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Aus den medizinhistorischen Beständen der Ub MedUni Wien [226]: Adolf Gruss – Vizepräsident der Ärztekammer Wien, Journalist und Verleger, Obmann des Vereins deutscher Ärzte Österreichs

Adolf Gruss – Vizepräsident der Ärztekammer Wien, Journalist und Verleger, Obmann des Vereins deutscher Ärzte Österreichs

Autor: Walter Mentzel

Affiliation: Medizinische Universität Wien, Universitätsbibliothek, Währinger Gürtel 18-20, 1090 Wien, Österreich

Published online: 19.07.2023

Keywords: Gruss Adolf, Ärztekammer Wien, Arzt, Verein deutscher Ärzte Österreichs, Journalist, Verleger, Ärztliche Reform-Zeitung, Wien, Medizingeschichte

Adolf Gruss wurde am 9. März 1854 als Sohn des akademischen Malers Johann Gruss (1820-1901) und Anna Bruder in Leitmeritz in Böhmen (heute: Litoměřice/Tschechien) geboren. 1883 heiratete er Klara Büchner. Nachdem er zunächst ein Doktoratsstudium in Philosophie absolviert hatte, begann er an der Universität Wien mit dem Studium der Medizin, das er am 18. Mai 1888 mit der Promotion abschloss. Nach seiner Promotion führte er eine private Ordination in Wien Wieden und war ab 1889 als Krankenkassenarzt des Gremiums der Wiener Kaufmannschaft tätig.[1] 1896 erfolgte seine Bestellung zum städtischen Arzt in Wien.[2]

Gruss war seit den 1880er Jahren in der Deutschnationalen Partei (Georg Ritter von Schönerer-Richtung) und deren Vorfeldorganisationen und später in der 1903 gegründeten deutsch-radikalen Partei um den Politiker und Herausgeber der Ostdeutschen Rundschau, Karl-Hermann Wolf (1862-1941), aktiv. Im Wiener Gemeindebezirk Wieden stand er als Obmann dem „Deutschen Volksverein“ der deutschnationalen Partei vor,[3] 1889 wurde er zum Obmann des Deutschen Gesangsvereins in Wien gewählt,[4] und 1890 gehörte er wie auch Karl-Hermann Wolf den Leitungsorganen des Vereins „Deutsche Geschichte“[5] an, sowie der im selben Jahr gegründeten Mittelstandsorganisation „Selbsthilfe-Genossenschaft Ostmark“, die bereits einen „Arierparagraphen“ statuarisch aufwies.[6] 1891 kandidierte er für die Deutschnationale Partei im 4. Wiener Gemeindebezirk zum 2. Wahlkörper für den Wiener Gemeinderat auf der mit der Christlichsozialen Partei gemeinsamen Liste der „Antiliberalen Wahlgemeinschaft“.[7]

Journalist, Redakteur, Verleger der Ärztlichen Reform-Zeitung

In diesem Umfeld betätigte sich Gruss schriftstellerisch als auch journalistisch, beispielsweise als Autor im „Deutschnationalen Kalender“, aber auch im Jänner 1899 im von ihm gegründeten und den Interessen der „deutschen Ärzten“ sich verpflichteten „Ärztlichen Reform-Zeitung“, dem Organ des Wiener Ärzte-Vereins und zunächst des Vereins der Ärzte Oberösterreichs, des Pinzgaus, dem Pongau und jener in Schlesien,[8] bei der er als Herausgeber und Schriftleiter fungierte.[9] Hier publizierte er u.a. 1899 „Naturärzte“ und „Die Vergewaltigung der Ärzte durch die Juristen“, 1900 „Berufszwang und Curpfuscherei“ und 1908 „Ein Sanitätsministerium oder eine Zentralstelle für das gesamte Sanitätswesen in Österreich“. 1897 erschien von ihm die Monografie „Über den Ärztestand“ und 1911 „Ärztliche Streiflichter und die Eigenart des ärztlichen Berufes“.

