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Aus den medizinhistorischen Beständen der Ub MedUni Wien [226]: Adolf Gruss – Vizepräsident der Ärztekammer Wien, Journalist und Verleger, Obmann des Vereins deutscher Ärzte Österreichs

Adolf Gruss – Vizepräsident der Ärztekammer Wien, Journalist und Verleger, Obmann des Vereins deutscher Ärzte Österreichs

Autor: Walter Mentzel

Affiliation: Medizinische Universität Wien, Universitätsbibliothek, Währinger Gürtel 18-20, 1090 Wien, Österreich

Published online: 19.07.2023

Keywords: Gruss Adolf, Ärztekammer Wien, Arzt, Verein deutscher Ärzte Österreichs, Journalist, Verleger, Ärztliche Reform-Zeitung, Wien, Medizingeschichte

Adolf Gruss wurde am 9. März 1854 als Sohn des akademischen Malers Johann Gruss (1820-1901) und Anna Bruder in Leitmeritz in Böhmen (heute: Litoměřice/Tschechien) geboren. 1883 heiratete er Klara Büchner. Nachdem er zunächst ein Doktoratsstudium in Philosophie absolviert hatte, begann er an der Universität Wien mit dem Studium der Medizin, das er am 18. Mai 1888 mit der Promotion abschloss. Nach seiner Promotion führte er eine private Ordination in Wien Wieden und war ab 1889 als Krankenkassenarzt des Gremiums der Wiener Kaufmannschaft tätig.[1] 1896 erfolgte seine Bestellung zum städtischen Arzt in Wien.[2]

Gruss war seit den 1880er Jahren in der Deutschnationalen Partei (Georg Ritter von Schönerer-Richtung) und deren Vorfeldorganisationen und später in der 1903 gegründeten deutsch-radikalen Partei um den Politiker und Herausgeber der Ostdeutschen Rundschau, Karl-Hermann Wolf (1862-1941), aktiv. Im Wiener Gemeindebezirk Wieden stand er als Obmann dem „Deutschen Volksverein“ der deutschnationalen Partei vor,[3] 1889 wurde er zum Obmann des Deutschen Gesangsvereins in Wien gewählt,[4] und 1890 gehörte er wie auch Karl-Hermann Wolf den Leitungsorganen des Vereins „Deutsche Geschichte“[5] an, sowie der im selben Jahr gegründeten Mittelstandsorganisation „Selbsthilfe-Genossenschaft Ostmark“, die bereits einen „Arierparagraphen“ statuarisch aufwies.[6] 1891 kandidierte er für die Deutschnationale Partei im 4. Wiener Gemeindebezirk zum 2. Wahlkörper für den Wiener Gemeinderat auf der mit der Christlichsozialen Partei gemeinsamen Liste der „Antiliberalen Wahlgemeinschaft“.[7]

Journalist, Redakteur, Verleger der Ärztlichen Reform-Zeitung

In diesem Umfeld betätigte sich Gruss schriftstellerisch als auch journalistisch, beispielsweise als Autor im „Deutschnationalen Kalender“, aber auch im Jänner 1899 im von ihm gegründeten und den Interessen der „deutschen Ärzten“ sich verpflichteten „Ärztlichen Reform-Zeitung“, dem Organ des Wiener Ärzte-Vereins und zunächst des Vereins der Ärzte Oberösterreichs, des Pinzgaus, dem Pongau und jener in Schlesien,[8] bei der er als Herausgeber und Schriftleiter fungierte.[9] Hier publizierte er u.a. 1899 „Naturärzte“ und „Die Vergewaltigung der Ärzte durch die Juristen“, 1900 „Berufszwang und Curpfuscherei“ und 1908 „Ein Sanitätsministerium oder eine Zentralstelle für das gesamte Sanitätswesen in Österreich“. 1897 erschien von ihm die Monografie „Über den Ärztestand“ und 1911 „Ärztliche Streiflichter und die Eigenart des ärztlichen Berufes“.

Gründer und Funktionär ärztlicher Standesorganisationen

Neben seinem Engagement in deutschnationalen Organisationen trat Gruss seit den 1890er Jahren als Gründer und Funktionär ärztlicher Standes- und Interessensorganisationen auf, wobei er diese als Instrumentarium für seine politischen Ambitionen zu nutzen verstand. Zunächst war er 1897 Mitbegründer des deutschnational ausgerichteten Wiener Ärztevereines und bis zu seinem Rücktritt 1905 dessen Obmann.[10] Ab 1900 gehörte er dem Präsidium des im Februar 1900 gegründeten „Verband der Ärzte Wiens“ (Präsident Josef Heim) an, wo er auch die Funktion des Vizepräsidenten als Obmann des Wiener Ärztevereins einnahm.[11] In dem im Jahr 1906 gegründeten Reichsverband österreichischer Ärzte erhielt er die Funktion eines Vizepräsidenten, ab 1908 stand er dem Verband als dessen Präsident vor.[12]

Verein deutscher Ärzte:

