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Aus den medizinhistorischen Beständen der Ub MedUni Wien [202]: Hammerschlag, Victor – HNO-Arzt, Leiter der Ohrenambulanz im Wilhelminenspital, Friedens- und Menschenrechtsaktivist, NS-Verfolgter

Hammerschlag, Victor– HNO-Arzt, Leiter der Ohrenambulanz im Wilhelminenspital, Friedens- und Menschenrechtsaktivist, NS-Verfolgter

Text: Walter Mentzel

Victor Hammerschlag wurde am 17. Juni 1870 in Lipnik bei Olmütz als Sohn des aus Reichenau in Böhmen stammenden Mediziners Hermann Hammerschlag (1833-1899) und Johanna Pollak (1845-1899) geboren. Seit 1899 war er mit Hedwig Bunzl (*16.9.1874 Wien) verheiratet, mit der er die beiden Söhne, den Schriftsteller und Kabarettisten Peter Hammerschlag, und Valentin Hammerschlag hatte.

Nachdem er 1888 das Gymnasium in Brünn absolviert hatte, studierte Hammerschlag an der Universität Wien Medizin und promovierte am 23. Februar 1895. Danach arbeitete er bis 1897 als Aspirant und danach bis 1901 als Assistent an der Ohrklinik des Allgemeinen Krankenhauses in Wien bei Professor Adam Politzer (1835-1920).[1] Hier entstand 1896 seine Arbeit „Ueber Athem- und Pulsationsbewegungen am Trommelfelle“, die er zuvor auf dem 1. Österreichischen Otologentag in Wien im Juli 1896 vorgestellt hatte. Im Oktober 1900 erhielt er nach einem Beschluss des Professorenkollegiums vom Minister für Cultus und Unterricht die Zulassung und Habilitation zum Privatdozenten für Ohrenheilkunde an der Medizinischen Fakultät der Universität Wien.[2] Im April 1912 erfolgte seine Ernennung zum a.o. Professor an der Universität Wien.[3] Hammerschlag baute die Ohrenambulanz im Wilhelminenspital auf und leitete sie bis zu seiner Pensionierung im Jahr 1936 als Abteilungsvorstand. Daneben führte er von 1906 bis 1938 seine Facharztpraxis an seinem Wohnort Wien 9, Alserstraße 26, wo 1938 sich auch der Sitz des „Akademischen Vereins jüdischer Mediziner“ befand und die Medizinerin Gabriele Possanner (1860-1940) wohnhaft war.

Hammerschlag war seit spätestens 1903 Mitglied der Vereinsleitung des Ärztevereines des 9. Bezirkes in Wien,[4] sowie der Gesellschaft der Ärzte, der Deutschen otologischen Gesellschaft und der Österreichischen otologischen Gesellschaft. Über viele Jahre wirkte er in der Monatsschrift für Ohrenheilkunde und Laryngo-Rhinologie als Autor und im Herausgeberkomitee mit.

Zahlreiche seiner Arbeiten befinden sich heute in der Separata-Bibliothek an der Zweigbibliothek für Geschichte der Medizin, wie u.a. die 1904 publizierten Aufsätze „Über die Simulation von Ohrerkrankungen mit besonderer Berücksichtigung der Unfallerkrankung des Ohres“ und „Zur Diagnose der funktionellen Erkrankungen des schallperzipierenden Apparates“, der 1906 erschienene Artikel „Beitrag zur Frage der Vererbbarkeit der ‚Otosklerose‘“ oder die 1917 gemeinsam mit Conrad Stein (1870-1940) publizierte Arbeit „Die chronische progressive labyrinthäre Schwerhörigkeit (Manasse). Ein kritischer Beitrag zur Wertung der konstitutionellen Disposition“.

Aus seinen zahlreichen Arbeiten sind noch vor allem seine Monografie „Therapie der Ohrenkrankheiten“ aus dem Jahr 1903 zu nennen, die 1906 unter dem Titel „Thérapeutique des maladies de l’oreille“ in französischer Sprache erschien, sowie seine beiden in der Zeitschrift für Ohrenheilkunde publizierten Arbeiten aus dem Jahr 1907 „Zur Kenntnis der hereditär-degenerativen Taubstummheit. V. Über pathologische Augenbefunde bei Taubstummen und ihre differential-diagnostische Bedeutung“ bzw. aus dem Jahr 1909 „Zur Kenntnis der hereditär-degenerativen Taubstummheit. VII. Über die Vergesellschaftung der hereditären Taubheit mit anderen hereditären, pathologischen Zuständen“.