Gründer und Funktionär ärztlicher Standesorganisationen

Neben seinem Engagement in deutschnationalen Organisationen trat Gruss seit den 1890er Jahren als Gründer und Funktionär ärztlicher Standes- und Interessensorganisationen auf, wobei er diese als Instrumentarium für seine politischen Ambitionen zu nutzen verstand. Zunächst war er 1897 Mitbegründer des deutschnational ausgerichteten Wiener Ärztevereines und bis zu seinem Rücktritt 1905 dessen Obmann.[10] Ab 1900 gehörte er dem Präsidium des im Februar 1900 gegründeten „Verband der Ärzte Wiens“ (Präsident Josef Heim) an, wo er auch die Funktion des Vizepräsidenten als Obmann des Wiener Ärztevereins einnahm.[11] In dem im Jahr 1906 gegründeten Reichsverband österreichischer Ärzte erhielt er die Funktion eines Vizepräsidenten, ab 1908 stand er dem Verband als dessen Präsident vor.[12]

Verein deutscher Ärzte:

Im November 1902 kam es zur Konstituierung eines Komitees zur Vorbereitung eines für April 1903 vorzubereitenden Sozialärztlichen Reichskongresses in Wien, das sich zum Ziel setzte einen überregionalen Ärzteverein vorzubereiten, in dem der Wiener Ärztekammerpräsident Ernst Finger (1856-1939) und sein Vize Adolf Gruss mitwirkten.[13] Dieses Vorhaben scheiterte an der von Gruss antisemitisch und antitschechisch motivierten Vorgehensweise.[14] Stattdessen kam es am 31. Mai 1903 in Wien unter dem Vorsitz von Adolf Gruss (1857-1921), Alfred Schmarda (1861-1921) und des Zahnarztes und Mitbegründers der radikal-deutschnationalem Zeitung „Ostdeutschen Rundschau“, Vinzenz Wießner-Freiwaldau, zur Gründung einer überregionalen Organisation für deutschnationale und antisemitische Ärzte: dem Verein deutscher Ärzte, dem auch Ernst Finger angehörte. Auch hier übernahm Adolf Gruss die Obmann-Funktion. Der Verein, der unmittelbar nach seiner Gründung ein Adressbuch „deutsch-arischer“ Ärzte herausgab, konstituierte noch 1903 einen „arischen“ Ausschuss, der in einem Auswahlverfahren die aus dem Kreis der Vereinsmitglieder legitimierte Gruppe um Adolf Gruss, Heinrich Adler (1849-1909), Josef Hein, Karl Jarisch (1839-1915), Josef Scholz (1835-1916), Max Stransky, Wilhelm Svetlich (1849-1914), Alexander Uhlik und Hans Ritter von Woerz, bei der kommenden Wahl zur Ärztekammer in Wien antreten ließ.[15]

Gruss selbst verweigerte als praktizierender Arzt in seiner Ordination die Behandlung jüdischer Patient:innen.[16]

Ärztekammer Wien:

Neben seiner Funktion in der 1906 gegründeten „Wirtschaftlichen Organisation der Ärzte Wiens“, gehörte er seit 1900 als Vorstandsmitglied der Ärztekammer Wien an,[17] ab 1908 nahm er die Funktion des Vizepräsidenten der Wiener Ärztekammer ein, die er bis zu seinem krankheitsbedingten Ausscheiden im Jahr 1920 behielt[18] und provisorisch bis zu seinem Tod 1921 weiterführte.[19] In diesen Funktionen gehörte er auch ab 1900 als Delegierter der Ärztekammer Wien dem niederösterreichischen Landes-Sanitätsrat an.[20]

1919 erfolgt nach seinem Ansuchen krankheitsbedingt seine Pensionierung als städtischer Oberarzt.[21] Im April 1920 erhielt er den Titel des Obermedizinalrates verliehen.[22]