Im November 1902 kam es zur Konstituierung eines Komitees zur Vorbereitung eines für April 1903 vorzubereitenden Sozialärztlichen Reichskongresses in Wien, das sich zum Ziel setzte einen überregionalen Ärzteverein vorzubereiten, in dem der Wiener Ärztekammerpräsident Ernst Finger (1856-1939) und sein Vize Adolf Gruss mitwirkten.[13] Dieses Vorhaben scheiterte an der von Gruss antisemitisch und antitschechisch motivierten Vorgehensweise.[14] Stattdessen kam es am 31. Mai 1903 in Wien unter dem Vorsitz von Adolf Gruss (1857-1921), Alfred Schmarda (1861-1921) und des Zahnarztes und Mitbegründers der radikal-deutschnationalem Zeitung „Ostdeutschen Rundschau“, Vinzenz Wießner-Freiwaldau, zur Gründung einer überregionalen Organisation für deutschnationale und antisemitische Ärzte: dem Verein deutscher Ärzte, dem auch Ernst Finger angehörte. Auch hier übernahm Adolf Gruss die Obmann-Funktion. Der Verein, der unmittelbar nach seiner Gründung ein Adressbuch „deutsch-arischer“ Ärzte herausgab, konstituierte noch 1903 einen „arischen“ Ausschuss, der in einem Auswahlverfahren die aus dem Kreis der Vereinsmitglieder legitimierte Gruppe um Adolf Gruss, Heinrich Adler (1849-1909), Josef Hein, Karl Jarisch (1839-1915), Josef Scholz (1835-1916), Max Stransky, Wilhelm Svetlich (1849-1914), Alexander Uhlik und Hans Ritter von Woerz, bei der kommenden Wahl zur Ärztekammer in Wien antreten ließ.[15]

Gruss selbst verweigerte als praktizierender Arzt in seiner Ordination die Behandlung jüdischer Patient:innen.[16]

Ärztekammer Wien:

Neben seiner Funktion in der 1906 gegründeten „Wirtschaftlichen Organisation der Ärzte Wiens“, gehörte er seit 1900 als Vorstandsmitglied der Ärztekammer Wien an,[17] ab 1908 nahm er die Funktion des Vizepräsidenten der Wiener Ärztekammer ein, die er bis zu seinem krankheitsbedingten Ausscheiden im Jahr 1920 behielt[18] und provisorisch bis zu seinem Tod 1921 weiterführte.[19] In diesen Funktionen gehörte er auch ab 1900 als Delegierter der Ärztekammer Wien dem niederösterreichischen Landes-Sanitätsrat an.[20]

1919 erfolgt nach seinem Ansuchen krankheitsbedingt seine Pensionierung als städtischer Oberarzt.[21] Im April 1920 erhielt er den Titel des Obermedizinalrates verliehen.[22]

In seinen Funktionen in den ärztlichen Standesvertretungen nahm er auf verschiedenen Ebenen an der Entwicklung des österreichischen Sanitätswesens teil. Bereits 1895 trat er als Obmann des Wiener Ärztevereines in einer Petition an das Abgeordnetenhaus gegen die geplante Abstrafung im Falle einer unterlassenen ärztlichen Anzeigepflicht auf.[23] Als Funktionär der Ärztekammer war er in den parlamentarischen Verhandlungen und in den Ausschüssen des Abgeordnetenhaus des österreichischen Reichsrates beispielsweise zur Gesetzgebung der Sozialversicherung involviert. 1904 publizierte er zur „Die Anzeigepflicht des Arztes nach § 359 des österr. Strafgesetzes“, 1910 erschien von ihm im Selbstverlag die Arbeit „Der Vorentwurf zu einem österr. Strafgesetzbuche, soweit er ärztliche Interessen berührt“, die 1912 im Verlag der österreichischen Ärztekammer ein weiteres Mal veröffentlicht wurde. 1913 erschien von ihm „Die allgemeinen Fahrlässigkeitsparagraphen (§311 und §312) des Entwurfes eines österreichischen Strafgesetzbuches im Lichte der Eigenart des ärztlichen Berufes“.

Gruss verstarb am 11.November 1921 in Wien. Seinen Nachruf in der Wiener medizinischen Wochenschrift[24] verfasste der Arzt, Mitglied des Vereins Deutscher Ärzte und des Vereins der Ärzte in Wieden und Favoriten und Botaniker August Edler von Hayek.

Quellen:

UAW, Rektorat, Med. Fakultät, Dekanat, Rigorosenprotokoll, Sign. 177-117a, Gruss Adolf (Rigorosum Datum: 1887).

UAW, Rektorat, Med. Fakultät, Rigorosen- und Promotionsprotokolle, Sign. 186-2242, Gruss Adolf (Promotion Datum: 18.5.1888).

Geburts- und Taufbuch, Rk. Erzdiözese Wien, St. Florian, Taufbuch, 1889 Sign. 01-51, Folio 200, Guss Johanna.

Literatur:

Gruss, Adolf: Über den Ärztestand. Wien: Friedrich Schalk’s Verlag 1897.

[Zweigbibliothek für Geschichte der Medizin/Neuburger Bibliothek, Sign.: 12445]

Gruss, Adolf: „Naturärzte“. Sonderdruck aus: Ärztliche Reform-Zeitung. Wien: im Selbstverlag 1899.

[Zweigbibliothek für Geschichte der Medizin/Separata Bibliothek]

Gruss, Adolf: Berufszwang und Curpfuscherei. Sonderdruck aus: Ärztliche Reform-Zeitung. Wien: Im Selbstverlage 1900.

[Zweigbibliothek für Geschichte der Medizin/Neuburger Bibliothek, Sign.: 31996]

Gruss, Adolf: Die Anzeigepflicht des Arztes nach § 359 des österr. Strafgesetzes. Sonderdruck. Wien, Leipzig: Wilhelm Braumüller k.u.k. Hof- und Universitäts-Buchhändler 1904.

[Zweigbibliothek für Geschichte der Medizin/Separata Bibliothek]

Gruss, Adolf: Ein Sanitäts-Ministerium oder eine Zentralstelle für das gesamte Sanitätswesen in Österreich? Referat, gehalten in der Sitzung des Reichsverbandes österreichischer Aerzteorganisationen am 29. März 1908. Wien: Im Selbstverlage 1908.

