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Aus den medizinhistorischen Beständen der Ub MedUni Wien [245]: Melitta Sperling – Ärztin, Psychoanalytikerin, NS-Verfolgte

Melitta Sperling – Ärztin, Psychoanalytikerin, NS-Verfolgte

Autor: Harald Albrecht, BA M.A.LIS

Published online: 28.09.2023

Keywords: Melitta Sperling, Anna Freud, Asthma, Colitis ulcerosa, George Sperling, Kinderheilkunde, New York Psychoanalytic Society (NYPS), Otto Sperling, Psychoanalyse, Psychosomatik, Transvestismus, Wiener psychoanalytische Gesellschaft

Melitta Sperling (geborene Wojnilower) wurde am 15.10.1899 in Śniatyn/Galizien (Österreich-Ungarn/heute: Snjatyn, Снятин/Ukraine) als Tochter von Hersch Leib Wojnilower und dessen Frau Rachel (geborene Biermann) geboren. Ihr späterer Ehemann beginnt ihren Nachruf mit folgenden Worten über ihre Jugendjahre: „When Melitta was 10 years old, she decided, in identification with an aunt, to become a physician and to fight death and suffering. At the age of 15, during the first World War, she had to flee from the advancing Russian army with her family from Czernowitz in a horse and carriage. Life in Vienna as a refugee was hard, but she succeeded in completing high school with special honors.”[1]

Melitta Sperling, 1958

Nach ihrer 1918 im Gymnasium Wien II (Josef-Gall-Gasse/heute: Danube International School Vienna) erfolgreich abgelegten Matura, begann sie ein Studium der Medizin an der Universität Wien, das sie 1924 mit ihrer Promotion abschloss. Danach spezialisierte sie sich auf Kinderheilkunde, später auf Psychiatrie und arbeitete im Kinderkrankenhaus in Bad Hall und im Allgemeinen Krankenhaus in Wien. In ihrem Turnus lernte sie auf der psychiatrischen Abteilung im Wiener AKH den Psychoanalytiker Otto Sperling (1899-2002) kennen. Die beiden heirateten 1929 und hatten gemeinsam die Kinder George Sperling (*1934, Experimentalpsychologe) und Eva S., verheiratete Cockcroft (*1939, Künstlerin). Ebenfalls 1929 eröffnete Melitta Sperling eine Facharztpraxis für Kinderheilkunde in Wien und begann eine Lehranalyse bei Anna Freud (1895-1982) am Lehrinstitut der Wiener psychoanalytischen Gesellschaft.

Otto und Melitta Sperling wurden aufgrund ihrer jüdischen Herkunft von den Nationalsozialisten verfolgt. Es gelang ihnen 1938 die Emigration in die USA, wo sie sich in New York City niederließen. Von 1939 bis 1942 nahm Melitta Sperling ihre psychoanalytische Ausbildung am NY Psychoanalytic Institute wieder auf, während sie in der pädiatrischen Abteilung des Brooklyn Jewish Hospital arbeitete. Sie initiierte die Gründung der Kinderpsychiatrischen Klinik am Brooklyn Jewish Hospital und wurde zuerst Mitglied, dann Lehranalytikerin und Supervisorin für Kinder und Erwachsene der New York Psychoanalytic Society (NYPS). Daneben eröffnete sie eine Privatpraxis, unterrichtete über die Entwicklung des Kindes und psychosomatische Krankheiten an der Kings County Medical Society und lehrte von 1949 bis 1970 Psychiatrie an der University of New York.

Melitta Sperling veröffentlichte im Laufe ihrer Karriere 75 wissenschaftliche Papers. Davon finden sich auch einige in den Beständen der Universitätsbibliothek der Medizinischen Universität Wien. 1967 erschien: Analyse eines Knaben mit transvestitischen Tendenzen. Ein Beitrag zur Genese und Dynamik des Transvestitismus. 1969 wurde folgende beiden Texte in deutscher Übersetzung veröffentlicht: Psychotherapeutische Aspekte des kindlichen Bronchialasthmas. Und: Psychotherapeutische Aspekte der Coltis ulcerosa bei Kindern. In: Handbuch der Kinderpsychotherapie.