In seinen Funktionen in den ärztlichen Standesvertretungen nahm er auf verschiedenen Ebenen an der Entwicklung des österreichischen Sanitätswesens teil. Bereits 1895 trat er als Obmann des Wiener Ärztevereines in einer Petition an das Abgeordnetenhaus gegen die geplante Abstrafung im Falle einer unterlassenen ärztlichen Anzeigepflicht auf.[23] Als Funktionär der Ärztekammer war er in den parlamentarischen Verhandlungen und in den Ausschüssen des Abgeordnetenhaus des österreichischen Reichsrates beispielsweise zur Gesetzgebung der Sozialversicherung involviert. 1904 publizierte er zur „Die Anzeigepflicht des Arztes nach § 359 des österr. Strafgesetzes“, 1910 erschien von ihm im Selbstverlag die Arbeit „Der Vorentwurf zu einem österr. Strafgesetzbuche, soweit er ärztliche Interessen berührt“, die 1912 im Verlag der österreichischen Ärztekammer ein weiteres Mal veröffentlicht wurde. 1913 erschien von ihm „Die allgemeinen Fahrlässigkeitsparagraphen (§311 und §312) des Entwurfes eines österreichischen Strafgesetzbuches im Lichte der Eigenart des ärztlichen Berufes“.

Gruss verstarb am 11.November 1921 in Wien. Seinen Nachruf in der Wiener medizinischen Wochenschrift[24] verfasste der Arzt, Mitglied des Vereins Deutscher Ärzte und des Vereins der Ärzte in Wieden und Favoriten und Botaniker August Edler von Hayek.

Quellen:

UAW, Rektorat, Med. Fakultät, Dekanat, Rigorosenprotokoll, Sign. 177-117a, Gruss Adolf (Rigorosum Datum: 1887).

UAW, Rektorat, Med. Fakultät, Rigorosen- und Promotionsprotokolle, Sign. 186-2242, Gruss Adolf (Promotion Datum: 18.5.1888).

Geburts- und Taufbuch, Rk. Erzdiözese Wien, St. Florian, Taufbuch, 1889 Sign. 01-51, Folio 200, Guss Johanna.

Literatur:

Gruss, Adolf: Über den Ärztestand. Wien: Friedrich Schalk’s Verlag 1897.

[Zweigbibliothek für Geschichte der Medizin/Neuburger Bibliothek, Sign.: 12445]

Gruss, Adolf: „Naturärzte“. Sonderdruck aus: Ärztliche Reform-Zeitung. Wien: im Selbstverlag 1899.

[Zweigbibliothek für Geschichte der Medizin/Separata Bibliothek]

Gruss, Adolf: Berufszwang und Curpfuscherei. Sonderdruck aus: Ärztliche Reform-Zeitung. Wien: Im Selbstverlage 1900.

[Zweigbibliothek für Geschichte der Medizin/Neuburger Bibliothek, Sign.: 31996]

Gruss, Adolf: Die Anzeigepflicht des Arztes nach § 359 des österr. Strafgesetzes. Sonderdruck. Wien, Leipzig: Wilhelm Braumüller k.u.k. Hof- und Universitäts-Buchhändler 1904.

[Zweigbibliothek für Geschichte der Medizin/Separata Bibliothek]

Gruss, Adolf: Ein Sanitäts-Ministerium oder eine Zentralstelle für das gesamte Sanitätswesen in Österreich? Referat, gehalten in der Sitzung des Reichsverbandes österreichischer Aerzteorganisationen am 29. März 1908. Wien: Im Selbstverlage 1908.

[Zweigbibliothek für Geschichte der Medizin/Neuburger Bibliothek, Sign.: SA-806]

Gruss, Adolf: Aerztliche Streiflichter und die Eigenart des ärztlichen Berufes. Vortrag, gehalten in der Hauptversammlung des >Vereines deutscher Aerzte in Oesterreich< am 16. Oktober 1910. [Wien]: [1910].

[Zweigbibliothek für Geschichte der Medizin/Neuburger Bibliothek, Sign.: 12987]

Gruss, Adolf: Der Vorentwurf zu einem österr. Strafgesetzbuche, soweit er ärztliche Interessen berührt. Referat erstattet im Auftrage des XIV. österr. Aerztekammertages u. der IV. Delegiertenversammlung des Reichsverbandes österr. Aerzteorganisationnen (Vorlage für den XV. Aerztekammertag und die V. Deligiertenversammlung des Reichsverbandes.) Wien: Im Selbstver. des Verf. 1910.