[Zweigbibliothek für Geschichte der Medizin/Neuburger Bibliothek, Sign.: SA-806]

Gruss, Adolf: Aerztliche Streiflichter und die Eigenart des ärztlichen Berufes. Vortrag, gehalten in der Hauptversammlung des >Vereines deutscher Aerzte in Oesterreich< am 16. Oktober 1910. [Wien]: [1910].

[Zweigbibliothek für Geschichte der Medizin/Neuburger Bibliothek, Sign.: 12987]

Gruss, Adolf: Der Vorentwurf zu einem österr. Strafgesetzbuche, soweit er ärztliche Interessen berührt. Referat erstattet im Auftrage des XIV. österr. Aerztekammertages u. der IV. Delegiertenversammlung des Reichsverbandes österr. Aerzteorganisationnen (Vorlage für den XV. Aerztekammertag und die V. Deligiertenversammlung des Reichsverbandes.) Wien: Im Selbstver. des Verf. 1910.

[Zweigbibliothek für Geschichte der Medizin/Separata Bibliothek]

Gruss, Adolf: Entwurf eines österreichischen Strafgesetzbuches, soweit er ärztliche Interessen berührt. Referat für den XVIII. österreichischen Aerztekammertag in Graz. Wien: Verlag des Geschäftsausschusses der österreichischen Aerztekammern 1912.

[Zweigbibliothek für Geschichte der Medizin/Neuburger Bibliothek, Sign.: 17413]

Gruss, Adolf: Die allgemeinen Fahrlässigkeitsparagraphen (§311 und §312) des Entwurfes eines österreichischen Strafgesetzbuches im Lichte der Eigenart des ärztlichen Berufes. Wien: Im Verlage des Geschäftsausschusses der österr. Aerztekammern und des Reichsverbandes österr. Aerzteorganisationen 1913.

[Zweigbibliothek für Geschichte der Medizin/Neuburger Bibliothek, Sign.: 7123]

Gruss, Adolf: Ein noch ungedruckter Brief Billroths. In: Aerztliche Reformzeitung (XV/18) 1913. S. 226-228.

[Zweigbibliothek für Geschichte der Medizin/Neuburger Bibliothek, Sign.: SA-805]

Referenzen:

[1] Neues Wiener Tagblatt (Tages-Ausgabe), 1.9.1889, S. 4.

[2] Neues Wiener Journal, 19.3.1896, S. 2.

[3] Ostdeutsche Rundschau, 10.1.1892, S. 5.

[4] Deutsches Volksblatt, 17.11.1889, S. 8.

[5] Ostdeutsche Rundschau, 16.11.1890, S. 3.

[6] Ostdeutsche Rundschau, 23.11.1890, S. 1-2.

[7] Deutsches Volksblatt, 5.4.1891, S. 8.

[8] Rundschau für die Interessen der Pharmacie, Chemie und verwandter Fächer, 1899, S. 591.

[9] Rundschau für die Interessen der Pharmacie, Chemie und verwandter Fächer, 1899, S. 88.

[10] Wiener medizinische Wochenschrift, Nr. 7, 1905, Sp. 348.

[11] Die Heilkunde. Monatsschrift für praktische Medicin, 1900, S. 374; Deutsches Volksblatt, 21.2.1900, S. 13.

[12] Allgemeine Wiener medizinische Zeitung, 22.12.1908, S. 571.

[13] Illustriertes Wiener Extrablatt, 26.11.1902, S, 6.

[14] Leitmeritzer Zeitung, 11.2.1903, S. 12.

[15] Ostdeutsche Rundschau, 18.10.1903, S. 6.

[16] Arbeiter-Zeitung, 9.10.1903, S. 9.

[17] Internationale klinische Rundschau, Nr. 48, 1900, S. 970.

[18] Internationale klinische Rundschau, Nr. 42/43, 1919, S. 238; Neues Wiener Tagblatt (Tages-Ausgabe), 26.10.1919, S.9.

[19] Neues Wiener Journal, 7.11.1921, S. 7.

[20] Neues Wiener Journal, 29.11.1900, S. 6; Wiener Zeitung, 29.12.1909, S. 2.

[21] Reichspost, 30.3.1919, S. 5.

[22] Neue Freie Presse, 10.4.1920, S. 15.

[23] Wiener klinische Wochenschrift, Nr. 17, 1895, S. 321.

[24] Wiener medizinische Wochenschrift, Nr. 49, 1921, Sp. 2189.

Normdaten (Person): Gruss, Adolf: BBL: 41491; GND: 172500699;

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BBL: 41491 (19.07.2023)
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Letzte Aktualisierung: 2023 07 19

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Aus den medizinhistorischen Beständen der Ub MedUni Wien [183]: Leopold A. Köstler – Primararzt im Allgemeinen Krankenhaus Wien, Autor zur Cholera-Epidemie 1831 und Direktor der k.k. Irrenanstalt in Wien

Leopold A. Köstler – Primararzt im Allgemeinen Krankenhaus Wien, Autor zur Cholera-Epidemie 1831 und Direktor der k.k. Irrenanstalt in Wien

Text: Dr. Walter Mentzel

Leopold Köstler wurde am 3. Mai 1800 als Sohn eines praktischen Arztes in Eger in Böhmen geboren. Nachdem er in Wien an der Medizinischen Fakultät 1825 sein Medizinstudium mit dem Doktor der Medizin absolviert hatte, wurde er zunächst als Sekundararzt am Allgemeinen Krankenhaus in Wien und danach im Dienste eines Polizeibezirksarztes in der Alservorstadt tätig. 1827 erschien von ihm bei Mörscher und Jasper in Wien die „Medizinische Abhandlung über die egersche Salzquelle“.