Hammerschlag war Mitbegründer einer Reihe von zivilgesellschaftlichen Organisationen in denen er sich über viele Jahre engagierte. Bereits vor dem Ersten Weltkrieg wandte er sich auch der Österreichischen Sozialdemokratie zu, in deren Organisationen er Funktionen ausübte.

Zunächst war er in seinem ersten Studienjahr in Wien im Jahr 1888 an der Universität einer von fünf Mitbegründern der deutsch-freisinnigen-akademischen Verbindung „Wiener Akademisches Corps Marchia“.[5] Als Vorstandsmitglied des Verbandes der Ärzte Wiens 1903 trat er in einer von ihm mitunterzeichneten öffentlichen Stellungnahme gegen die Gründung des antisemitischen und deutschnationalen „Vereins deutscher Ärzte in Österreich“ auf.[6] Seit spätestens 1906 engagierte er sich im Verein „Freie Schule“,[7] u.a. zum Thema Schulärzte,[8] und trat vehement gegen den Einfluss der Klerikalen in das Schulwesen auf,[9] wozu er auch an öffentlichen Aktionen teilnahm.[10] Seine Ansichten zu den Schulärzten formulierte er im Artikel „Der Schularzt“ in der Rubrik „Die pädagogische Zeit“ in der Zeitung „Die Zeit“ im Jahr 1908.[11] Hammerschlag trat regelmäßig als Referent im Wiener Volksbildungsverein auf, wo er u.a. im Technischen Gewerbemuseum in Wien zu Fragen von Gehörschäden[12], oder zur Taubstummheit referierte.[13] Ebenso nahm er als Referent zum Thema „Die Rückständigkeit der Volkshygiene in Österreich“ an der Protestversammlung gegen die Gegner des Baues eines Kinderheimes teil.[14] 1907 gehörte er jenen 300 Professoren der Universität Wien an, die sich mit einem öffentlichen Protest gegen die vom Wiener Bürgermeister Karl Lueger am Katholikentag in Wien getätigten wissenschafts- und universitätsfeindlichen Äußerungen wandten.[15] Dieser Protest wurde von Hammerschlag und der Verein Freie Schule mit einer Demonstrationsversammlung gegen den Katholikentag fortgeführt.[16] Seit 1913 gehörte er als Mitglied der Freimaurer-Loge Zukunft der Großloge Wien aus, aus der er wegen seiner Stellung als Universitätsprofessor unter dem austrofaschistischem Regime im Jahr 1934 austreten musste, jedoch nach seiner Pensionierung 1936 wieder eintrat.

Während des Ersten Weltkrieges wurde er 1915 zum Obmann des Vereins der Kassenärzte Wiens“ gewählt,[17] weiters engagierte er sich in dem im Juli 1915 von Adam Politzer u.a. gegründeten Verein Vox – Schutzverband der Schwerhörigen Österreich-Ungarns, der sich den durch Kriegseinwirkungen Gehörgeschädigten annahm,[18] und zuletzt war er als Militärarzt im Kriegsspital in Wien 19 in Grinzing tätig.[19]

Österreichische Liga für Menschenrechte

Hammerschlag war Mitbegründer der 1926 gegründeten Österreichischen Liga für Menschenrechte, die als Teilorganisation der 1922 gegründeten Internationalen Liga für Menschenrechte angehörte,[20] und in der Arbeitsgemeinschaft der Friedensvereine aktiv. 1933 gehörte er zu den Unterzeichnern des Friedensaufrufes anlässlich der Invasion Japans in die Mandschurei.[21]

Präsident des Vereins „Bereitschaft – Verein für soziale Arbeit (ab 1918 Verein für freiwillige Fürsorge)“