[Zweigbibliothek für Geschichte der Medizin/Separata Bibliothek]

Gruss, Adolf: Entwurf eines österreichischen Strafgesetzbuches, soweit er ärztliche Interessen berührt. Referat für den XVIII. österreichischen Aerztekammertag in Graz. Wien: Verlag des Geschäftsausschusses der österreichischen Aerztekammern 1912.

[Zweigbibliothek für Geschichte der Medizin/Neuburger Bibliothek, Sign.: 17413]

Gruss, Adolf: Die allgemeinen Fahrlässigkeitsparagraphen (§311 und §312) des Entwurfes eines österreichischen Strafgesetzbuches im Lichte der Eigenart des ärztlichen Berufes. Wien: Im Verlage des Geschäftsausschusses der österr. Aerztekammern und des Reichsverbandes österr. Aerzteorganisationen 1913.

[Zweigbibliothek für Geschichte der Medizin/Neuburger Bibliothek, Sign.: 7123]

Gruss, Adolf: Ein noch ungedruckter Brief Billroths. In: Aerztliche Reformzeitung (XV/18) 1913. S. 226-228.

[Zweigbibliothek für Geschichte der Medizin/Neuburger Bibliothek, Sign.: SA-805]

Referenzen:

[1] Neues Wiener Tagblatt (Tages-Ausgabe), 1.9.1889, S. 4.

[2] Neues Wiener Journal, 19.3.1896, S. 2.

[3] Ostdeutsche Rundschau, 10.1.1892, S. 5.

[4] Deutsches Volksblatt, 17.11.1889, S. 8.

[5] Ostdeutsche Rundschau, 16.11.1890, S. 3.

[6] Ostdeutsche Rundschau, 23.11.1890, S. 1-2.

[7] Deutsches Volksblatt, 5.4.1891, S. 8.

[8] Rundschau für die Interessen der Pharmacie, Chemie und verwandter Fächer, 1899, S. 591.

[9] Rundschau für die Interessen der Pharmacie, Chemie und verwandter Fächer, 1899, S. 88.

[10] Wiener medizinische Wochenschrift, Nr. 7, 1905, Sp. 348.

[11] Die Heilkunde. Monatsschrift für praktische Medicin, 1900, S. 374; Deutsches Volksblatt, 21.2.1900, S. 13.

[12] Allgemeine Wiener medizinische Zeitung, 22.12.1908, S. 571.

[13] Illustriertes Wiener Extrablatt, 26.11.1902, S, 6.

[14] Leitmeritzer Zeitung, 11.2.1903, S. 12.

[15] Ostdeutsche Rundschau, 18.10.1903, S. 6.

[16] Arbeiter-Zeitung, 9.10.1903, S. 9.

[17] Internationale klinische Rundschau, Nr. 48, 1900, S. 970.

[18] Internationale klinische Rundschau, Nr. 42/43, 1919, S. 238; Neues Wiener Tagblatt (Tages-Ausgabe), 26.10.1919, S.9.

[19] Neues Wiener Journal, 7.11.1921, S. 7.

[20] Neues Wiener Journal, 29.11.1900, S. 6; Wiener Zeitung, 29.12.1909, S. 2.

[21] Reichspost, 30.3.1919, S. 5.

[22] Neue Freie Presse, 10.4.1920, S. 15.

[23] Wiener klinische Wochenschrift, Nr. 17, 1895, S. 321.

[24] Wiener medizinische Wochenschrift, Nr. 49, 1921, Sp. 2189.

Normdaten (Person): Gruss, Adolf: BBL: 41491; GND: 172500699;

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BBL: 41491 (19.07.2023)
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Letzte Aktualisierung: 2023 07 19

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Aus den medizinhistorischen Beständen der Ub MedUni Wien [186]: Max Ostermann – Verleger und Redakteur der „Ars Medici“ und Facharzt für physikalische Heilmethoden

Max Ostermann – Verleger und Redakteur der „Ars Medici“ und Facharzt für physikalische Heilmethoden

Text: Dr. Walter Mentzel

Max Ostermann wurde am 13. August 1886 in Tauroggen in Russland (heute: Litauen) als Sohn von Moses Aron Ostermann (*zirka 1862-1936 Wien) und Riva Lea Schereschewsky (*zirka 1858-1933 Wien) geboren. Seit 1916 war er mit Olga Katharina Schön (*zirka 1889) verheiratet.