Im Jänner 1831 reiste Köstler nach Lemberg, wo er den Ausbruch der Cholera in Galizien erlebte.[1] Aus seinen hier gemachten Erfahrungen und Beobachtungen entstanden die beiden Arbeiten „Anweisung, sich gegen die epidemische Cholera zu schützen, und dieselbe bey ihrem Beginn zweckmäßig zu behandeln. Wien: Bey Mörschner & Jasper 1831“ (Cholera Nr. 98) und „Aus der Erfahrung geschöpfte Andeutungen zur Erkenntnis und Behandlung der epidemischen Cholera. Wien: Mörscher & Jasper 1831“ (Cholera Nr. 99).

Köstler Leopold A., Anweisung, sich gegen die epidemische Cholera zu schützen […]

Am 18. März 1837 wurde Köstler mit der Entschließung des Kaisers zum Primararzt im Allgemeinen Krankenhaus in Wien ernannt.[2] In dieser Funktion hatte er auch bis 1839 die Aufsicht und Leitung der „k. k. Irrenanstalt zu Wien“ (Narrenturm) über, wo er sich um ein Humanisierung der Behandlung der Patienten bemühte. 1837 unternahm er im Auftrag der niederösterreichischen Landesregierung und mit Empfehlung des Fürsten Klemens Wenzel Lothar von Metternich (1773-1859) eine wissenschaftliche Reise nach Frankreich, Deutschland und England bei der er die Heilanstalten für geistig Erkrankte besuchte und worüber er nach seiner Rückkehr am 31. Oktober 1838 in der Gesellschaft der Ärzte berichtete.[3] Ein Jahr darauf erschien von ihm im Verlag und der Buchhandlung der Mechiaristen-Congregation die Arbeit „Bemerkungen über mehrere Irrenanstalten von England, Frankreich und Belgien“.

Köstler war Mitglied der Medizinischen Fakultät der Universität Wien und der Gesellschaft der Ärzte in Wien. Er verstarb am 21. Oktober 1841 in Linz.

Quellen:

AUW, Medizinische Fakultät, Rigorosenprotokoll, 1821-1871, Sign. 170-114a, Köstler Leopold (Rigorosen Datum 1825).

Puschmann, Theodor: Die Medicin in Wien während der letzten 100 Jahre. Wien 1884.

Literaturliste:

Köstler, A. Leopold: Bemerkungen über mehrere Irrenanstalten von England, Frankreich und Belgien. Wien: Mechitaristen-Congregations-Buchhandlung 1839.

[Zweigbibliothek für Geschichte der Medizin/Neuburger Bibliothek, Sign.: 40425]

Keywords: Leopold A. Köstler, Cholera, Bezirksarzt, k.k. Irrenanstalt in Wien, Allgemeines Krankenhaus Wien, Arzt, Wien

[1] Callisen, Adolph und Carl Peter: Medicinisches Schriftsteller-Lexikon der jetzt lebenden Ärzte, Wundärzte, Geburtshelfer, Apotheker und Naturforscher aller gebildeten Völker. Bd. 29. Copenhagen: 1830-1845. S. 311.

[2] Brünner Zeitung. 1.4.1837. S. 1.

[3] Populäre österreichische Gesundheits-Zeitung. 8.11.1838. S. 741-742.

Normdaten (Person) Köstler, Leopold A. : BBL: 39432; GND: 1052721303

Bio-bibliografisches Lexikon (BBL)/Liste aller Beiträge der VS-Blog-Serie: Aus den medizinhistorischen Beständen der Ub MedUni Wien

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Aus den medizinhistorischen Beständen der Ub MedUni Wien [182]: Moriz Moses Laub – Em. Abteilungsassistent an der Krankenanstalt Rudolf-Stiftung, Präsident der Kassenärzte der kaufmännischen Angestellten, Vorstandsmitglied der Wiener Ärztekammer, NS-Verfolgter

Moriz Moses Laub – Em. Abteilungsassistent an der Krankenanstalt Rudolf-Stiftung, Präsident der Kassenärzte der kaufmännischen Angestellten, Vorstandsmitglied der Wiener Ärztekammer, NS-Verfolgter

Text: Dr. Walter Mentzel

Moriz Laub wurde am 19. Februar 1869 als Sohn von Jakob Laub (1841-1916) und Mariam Nussbeck in Sadagora in der Bukowina (heute: Sadhora/Ukraine) geboren. 1900 heiratete er die in Wien geborenen Bertha Marmorek (1876-?), mit der er gemeinsam die beiden Kinder Gertrud Renee (*7.6.1902) und Rudolf (1908-1999) hatte.

Laub studierte in Wien an der Universität Medizin, schloss das Studium im März 1893 mit der Promotion ab, und begann danach als praktischer Arzt und Vertragsarzt bei der Wiener Krankenkasse in Wien Landstraße seine berufliche Laufbahn. Daneben arbeitete er als Abteilungsassistent bis zu seiner Emeritierung an der k.k. Krankenanstalt Rudolf-Stiftung.