Titelblatt: Psychotherapeutische Aspekte der Colitis ulcerosa bei Kindern

Melitta Sperling war eine Pionierin auf dem Gebiet der psychosomatischen Erkrankungen im Kindesalter und war eine der ersten Analytiker:innen, die diese als „prägenitale Konversionssymptome“ beschrieben hat. Sie konzentrierte „sich auf die Rolle der prägenitalen Konflikte und die spezielle symbiotische Mutter-Kind-Beziehung psychosomatischer Patient:innen. Im Mittelpunkt ihrer zahlreichen Veröffentlichungen standen u.a. Phobien, Migräne, Depressionen, Transvestismus und Colitis ulcerosa.“[2]

Melitta Sperling verstarb am 28.12.1973 in New York City.

Quellen:

Melitta Sperling geb. Wojnilower (1899-1973). In: Psychoanalytikerinnen. Biografisches Lexikon: https://www.psychoanalytikerinnen.de/oesterreich_biografien.html#Sperling Stand: 13.09.2023.

Sperling Melitta, Malka, geb. Wojnilower […]. In: biografiA. Lexikon österreichischer Frauen. Hg.: Ilse Korotin. Bd. 3 P-Z. Wien, Köln, Weimar: Böhlau Verlag 2016. S. 3115.

Mühlleitner, Elke: Sperling, Melitta (Malka), geb. Wojnilower […]. In: Wissenschafterinnen in und aus Österreich. Leben – Werk – Wirken. Hg.: Brigitta Keinzel und Ilse Korotin. Wien, Köln, Weimar: Böhlau Verlag 2002. S. 698-699.

9901 Sperling, Melitta (geb. Melitta Wojnilower) *15.10.1899 Śniatyn/Galizien, Δ 28.12.1973 New York City, New York, USA. In: Handbuch österreichischer Autorinnen und Autoren jüdischer Herkunft 18. bis 20. Jahrhundert. Hg.: Österreichische Nationalbibliothek. Band 3 S-/ 8923-11742 Register. München: K.G. Saur 2002. S. 1290.

Sperling, Otto: Dr. Melitta Sperling […]. In: Pirquet bulletin of clinical medicine. (22/4-5) 1974. S. 6.

Literatur:

Sperling, Melitta: Analyse eines Knaben mit transvestitischen Tendenzen. Ein Beitrag zur Genese und Dynamik des Transvestitismus. In: Psyche. (21/7) 1967. S. [520]-541.

[Universitätsbibliothek, AKH/Magazin, Periodika]

Sperling, Melitta: VI. Psychotherapeutische Aspekte des kindlichen Bronchialasthmas. In: Handbuch der Kinderpsychotherapie. Hg.: Gerd Biermann. Band 2. München: Reinhardt 1969. S. 886-896.

[Universitätsbibliothek, AKH/Magazin, Sign.: 1999-03485]

Sperling, Melitta: VIII. Psychotherapeutische Aspekte der Coltis ulcerosa bei Kindern. In: Handbuch der Kinderpsychotherapie. Hg.: Gerd Biermann. Band 2. München: Reinhardt 1969. S. 912-921.

[Universitätsbibliothek, AKH/Magazin, Sign.: 1999-03485]

Referenzen:

[1] Sperling, Otto: Dr. Melitta Sperling […]. In: Pirquet bulletin of clinical medicine. (22/4-5) 1974. S. 6.

[2] https://www.psychoanalytikerinnen.de/oesterreich_biografien.html#Sperling Stand: 13.09.2023.

Normdaten (Person): Sperling, Melitta: BBL: 42065; GND: 142843482;

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BBL: 42065 (28. 09. 2023)
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Letzte Aktualisierung: 2023 09 28

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