Ostermann studierte an der Universität Wien Medizin und promovierte im Juli 1913. Im Ersten Weltkrieg diente er als Assistenzarzt der Reserve beim Landwehr-Infanterieregiment Nr. 1. Im Dezember 1914 wurde ihm die belobende Anerkennung ausgesprochen[1] und 1917 erhielt er das Offiziersehrenzeichen vom Roten Kreuz.[2] Seit 1933 war er Mitglied der Freimaurerloge Eintracht der B´nai Brith.

Facharzt für physikalische Heilmethoden – Institut für Inhalationstherapie und physikalische Heilmethoden

Ostermann übernahm nach dem Tod von Isaak Eisig Segel (1870-1913) dessen 1909 gegründete Sauerstoff-Inhalationsstätte „Ozonion“ in Wien 9, Spitalgasse 1a und führte sie als Facharzt für physikalische Heilmethoden unter den Namen „Inhalatorium und Lichttherapie Dr. Max Ostermann“ bis 1938 weiter.

Ars Medici. Nr. 3. 1914.

Später nannte er sie in „Wiener Physico-Therapeutisches Institut“ um, zuletzt hieß sie bis 1938 „Privatheilanstalt. Institut für Inhalationstherapie und physikalische Heilverfahren“. Ab spätestens 1920 bot er hier „Lichtkurse mit künstlicher Höhensonne“[3] und seit 1925 auch Bestrahlungskurse an.[4]

Wissenschaftliche Arbeiten

Seine erste Publikationen entstand 1912, als er als Student ein von ihm überarbeitetes und erweitertes Vorlesungsmanuskript für jene zum Rigorosum antretenden Student*innen unter dem Pseudonym „M. Osman“ mit dem Titel „Makroskopisch-diagnostisches Taschenbuch der pathologischen Anatomie. Ein Repetitorium für Rigorosanten und Ärzte“ publizierte. 1923 erschien von ihm der Beitrag „Praktische Inhalations- und Pneumatotherapie mit besondere Berücksichtigung der Lungentuberkulose“ im ersten Band des von Ernst Löwenstein herausgegeben zweibändigen „Handbuch der gesamten Tuberkulose-Therapie“. 1924 veröffentlichte er in der Wiener medizinischen Wochenschrift den Artikel „Zur künstlichen Heliotherapie der Larynxtuberkulose[5] und 1932 den Aufsatz „Der faradische und galvano-faradische Tonisatorstrom in der Theorie und Praxis[6].

Darüber hinaus war Ostermann Verleger verschiedener Zeitschriften wie der „Ars Medici“ und von Monografien. 1927 publizierte er das „Diagnostisch-therapeutisches Taschenbuch im Verlag der Ars Medici. Ein Nachschlagewerk für die Praxis“, in dem die „bewährten Methoden und Rezepte“ der vorangegangenen Jahrgänge der Zeitschrift für Praktiker zusammengefasst waren. 1928 erreichte diese Publikation bereits die dritte und erweiterte Auflage. Als Bearbeiter scheinen neben Ostermann, Alfred (Abraham) Feuerring (1880-1963), Leopold Pollmer (1884-?) und der Kinderarzt Eugen Stransky (1891-1975) auf. Das Geleitwort verfasste Professor Norbert Ortner (1865-1935), der zum Mitarbeiterkreis der Ars Medici gehörte. 1931 kam das von Max Ostermann bearbeitete „Praktikum der physikalischen-diätischen Therapie“ heraus, das 1934 in einer zweiten, ergänzten sowie erweiterten Auflage und 1952 in einer dritten Auflage im Verlag Ars Medici veröffentlicht wurde. Zwischen 1933 und 1938 verlegte Ostermann noch die Zeitschrift „Der praktische Zahnarzt“ im Verlag Ars Medici.