Neben seiner Vortragstätigkeit in wissenschaftlichen Vereinen, wie im Wissenschaftlichen Club,[1] in dem er sich vor dem Ersten Weltkrieg auch als Mitglied des Ausschusses engagierte,[2] hielt er Vorträge in der Gesellschaft der Ärzte in Wien, der er seit 1899 als Mitglied angehörte,[3] und der Gesellschaft für innere Medizin und Kinderheilkunde, in der er ebenfalls als Mitglied war. Weiters war er Mitglied der Ophthalmologischen Gesellschaft in Wien. Im Rahmen der „Volkstümlichen Vorträge“ des Wiener Volksbildungs-Vereines hielt er vor dem Ersten Weltkrieg populärwissenschaftlich aufbereitete Vorträge zu medizinischen Themen.[4] Vor allem aber war er als Referent in sozialdemokratischen und gewerkschaftlichen Organisationen aktiv.[5] Im Rahmen der Tuberkulosebekämpfung bot er 1911 kostenlos eine Tuberkulinbehandlung bei der Genossenschaft der Wäschewarenerzeuger, Sticker u.a. an.[6]

1915 publizierte er in den von Ludwig Teleky herausgegebenen Zeitschrift „Wiener Arbeiten aus dem Gebiet der Sozialen Medizin“ eine an der Tuberkulosefürsorgestelle der Gremialkrankenkasse der Wiener Kaufmannschaft durchgeführte Studie zu „Grundlagen und Ergebnisse ambulatorischer Tuberkulinbehandlung. Sie befindet sich an der Zweigbibliothek für Geschichte der Medizin. Hier befinden sich auch in der Separata-Bibliothek vier Arbeiten und zwar „Grundlagen und Ergebnisse ambulatorischer Tuberkulinbehandlung“, aus dem Jahr 1906 die Studie „Über die Wirkung einiger dem Adrenalin verwandten Ketonbasen in der rhinologischen Praxis“, aus dem Jahr 1899 die an der II. medizinischen Abteilung der Rudolf-Stiftung erstellte Studie „Ein Fall von Pneumopericardium“, und die 1909 gemeinsam mit J. Novotny am staatlichen serotherapeutischen Institut in Wien entstandene Arbeit „Ueber komplementbindende Substanzen bei Tuberkulose“.

Laub war über viele Jahre in den Interessensvertretungen der Wiener Ärzteschaft und der Wiener Krankenkassen aktiv. 1904 und 1907 – noch als Kandidat der Freisinnigen Ärzteschaft – und 1911 kandidierte er bei den Ärztekammerwahlen in Wien. Im Jahr 1919 wurde er zum Vorstandsmitglied der Wiener Ärztekammer gewählt.[7] In der Wiener Ärztekammer vertrat er die Interessen der Kassenärzte. Nach dem Ersten Weltkrieg war er noch Mitglied der Wirtschaftlichen Organisation der Ärzte Wiens,[8] Delegierter der Wiener Ärztekammer im Wiener Landessanitätsrat[9] und Präsident der Kassenärzte der kaufmännischen Angestellten. Seit 1919 war er noch Delegierter der Wiener Ärztekammer im Zentraltuberkuloseambulatorium des Volksgesundheitsamtes.[10]

Daneben engagierte er sich in der „Mensa academica judaica“ als deren Präsident,[11] und unterstützte den zionistischen Keren Kayemeth (Jüdischen Nationalfond).[12] Vor dem Ersten Weltkrieg gehörte er auch als Mitglied der Bukowinaer Landsmannschaft „Buchenland“ mit Sitz in Wien an, als dessen Präsident Wilhelm Stekel vorstand[13].

Während des Ersten Weltkrieges war er als Chefarzt im Hilfsspital des von Erzherzog Leopold Salvator zur Verfügung gestellten Palais tätig.[14] 1916 erhielt er das Ehrenzeichen zweiter Klasse vom Roten Kreuz mit der Kriegsdekoration und 1917 das Ritterkreuz des Franz Josephs-Ordens verliehen.[15] Im Dezember 1918 gehörte er zu den Unterzeichnern des Aufrufes der Österreichisch-israelitischen Union „Ein Bekenntnis zur Republik Deutschösterreich“.[16] 1920 wurde ihm der Titel eines Medizinalrates verliehen.[17]

Laub war in der Ersten Republik Mitglied der ärztlichen Fachgruppe der Sozialistischen Vereinigung geistiger Arbeiter[18] und in der Vereinigung der sozialdemokratischen Ärzte Wiens aktiv.[19] In dieser Funktion, als auch in jener als Funktionär und Vorstandsmitglied der Wiener Ärztekammer, trat er gegen den § 144 (Schwangerschaftsabbruch)[20] und gegen die damit verbundenen Verschärfungen des Strafrechtes sowie der damit einhergehenden Kriminalisierung der Ärzt*innenschaft auf. 1924 erschien von ihm als Artikel in der Wiener medizinischen Wochenschrift der von ihm am 25. Mai 1924 auf der Tagung der Vereinigung der sozialdemokratischen Ärzte gehaltene Vortrag unter dem Titel „Die Berufspflicht und das Berufsrecht des Arztes. Die rechtlichen Bestimmungen über die Unterbrechung der Schwangerschaft“.[21] Im selben Jahr wurde er vom Handelsgericht zum ständigen Sachverständigen für das Fach „Wirtschaftliche Interessen der Ärzte und der Heilanstalten“ bestellt.[22] Nach dem Krieg wirkte er auch noch in der Tuberkulosefürsorgestelle der Handlungsgehilfen.

