Die Gewürzvanille stammt ursprünglich aus Mittelamerika, wird heute aber überwiegend auf Madagaskar und anderen Inseln des Indischen Ozeans angebaut. Früher wurde Madagaskar „Île Bourbon“ genannt, wodurch sich der heute gebräuchliche Name Bourbonvanille erklären lässt. Bereits bei den Azteken und Inkas wurde Vanille zur Aromatisierung von Kakao und Schokolade verwendet. In Europa wurden die Zubereitungsformen sehr schnell erweitert. Schon Elisabeth I. von England soll mit Vanille gewürzte Süßspeisen geliebt haben und seither wurden wohl unzählige Nachspeisen mit dem begehrten Aroma erfunden.

Der Vanille werden verschiedene medizinische Wirkungen nachgesagt. Sie soll beruhigend auf die Nerven wirken und Abgeschlagenheit bekämpfen. Der spanische Arzt und Naturkundler Francisco Hernandez de Toledo berichtete im 16. Jahrhundert, die Indianer verwendeten sie gezielt als Stärkung für ihre Gehirne. Auch allgemein kräftigende Wirkungen werden der Vanille nachgesagt. Insbesondere soll sie auch aphrodisisch wirken. Plenck führt diese Verwendung aber bereits als veraltet an: ARZNEYKRFT zur Liebe reitzend, die Nerven stärkend. Gemeiniglich wird sie ihrer Annehmlichkeit wegen zur Chocolate genommen. GEBRAUCH, sehr selten als Arzney. Nützlich war sie in der Anaphrodisie, bey Melancholie, Manie, Magenschmerzen.
Erst viel später wurde entdeckt, dass ihr Hauptinhaltsstoff Vanillin mit den menschlichen Pheromonen chemisch verwandt ist.
Vanillin ist heute chemisch einfach herzustellen und als künstlicher Aromastoff in Nahrungsmitteln kaum mehr wegzudenken. Auch energiereiche Zusatznahrungen, die eine Krebstherapie oft ergänzen, werden daher oft und gerne mit Vanillegeschmack angeboten.

Vanille Plenck Bd. 7, Tab. 646, Margrit Hartl
Die Vanille, Plenck Bd. 7, Tab. 646

Weitere Beiträge von Mag. Gilbert Zinsler:

Icones Plantarum Medicinalium des Joseph Jacob Plenck (10): Broccoli – Brassica oleracea italica L. (Der Brocculi) Plenck Bd. 6, Tab.534

Icones Plantarum Medicinalium des Joseph Jacob Plenck (09): Zitrone – Citrus medica L. (Die gemeine Citrone) Icones Plantarum Medicinalium des Joseph Jacob Plenck (11): Vanille – Epidendum vanilla L. weiterlesen

Icones Plantarum Medicinalium des Joseph Jacob Plenck (04): Veilchen – Viola odorata L. (Das wohlriechende Veilchen)

Veilchen – Viola odorata L. (Das wohlriechende Veilchen)
Plenck Bd. 7, Tab. 640

Für das Veilchen ist charakteristisch sein im Boden kriechender und sich ausbreitender Wurzelstock, aus dem sich die Blühtriebe und Ausläufer entwickeln mit herzförmig gestielten Blätter. Die Blüten sind tiefviolett, seltener weiß oder rötlich gefärbt sind und duften angenehm. Auch Plenck betont diesen Duft, allerdings unterstreicht er auch seine Schattenseiten: GERUCH. Der frischen Blumen sehr angenehm, specifisch. Allein die Ausduftungen der Blumen in einem verschlossenen Zimmer nehmen den Kopf ein, und betäuben, so wie andere stark riechende Pflanzen.

Lange Zeit waren die Veilchenblüten als Flores Violarum, das Kraut als Herba Violariae „offizinell“, d. h. als Medikament im Arzneibuch beschrieben und in Apotheken vorrätig, dass aber Veilchentee und Veilchensirup ein vorzügliches Hustenmittel sogar bei Keuchhusten sind, ist weitgehend in Vergessenheit geraten.

Wie in vielen Kräuterbüchern berichtet wird, werden Blüten und Blätter schon seit langem innerlich und äusserlich bei Geschwüren, Furunkeln, Abszessen, Pickeln, geschwollenen Drüsen, Leber- und Nierenleiden und Gallensteinen verwendet. Bei Hildegard von Bingen ist es ein zentrales Mittel gegen Krebserkrankungen. Da beide Teile erweichend wirken, nimmt man sie auch zur Herstellung von Hautlotionen und Salben. Innerlich als Tee sollte das Veilchen sehr beruhigend und lindernd bei Kopfschmerzen wirken. Gewisse Autoren behaupten sogar, dass die Pflanze bei nervlichen Störungen und zur Verbesserung des Gedächtnisses geeignet sei.

Plenck wiederum streicht die Vorteile des aus den frischen Veilchen hergestellten Sirups heraus: ARNZNEYKRAFT des Veilchen-Syrups, welcher allein zum medizinischen Gebrauche dient, sanft Schmerz stillend .[…] Der Syrup stillet den Husten, lindert bey Kindern den von Mundschwämmchen verursachten Schmerz, bey kleineren Kindern ist er ein sanftes Beförderungsmittel des Schlafes.

Veilchen Icones Plantarum Medicinalium des Joseph Jacob Plenck (04): Veilchen – Viola odorata L. (Das wohlriechende Veilchen) weiterlesen