Herausgeber der Zeitschrift Ars Medici

Nach dem Tod von Isaak Eisig Segel im Jahr 1913 übernahm Ostermann auch die Redaktion der im Jänner 1911 von Segel gegründeten Zeitschrift „Ars Medici“. Ab Jänner 1919 erschien sie unter seiner Herausgeberschaft und führte sie am Standort Spitalgasse 1a, wo auch die von ihm von Segel übernommene Ordination ihren Standort hatte, bis März 1938 überaus erfolgreich weiter.

Ars Medici. Nr. 1. 1919.

Ostermann nahm nur sanfte Veränderungen an der Blattlinie vor. Der Umfang der Zeitschrift vergrößerte sich, ausländische Literatur wurde mehr berücksichtigt und therapeutische und diagnostische Notizen vermehrt aufgenommen. Weiterhin folgte er der Blattlinie, bewährte Behandlungsmethoden und die neuerscheinende internationale Fachliteratur und relevante medizinische Forschungsergebnisse zu erfassen und sie in eine für Praktiker*innen anwendbare Weise aufzubereiten. Die Zeitschrift sollte – wie es in ihrer Selbstbeschreibung hieß – als „Berater des Arztes“ und Praktikers fungieren. Der Erfolg und die Beliebtheit der Zeitung lässt sich nicht nur an den überaus hohen Auflagezahlen ablesen, sondern auch an ihrer Nachfrage außerhalb Europas, wie beispielsweise der Türkei, Tunesien, Ägypten, der USA, Japan, Russland, und den Kolonien diverser europäischer Länder.

Neben den Themenblöcken Innere Medizin, Nervenheilkunde, Chirurgie, Geburtshilfe- und Gynäkologie, Laryngologie- und Rhinologie u.a. bot die Zeitschrift inhaltlich noch in den Unterkapiteln Hinweise zur Diagnose und Therapie sowie in einer eigenen Rubrik eine Stellenvermittlung für Ärzt*innen an. Besonders hervorzuheben sind die Rubriken „Aus der Praxis“ und „Meinungsaustausch“, die schon von Segel eingeführt wurden. Hier konnten Ärzt*innen aus dem In- und Ausland Meinungen und Erfahrungen zu Behandlungsmethoden und Fragen der Diagnostik austauschen und Anfragen an die Kollegenschaft stellen, die in der nächsten Ausgabe der Zeitschrift von Kolleg*innen beantwortet und thematisiert wurden. Diese Rubriken wurden von Ostermann nach seiner Übernahme der Zeitschrift fortgeführt, ausgebaut und gehörten zum zentralen Bestandteil der Zeitschrift. Schon 1911 hieß es zum Zweck dieser durchaus modernen Kommunikationsplattform: „Unsere berühmtesten Fachgenossen haben es beklagt, dass zahlreiche therapeutischen und diagnostisch wertvollen Methoden, Handgriffe, Winke der Allgemeinheit aus dem Grunde verloren gehen, weil der Praktiker, der über sie verfügt, keine Zeit zu einer stilgerechten Abhandlung findet. Die Ars Medici will auch für diese Beiträge Publikationsstelle sein.“[7]

Ars Medici. Nr. 6. 1915.

Tatsächlich fanden sich unter den Redaktionsmitgliedern der Zeitschrift zahlreiche Professoren der Medizinischen Fakultät in Wien, die – wie Anton Eiselsberg (1860-1939), Norbert Ortner, Julius Wagner-Jauregg (1857-1940) oder Karl Ullmann (1860-1942) – auf diesem Weg mit praktischen Ärzt*innen kommunizierten, aber auch von deren hier festgehaltenen Erfahrungen profitierten. Im Jahr 1933 bestand das redaktionelle Mitarbeiterteam der Zeitschrift aus den folgenden Personen.

Ars Medici, Nr. 1, 1933.