Moriz Laub und seine Ehefrau Bertha wurden nach dem „Anschluss“ im März 1938 von den Nationalsozialisten wegen ihrer jüdischen Herkunft verfolgt. 1939 wurden Laub von den Nationalsozialisten die Pensionsansprüche aberkannt. Ihm gelang es mit seiner Ehefrau Bertha kurz vor ihrer Deportation in das Ghetto Theresienstadt die Flucht nach England, wo er 1944 in Chapel En Le Frith in Derbyshire verstarb. Bertha emigrierte nach seinem Tod in die USA, wo sie verarmt in New York lebte. Ihre beabsichtigte Rückkehr nach Wien scheiterte, da die von ihr beanspruchte Rente und deren Zusicherung als Voraussetzung für ihre Rückkehr durch die Wiener Krankenkasse ignoriert und danach abschlägig behandelt worden war.[23] Darüber berichteten 1949 die Zeitungen Neues Österreich in der Ausgabe vom 30. Jänner 1949, vom 25. Mai 1949 und vom 6. November 1949, sowie die Salzburger Nachrichten am 1. Februar 1949. Bertha Laub lebte zuletzt bei ihrem ebenfalls von den Nationalsozialisten aus Österreich vertriebenen Sohn, dem Mediziner Rudolf Laub, in South Carolina und verstarb am 13. Jänner 1952 in Columbia.

Quellen:

AUW, Rektorat, Med. Fakultät, Rigorosenprotokoll 1872-1894, Sign. 177-231a, Laub Moses (Rigorosum Datum 1890).

AUW, Rektorat, Med. Fakultät, Promotionsprotokoll 1874-1890, Sign. 187-855, Laub Moriz Moses (Promotion Datum 11.3.1893).

ÖStA, AdR, E-uReang, ÖStA, VA, Zl. 4751, Laub Moritz (19.2.1869)

Moriz und Bertha Laub: https://billiongraves.com/grave/Moriz-Laub/35681419?referrer=myheritage

Death certificates (South Carolina), 1915-1963, Standard Certificate of Death, Laub Bertha.

England and Wales Death Registration Index 1837-2007, Laub Moritz.

Literaturliste:

Laub, Moriz: Grundlagen und Ergebnisse ambulatorischer Tuberkulinbehandlung. Sonderdruck aus: Das Österreichische Sanitätswesen. Wien: Verlag von Alfred Hölder, k.k. Hof u. Universitäts-Buchhändler 1915.

[Zweigbibliothek für Geschichte der Medizin/Separata Bibliothek]

Laub, Moriz: Über die Wirkung einiger dem Adrenalin verwandter Ketonbasen in der rhinologischen Praxis. Aus der I. laryngo-rhinologischen Abteilung des Kaiser Franz Joseph-Ambulatoriums (Vorstand Dr. M. Weil). Sonderdruck aus: Wiener medizinische Wochenschrift. Wien: Verlag von Moritz Perles k.u.k. Hofbuchhandlung 1906.

[Zweigbibliothek für Geschichte der Medizin/Separata Bibliothek]

Laub, Moriz und J. Novotny: Ueber komplementbindende Substanzen bei Tuberkulose. Aus dem staatlichen serotherapeutischen Institute in Wien (Vorstand: Hofrat Prof. Paltauf). Sonderdruck aus: Wiener klinische Wochenschrift. Wien und Leipzig: Wilhelm Braumüller k.u.k. Hof- und Universitäts-Buchhändler 1909.

[Zweigbibliothek für Geschichte der Medizin/Separata Bibliothek]

Laub, Moriz: Ein Fall von Pneumopericardium. Aus der II. medicinischen Abtheilung der k.k. Krankenanstalt Rudolf-Stiftung in Wien (Primararzt Dr. E. Bamberger). Sonderdruck aus: Wiener klinische Wochenschrift. Wien: Wilhelm Braumüller k.u.k. Hof- und Universitäts-Buchhändler 1899.

[Zweigbibliothek für Geschichte der Medizin/Separata Bibliothek]

Keywords: Ärztekammer Wien, Moriz Laub, NS-Verfolgung, Rudolf-Stiftung, Sozialmedizin, Tuberkulose, Arzt, Wien

[1] Neue Freie Presse. 10.3.1898. S. 7.

[2] Die Zeit. 1.2.1909. S. 4.

[3] Wiener klinische Wochenschrift. Nr. 13. 1899. S. 359.

[4] Die Zeit. 12.3.1911. S. 9; Arbeiter Zeitung. 1.3.1911. S. 12.

[5] Arbeiter Zeitung. 5.3.1909. S. 10.

[6] Arbeiter Zeitung. 21.5.1911. S. 8.

[7] Wiener medizinische Wochenschrift. Nr. 12. 1919. Sp. 609.

[8] Wiener medizinische Wochenschrift. Nr. 27. 1926. Sp. 837.

[9] Wiener Kommunal-Kalender und städtisches Jahrbuch. Wien 1922. S. 47.

[10] Wiener medizinische Wochenschrift. Nr. 38. 1919. Sp. 1869.

[11] Neues Wiener Tagblatt (Tages-Ausgabe). 12.5.1935. S. 12.

[12] Die Stimme. 9.2.1938. S. 5.

[13] Czernowitzer Tagblatt. 11.1.1910. S. 3

[14] Die Zeit. 30.9.1914. S. 4.

[15] Wiener Zeitung. 17.5.1916. S. 3; Wiener medizinische Wochenschrift. Nr. 27. 1917. Sp. 1211.

[16] Neue Freie Presse. 3.12.1918. S. 4.

[17] Wiener medizinische Wochenschrift. Nr. 42. 1920. Sp. 1772.

[18] Arbeiter Zeitung. 2.7.1919. S. 10.

[19] Wiener medizinische Wochenschrift. Nr. 22. 1924. Sp. 1143.

[20] Arbeiter Zeitung. 15.4.1923. S. 10.