Hammerschlag war 1913 neben dem Schriftsteller und Journalisten Carl Colbert (1855-1929), dem Kinderarzt und Mitarbeiter von Max Kassowitz (1842-1913) am Ersten öffentlichen Kinder-Kranken-Institut und Karl Josef Friedjung (1871-1946), Mitbegründer des Vereins Bereitschaft. Der Verein zählte zu jenen zivilgesellschaftlichen Initiativen, die aus wissenschaftlichen Erkenntnissen heraus eine professionelle und strukturierte Wohltätigkeits- und Sozialarbeit sowie den Aufbau sozialer Fürsorgeinstitutionen herzustellen versuchten. Dazu gehörte auch der Ausbau von Ausbildungsstätten in Form einer Sozialakademie mit eigenem Lehrplan, womit die künftige Sozialarbeit als Berufsform auf wissenschaftlicher Grundlage neue organisiert werden sollte. Der Verein förderte die Erwachsenenbildung, und versuchte durch Versammlungen und eigene Publikationen, die im Verlag der Brüder Wilhelm und Phillip Suschitzky (Verlag-Anzengruber) herausgegeben wurden, eine breite Öffentlichkeit zu gewinnen. Dem Verein gelang es Kinderheime und Pflegschaftsgruppen für Jugendliche zu organisieren. Hammerschlag referierte bis in die 1920er Jahre hinein regelmäßig auf Veranstaltungen des Vereines, wie u.a. im Rahmen der Ortsgruppe Leopoldstadt im April 1918 gemeinsam mit dem Juristen, Sozialpolitiker und liberalen Reichsratsabgeordneten Julius Ofner (1845-1924) über die Ziele des Vereins und der sozialen Fürsorge,[22] oder im Oktober 1918 zum Thema „Wie werden wir nach dem Krieg leben können?“.[23]

Nach dem Krieg trat Hammerschlag der 1919 gegründeten „Sozialistischen Vereinigung geistiger Arbeiter“[24] und 1922 der „Vereinigung sozialdemokratischer Ärzte Wiens“ bei. Im Frühjahr 1919 kandidierte er für die Sozialdemokratische Arbeiterpartei Österreichs bei den Gemeinderatswahlen in Wien Josefstadt.

Nach dem „Anschluss“ im März 1938 wurde Victor Hammerschlag wegen seiner jüdischen Herkunft von den Nationalsozialisten verfolgt. Seine Venia legendi wurde widerrufen und am 22. April 1938 erfolgte seine Amtsenthebung und seine Vertreibung von der Universität Wien. Nachdem die Familie Hammerschlag aus ihrer Wohnung vertrieben worden war, lebten Victor, Hedwig und sein Sohn Paul Hammerschlag bis zu ihrer Deportation in einer Sammelwohnung in Wien 1, Salzgries 16. Victor und Hedwig Hammerschlag wurden am 20. Juni 1942 in das Ghetto Theresienstadt deportiert und ermordet (Victor am 14. Mai 1943, Hedwig am 16.7.1942). Sein Sohn Peter, dem Verfasser von Prosa- und Lyriktexten für Wiener und Berliner Kabaretts sowie für die Zeitung Prager Tagblatt, wurde am 17.7.1942 in das KZ Auschwitz deportiert und ermordet. Seinem zweiten Sohn, dem Chemieingenieur Valentin, gelang 1938 die Flucht nach Buenos Aires, von wo er 1966 nach Österreich zurückkehrte und im Oktober 1975 in Wien verstarb.

Quellen:

Matriken der IKG Wien, Trauungsbuch 1899, Hammerschlag Victor, Bunzl Hedwig.

UAW, Med. Fakultät, Nationalien/Studienkataloge, Sign. Zl. 134-0380, Hammerschlag Victor (Nationalien Datum 1890/91).

UAW, Rektorat, Med. Fakultät, Rigorosen- und Promotionsprotokolle, Sign. Zl. 188-104, Hammerschlag Victor (Promotionsdatum 23.2.1895).

UAW, Rektoratsarchiv, Akademischer Senat, Akten-Sonderreihe, Personalblätter, Senat S 304.430 Hammerschlag, Victor (17.06.1870-1943; Ohrenheilkunde).

ÖStA, AdR, E-uReang, VVSt, VA, Zl. 8.907, Hammerschlag Victor.

Opfer-Datenbank des Ghetto Theresienstadt: https://www.holocaust.cz/de/opferdatenbank/opfer/61706-viktor-hammerschlag/ (Hammerschlag Victor)

Literatur:

Hammerschlag, Victor: Über die Simulation von Ohrenerkrankungen mit besonderer Berücksichtigung der Unfallerkrankung des Ohres. Sonderdruck aus: Wiener medizinische Wochenschrift. Wien: Verlag von Moritz Perles k.u.k. Hofbuchhandlung 1904.