Im Verlag „Ars Medici“ publizierten auch eine Reihe von Wissenschafter der Medizinischen Fakultät in Wien wie 1930 Eugen Stransky den „Leitfaden der Kinderheilkunde für den praktischen Arzt”, 1932 Viktor BaarWetter und Krankheiten“, 1935 Isidor Fischer sein Werk zu „Wiens Mediziner und die Freiheitsbewegung des Jahres 1848”, in einem Sonderdruck Abraham EitelbergEinige Winke zur Therapie der akuten Mittelohrentzündung“, oder 1934 Karl Ullmann seine Arbeit „Diagnostisch-therapeutisches Vademekum der Geschlechtskrankheiten und ihre Grenzgebiete“.

Die „Ars Medici“ als offizielles Organ der American Medical Association of Vienna (A.M.A.)

Ab Jänner 1923 gab Max Ostermann erstmals gemeinsam mit dem US-amerikanischen Mediziner Professor Aaron Arkin eine englischsprachige Ausgabe der Ars Medici heraus. Der Titel lautete „Ars Medici. The journal of the general practitioner. Reviews and abstracts of medical literature“ und erschien wie ihr deutschsprachiges Pendant monatlich am Verlagsort Spitalgasse 1a. Seit Jänner 1927 war die „Ars Medici“ nach einem Vertragsabschluss mit dem Präsidenten der A.M.A. das offizielle Organ der 1903 gegründeten und 1921 reorganisierten American Medicial Association of Vienna (A.M.A). Sie erschien monatlich als englischsprachige Ausgabe unter dem Titel „Ars Medici. Journal of the American Medical Association“ unter der Herausgeberschaft von Ostermann. In der ersten Nummer findet sich ein Geleitwort des Präsidenten der A.M.A. of Vienna, Leon J. Tiber. Diese Reihe stellt auch eine wesentliche Quelle zur Vereinsgeschichte der A.M.A. in Wien dar.

Verfolgung und Neubeginn

Max Ostermann musste nach dem „Anschluss“ im März 1938 wegen seiner jüdischen Herkunft und der drohenden NS-Verfolgung die Verlagsarbeit einstellen und flüchtete am 22. Juli 1938 in die Schweiz. Die letzte Nummer 6, die Juni-Ausgabe 1938, wurde noch in Wien veröffentlicht, mit Artikeln, die bereits von den Nationalsozialisten vertriebenen Ärzt*innen, verfasst worden waren. Damit endeten in Österreich die Geschichte und Entwicklung eines internationalen Zeitschriftenprojektes, an dem zahlreiche Mediziner*innen der Wiener medizinischen Schule über fast 30 Jahren mitgewirkt hatten.

Die nächste Ausgabe der „Ars Medici“ (Nr. 7/8) kam im August 1938 wieder unter der Herausgeberschaft Ostermanns in der Schweiz im „Verlag der Ars Medici G.m.b.H., Basel 12“ heraus. In dieser ersten Ausgabe gab Ostermann die geplanten Veränderungen, wie der künftig vermehrten Aufnahme englischsprachiger Literatur bekannt, und betonte den Willen zur Fortsetzung der bisherigen Tradition.

Ars Medici. Nr. 7/8. 1938

Seine „Privatheilanstalt Institut für Inhalationstherapie und physikalische Heilverfahren“ in Wien 9, Spitalgasse 1a wurde vom Stabsarzt a.D. und seit 1933 Mitglied der NSDAP, Hans Scheidl (*1868), im November 1938 samt der Konzession zum Betrieb einer Heilanstalt sowie des gesamten Inventars „arisiert“. Die Löschung des Verlags „Ars Medici“ aus dem Handelsregister erfolgte im März 1942.

Ostermann, dessen Ehefrau in Wien zurückblieb und am 21. November 1940 in Wien in ihrer Wohnung am Alsergrund verstarb, lebte ab dem 25. Juli 1938 in Basel. Nach einer mehrjährigen Unterbrechung erschien die Zeitschrift von 1947 bis zu seinem Tod 1967 wieder unter seiner Herausgeberschaft im Verlag Ars Medici/Lüdin AG in der Schweiz. Auch sein 1927 erstmals publiziertes Diagnostische-Therapeutische Handbuch wurde bis in die 1960er Jahre hinein immer wieder neu aufgelegt.