[21] Wiener medizinische Wochenschrift. Nr. 30. 1924. Sp. 1587-1589.

[22] Wiener medizinische Wochenschrift. Nr. 46. 1924. Sp. 2434.

[23] Neues Österreich. 25.5.1949. S. 4.

Normdaten (Person) Laub, Moriz Moses : BBL: 39429; GND: 1264961014

Bio-bibliografisches Lexikon (BBL)/Liste aller Beiträge der VS-Blog-Serie: Aus den medizinhistorischen Beständen der Ub MedUni Wien

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Zum 150. Geburtstag: Aus den medizinhistorischen Beständen der Ub MedUni Wien [96]: Neurath, Rudolf: Die nervösen Komplikationen und Nachkrankheiten des Keuchhustens. Klinische und anatomische Studien. 1904.

Zum 150. Geburtstag von: Neurath, Rudolf: Die nervösen Komplikationen und Nachkrankheiten des Keuchhustens. Klinische und anatomische Studien. Mit 2 Textfiguren. Leipzig und Wien: Franz Deuticke 1904.

[Zweigbibliothek für Geschichte der Medizin/Neuburger Bibliothek, Sign.: 53678]

Text: Harald Albrecht, BA

Abb. 1     Rudolf Neurath. Josephinum, Ethik, Sammlungen, und Geschichte der Medizin, MedUni Wien, FO-IR-003126-0001.

Rudolf Neurath (*17.02.1869 Wien, gest. 14.10.1947 New York), dessen Geburtstag sich im Februar 2019 zum 150. Mal jährte, war ein österreichischer Pädiater. Er wurde in Wien als Sohn von Michael Neurath und Leontine Reiß geboren und war jüdischer Herkunft. Nach dem Besuch der Volksschule und des Gymnasiums in Wien studierte er ab 1887 Medizin an der Medizinischen Fakultät der Universität Wien. Am 11. März 1893 schloss er das Studium erfolgreich mit seiner Promotion ab. Er absolvierte seine Ausbildung zum Kinderarzt an mehreren Wiener Kliniken wo er bei Hermann Nothnagel (1841-1905), Theodor Escherich (1857-1911), Heinrich Obersteiner (1847-1922) und anderen lernte. Von 1894 bis 1897 war er Sekundararzt am Karolinen Kinderspital in Wien und von 1898 bis 1918 Abteilungsvortand des I. Öffentlichen Kinderkrankeninstituts. 1913 habilitierte sich Neurath im Fach Kinderheilkunde.

Nach dem Ersten Weltkrieg 1918 wurde Rodolf Neurath bis 1938 Leiter des Kinderambulatoriums der Wiener Arbeiterkrankenkasse und Facharzt für Kinderkrankheiten des Wiener städtischen Jugendamtes. 1927 wurde er zum tit. a.o. Professor ernannt. Neuraths wissenschaftliche Schwerpunkte bildeten die Grenzgebiete zwischen Neurobiologie und Pädiatrie, Forschungen zur Pubertät und endokrinologische Fragen. Neurath war unter anderem Mitglied der Gesellschaft der Ärzte in Wien, des Vereins für Neurologie und Psychiatrie und der Deutschen Gesellschaft für Kinderheilkunde. Aufgrund seiner jüdischen Herkunft trat er 1934 aus der Deutschen Gesellschaft für Kinderheilkunde (DGfK) aus um einer zwangsweisen Streichung seiner Mitgliedschaft durch die in Deutschland mittlerweile an die Macht gekommen Nationalsozialisten zuvor zu kommen: „Aussagen wie die des Schriftführers [der DGfK, Anm.] Goebel [Prof. Fritz Goebel (1888-1950) Anm.] vom Januar 1936 – ,Wie zu erwarten sind eine Anzahl von nichtarischen Austritten erfolgt und ich glaube dass wir bald rein arisch sein werden. Diesen Weg der freiwilligen Selbstaustritte finde ich viel glücklicher, als wenn wir irgendeinen Druck ausgeübt hätten.‘ – legen nahe, dass Juden in der DGfK unerwünscht waren und durchaus ein Druck zum ,freiwilligen Austritt‘ bestand. So schrieb auch der Wiener Professor für Kinderheilkunde Rudolf Neurath am 11. Januar 1934 nicht ohne Selbstbewusstsein: ,Sehr geehrter Herr Prof. Goebel! Ich melde meinen Austritt aus der Deutschen Gesellschaft für Kinderheilkunde, da, wie ich vermute, meine Mitgliedschaft der Gesellschaft ebenso unerwünscht sein dürfte, wie mir selbst. Mit dem Ausdruck vorzüglicher Hochachtung‘. Der Austritt wurde ansonsten oft wortlos, manchmal auch unter Angabe ,wirtschaftlicher Gründe‘ oder der bevorstehenden Emigration erklärt.“[1]