[Zweigbibliothek für Geschichte der Medizin/Separata Bibliothek]

Hammerschlag, Victor: Zur Diagnose der funktionellen Erkrankungen des schallperzipierenden Apparates. Separat-Abdruck: Allgemeine Wiener medizinische Zeitung. Wien: Verlag der „Allgemeinen Wiener medizinische Zeitung“ 1904.

[Zweigbibliothek für Geschichte der Medizin/Separata Bibliothek]

Hammerschlag, Victor: Beitrag zur Frage der Vererbbarkeit der „Otosklerose“. Sonderabdruck aus: Monatsschrift für Ohrenheilkunde. Berlin: Coblentz 1906.

[Zweigbibliothek für Geschichte der Medizin/Separata Bibliothek]

Hammerschlag, Victor: Die chronische progressive labyrinthäre Schwerhörigkeit (Manasse). Ein kritischer Beitrag zur Wertung der konstitutionellen Disposition. Sonderdruck aus: Wiener medizinische Wochenschrift. Wien: Perles 1917.

[Zweigbibliothek für Geschichte der Medizin/Separata Bibliothek]

Hammerschlag, Victor: Zur Kenntnis der hereditär-degenerativen Taubstummheit. V. Über pathologische Augenbefunde bei Taubstummen und ihre differential-diagnostische Bedeutung. (Mit 5 Abbildungen im Text und Tafel I/II). Sonderdruck aus: Zeitschrift für Ohrenheilkunde. Wiesbaden: Verlag von J.F. Bergmann 1907.

[Zweigbibliothek für Geschichte der Medizin/Separata Bibliothek]

Hammerschlag, Victor: Zur Kenntnis der hereditär-degenerativen Taubstummheit. VII. Über die Vergesellschaftung der hereditären Taubheit mit anderen hereditären, pathologischen Zuständen. [Mit 2 Figuren und Tafel X]. Sonderdruck aus: Zeitschrift für Ohrenheilkunde. Wiesbaden: Verlag J.F. Bergmann 1909.

[Zweigbibliothek für Geschichte der Medizin/Separata Bibliothek]

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[1] Allgemeine Wiener medizinische Zeitung, 27.7.1897, S. 9.

[2] Wiener klinische Wochenschrift, Nr. 48, 1900, S. 1001; Prager Tagblatt, 23.10.1900, S. 30.

[3] Neues Wiener Tagblatt (Tages-Ausgabe), 6.4.1912, S. 2; Allgemeine Wiener medizinische Zeitung, 9.4.1912, S. 170.

[4] Die Zeit, 17.2.1903, S. 16

[5] Die Zeit, 15.11.1908, S. 8.

[6] Wiener medizinische Wochenschrift, Nr. 22, 1903, Sp. 1073-1074.

[7] Neue Freie Presse, 23.12.1906, S. 12.

[8] Die Zeit, 15.3.1908, S. 9.

[9] Floridsdorfer Zeitung, 24.4.1909, S. 1.

[10] Die Zeit, 5.10.1912, S. 6.

[11] Die Zeit, 25.3.1908, S. 18.

[12] Illustriertes Wiener Extrablatt, 5.1.1902, S. 28.

[13] Neue Freie Presse, 19.1.1908, S. 14.

[14] Der Morgen. Wiener Montagblatt, 14.4.1913, S. 4; Die Zeit, 17.4.1913, S. 5.

[15] Neue Freie Presse, 26.11.1907, S. 2.

[16] Neues Wiener Tagblatt (Tages-Ausgabe), 30.11.1907, S. 6.

[17] Wiener medizinische Wochenschrift, Nr. 29, 1915, Sp. 1120.

[18] Neues Wiener Tagblatt (Tages-Ausgabe), 31.7.1915, S. 16.

[19] Wiener medizinische Wochenschrift, Nr. 36, 1918, Sp. 1587.

[20] Österreichische Anwalts-Zeitung, Nr. 10, 1926, S. 158.

[21] Neues Wiener Tagblatt (Tages-Ausgabe), 5.4.1933, S. 1.

[22] Neue Freie Presse, 8.4.1918, S. 7.

[23] Die Zeit, 26.10.1918, S. 6.

[24] Der Morgen. Wiener Montagblatt, 6.1.1919, S. 3.

Normdaten (Person) Hammerschlag, Victor: BBL: 40400; GND: 126365083;

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