Max Ostermann verstarb am 12. März 1967 in Basel. Heute existiert die Zeitschrift unter dem Titel „Ars Medici – Schweizer Zeitschrift für Hausarztmedizin“.

Seine am 6. Oktober 1917 in Wien geborene Tochter Lisbeth Ostermann studierte im März 1938 an der Universität Wien im sechsten Semester Medizin. Sie war – mit dem Abgangszeugnis vom 7.11.1938 – gezwungen das Studium abzubrechen und flüchtete zu ihrem Vater in die Schweiz, wo sie an der Universität Basel das Studium fortsetzte und 1941 promovierte. Nach dem Zweiten Weltkrieg emigrierte sie zunächst nach England und im Februar 1948 in die USA. Hier absolvierte sie noch im selben Jahr das State Board Exam und ein Praktikum am Flushing Hospital und führte danach eine Arztpraxis in New York. Im Jänner 1954 erhielt sie die US-Staatsbürgerschaft und lebte unter dem Namen „Elizabeth A. Osterman“ in Brooklyn, New York City. Ebenfalls 1954 heiratete sie Paul Wechter. Sie verstarb im Mai 2014 in Longboat Key in Florida, USA.

Der Anstoß zur Beschäftigung mit der österreichischen Geschichte der Ars Medici sowie mit Isaak Segel und Max Ostermann kam von Prof. Franz X. Lackner bei dem ich mich auch für wichtige Hinweise bedanken möchte.

Quellen und Literatur:

UAW, Sign. 134-0660, Ostermann Max (Nationalien Datum 1910/11).

UAW, Sign. 191-0367, Ostermann Max (Promotionsdatum 2.7.1913).

Friedhofsdatenbank Wien, Olga Ostermann.

OeStA, AdR, E-uReang, VVSt., VA, Zl. 60.384, Ostermann Max.

OeStA, AdR, E-uReang, VVSt., Gewerbe, Zl. 3.455, Ostermann Max.

OeStA, AdR, E-uReang, FLD, Zl. 2.733, Ostermann Max.

OeStA, AdR, E-uReang, FLD, Zl. 5.915, Ostermann Max.

Lackner Franz X.: Exploring Vienna between the two world wars. Doctors of the American Medical Association and their families, in: Narratives of Encounters in the North Atlantic Triangle (Zacharasiewicz and Staines eds.), Wien 2015, S. 107-126.

Literaturliste:

Ostermann, Max: Makroskopisch-diagnostisches Taschenbuch der pathologischen Anatomie. Ein Repetitorium für Rigorosanten und Ärzte in 502 typischen Fällen mit 62 Abbildungen. Wien und Leipzig: Šafář 1912.

[Zweigbibliothek für Geschichte der Medizin/Neuburger Bibliothek, Sign.: 52384]

Ostermann, Max: Praktikum der physikalisch-diätetischen Therapie. 2. erg. u. erw. Aufl. Wien: Ars Medici 1934.

[Zweigbibliothek für Geschichte der Medizin/Neuburger Bibliothek, Sign.: 66904]

Keywords:

Ars Medici, Max Ostermann, NS-Verfolgter, Facharzt für physikalische Medizin, Verleger, Medizingeschichte, Wien, Arzt

[1] Medizinische Klinik. Wochenschrift für praktische Ärzte Österreichs. 13.12.1914. S. 1754.

[2] Wiener medizinische Wochenschrift. Nr. 47. 1917. Sp. 2123.

[3] Arbeiter Zeitung. 12.9.1920. S. 11.

[4] Wiener medizinische Wochenschrift. Nr. 8. 1925, Sp. 485.

[5] Wiener medizinische Wochenschrift. Nr. 36. 1924. Sp. 1875-1876.

[6] Wiener medizinische Wochenschrift. Nr. 44. 1932. S. 1389-1390.

[7] Ars Medici. 6.1.1911.

Normdaten (Person) Ostermann, Max: BBL: 39567; GND: 1229195076

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Bitte zitieren als VAN SWIETEN BLOG der Universitätsbibliothek der Medizinischen Universität Wien, BBL: 39567(01.09.2022); Letzte Aktualisierung: 2022 09 01
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