Nachdem „Anschluss“ 1938 wurde Rudolf Neuraths Venia legendi entzogen und am 1. Juli 1938 wurde ihm seine Mitgliedschaft in der Wiener Ärztekammer, die er seit 1894 besaß, entzogen.[2] Aufgrund seiner jüdischen Herkunft musst Neurath seine Wohnung in der Lange Gasse 70 in der Wiener Josefstadt verlassen und aus Österreich fliehen. Rudolf Neurath gelang die Flucht in die USA, wo er am 14. Oktober 1947 in New York City verstarb. In der wissenschaftlichen Sitzung der Gesellschaft der Ärzte in Wien am 28. November 1947 wurden die erschienen Mitgliedern vom Tod Rudolf Neuraths durch den Vorsitzenden Erwin Stransky (1877-1962) informiert. Stransky erwähnte das Neurath widerfahrene Unrecht mit keinem Wort, wie der in der Wiener klinischen Wochenschrift abgedruckte Sitzungsbericht zeigt: „Der Vorsitzende eröffnet die Sitzung, begrüßt die Erschienen und bringt dem Plenum zur Kenntnis, daß vor kurzem in New York Prof. Dr. Rudolf Neurath verstorben ist. Er war seit 1896 Mitglied unserer Gesellschaft. Mit ihm ist ein hervorragender Vertreter der Wiener Pädiaterschule dahingegangen. Neurath hat eine Reihe bemerkenswerter wissenschaftlicher Arbeiten veröffentlicht, insbesondere auch in pädiatrisch-neurologischen Grenzgebieten, so über zerebrale Veränderungen beim Keuchhusten u.a. als Arzt wie als Kollege hat er sich allgemeiner Wertschätzung erfreut; wir werden ihm stets ein ehrendes Gedenken bewahren.“[3]

Die Zweigbibliothek für Geschichte der Medizin besitzt eine Ausgabe von Neuraths oben erwähnter 1904 erschienen Monografie über den Keuchhusten. Das Exemplar stammt ursprünglich aus der Bibliothek der Gesellschaft der Ärzte in Wien (GdÄW) und kam im Zuge einer Dauerleihgabe im Jahr 1976 in die Zweigbibliothek für Geschichte der Medizin. Das Exemplar weist am Buchdeckel eine leider nicht mehr zur Gänze lesbare handschriftliche Widmung Rudolf Neuraths an die Bibliothek der Gesellschaft der Ärzte auf: „[Der B]ibliothek der k.k. Gesellschaft der Aertze/vom Verf.“

Abb. 2    Handschriftliche Widmung am Buchdeckel von Rudolf Neurath an die Bibliothek der GdÄW

Neurath, Rudolf: Die nervösen Komplikationen und Nachkrankheiten des Keuchhustens. Klinische und anatomische Studien. Mit 2 Textfiguren. Leipzig und Wien: Franz Deuticke 1904.

[Zweigbibliothek für Geschichte der Medizin/Neuburger Bibliothek, Sign.: 53678]

Abb. 3    Titelblatt: Neurath: Die nervösen Komplikationen […]. Leipzig […]: 1904.

Abb. 4    Neurath: Die nervösen Komplikationen […]. Leipzig […]: 1904. S. 72.

Quellen:

Neurath, Rudolf (17.2.1869-14.10.1947 New York City) tit. a.o. Prof. Dr. med., Kinderarzt. In: Jüdische Kinderärzte 1933-1945. Entrechtet/geflohen/ermordet. Hrsg.: Eduard Seidler. Erweiterte Neuauflage. Basel u.a.: Karger 2007.

Visus und Vision. 150 Jahre DOG. Festschrift zum 150-jährigen Bestehen der Deutschen Ophthalmologischen Gesellschaft. Hrsg: DOG Deutsche Ophthalmologische Gesellschaft. Köln: Biermann Verlag 2007.

7480 Neurath, Rudolf. In: Handbuch österreichischer Autorinnen und Autoren jüdischer Herkunft 18. bis 20. Jahrhundert. Hrsg.: Österreichische Nationalbibliothek. Band 2. J-R. 4542-8922. München: K.G. Saur 2002. S. 982-983.

Neurath, Rudolf, österr. Pädiater, *17.21869 Wien, +14.10.1947 New York. In: Biographische Enzyklopädie deutschsprachiger Mediziner. Hrsg. von Dietrich von Engelhardt. Bd. 2. R-Z Register. München: K. G. Saur 2002. S. 437.

Feikes, Renate: Emigration Wiener jüdischer Ärzte ab 1938 in die USA, speziell nach New York. Wien: Univ.-Diss. 1999.

Rudolf Neurath (1869 Wien – 1948). In: Dokumentation Vertriebene Intelligenz 1938. Der Verlust geistiger und menschlicher Potenz an der Universität Wien von 1938 bis 1945. Hrsg.: Kurt Mühlberger. 2. verb. u. verm. Auflage. Wien: Archiv der Universität Wien 1993. S. 28.

Neurath, Rudolf: In: Biographisches Lexikon der hervorragenden Ärzte der letzten fünfzig Jahre (=Zugleich Fortsetzung des Biographischen Lexikons der hervorragenden Ärzte aller Zeiten und Völker). Zweite und dritte, unveränderte Auflage. Zweiter Band Kon-Zweig Nachträge und Berichtigungen, mit 80 Bildnissen. München und Berlin: Verlag von Urban & Schwarzenberg 1962. S. 1112.

Verhandlungen ärztlicher Gesellschaften und Kongreßberichte. Offizielles Protokoll der Gesellschaft der Ärzte in Wien. In: Wiener klinische Wochenschrift. (60/1) 1948. S. 22.

[1] Visus und Vision. 150 Jahre DOG. Festschrift zum 150-jährigen Bestehen der Deutschen Ophthalmologischen Gesellschaft. Hrsg: DOG Deutsche Ophthalmologische Gesellschaft. Köln: Biermann Verlag 2007. S. 57.

[2] Vgl.: Feikes, Renate: Emigration Wiener jüdischer Ärzte ab 1938 in die USA, speziell nach New York. Wien: Univ.-Diss. 1999. Bd. 2. S. 133.

[3] Verhandlungen ärztlicher Gesellschaften und Kongreßberichte. Offizielles Protokoll der Gesellschaft der Ärzte in Wien. In: Wiener klinische Wochenschrift. (60/1) 1948. S. 22.

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