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Aus den medizinhistorischen Beständen der Ub MedUni Wien [282]: Gerber, Otto Paul – Vorstand und Primarius an der Tuberkuloseabteilung des Rainer-Spitals, Primarius im Invalidenamt der Stadt Wien, Vorstandsmitglied der Ärztekammer Wien, NS-Verfolgter

Gerber, Otto Paul – Vorstand und Primarius an der Tuberkuloseabteilung des Rainer-Spitals, Primarius im Invalidenamt der Stadt Wien, Vorstandsmitglied der Ärztekammer Wien, NS-Verfolgter

Autor: Dr. Walter Mentzel

Published online: 30.04.2024

Keywords: Facharzt für Innere Medizin, Tuberkuloseabteilung des Rainer-Spitals, Invalidenamt der Stadt Wien, Vorstandsmitglied der Ärztekammer Wien, Bezirksrat, NS-Verfolgter, Medizingeschichte, Wien

Otto Paul Gerber wurde als Sohn des aus Horitz bei Königrätz in Böhmen (heute: Horice/Tschechien) stammenden Ferdinand Gerber (zirka 1830-1886) und Friederike, geborene Kraus (1844-1895) am 25. März 1875 in Wien geboren. Seit 1903 war er mit Bertha Bergmann (*4.2.1876 Wien) verheiratet, mit der er die beiden Töchter Margarete Frederic (1906-2006) und Freda (*6.11.1904) hatte.

Gerber studierte ab 1894 an der Universität Wien Medizin und schloss das Studium am 7. Juli 1899 mit seiner Promotion ab. 1900 wurde er als Militärarzt dem Infanterieregiment Graf von Abensperg und Traun Nr. 21 zugeteilt[1] und publizierte als Assistenzarzt-Stellvertreter aus der II. Abteilung des Regimentsarztes Dr. Karl Franz im Garnisonsspital Nr. 1 in Wien „Einige Beobachtungen aus der jüngsten Influenza-Epidemie mit besonderer Berücksichtigung des Blutbefundes“.[2]

Zeitgleich mit Julius Frisch erfolgte im Juli 1901 auf Initiative des Kultusvorsteher der IKG Wien, Josef Breuer (1842-1925), seine Bestellung zum Hilfsarzt in der israelitischen Versorgungsanstalt in Wien.[3] 1902 veröffentlichte er gemeinsam mit dem Dozenten Rudolf Matzenauer (1869-1932) in den „Arbeiten aus dem Neurologischen Institut“ in Wien den Aufsatz „Lepra und Syringomyelie“.[4] Danach war er im Arbeiterspital der Bauunternehmung Brüder Redlich und Berger in Tolmein bei Görz tätig, wo er 1905 die Studie „Infektiöse idiopathische Purpura“ publizierte.[5]

Allgemeine Poliklinik Wien

Gerber arbeitete ab zirka 1910 als Assistent an der Abteilung für interne Krankheiten an der Wiener Allgemeinen Poliklinik bei dem Vorstand Professor Julius Mannaberg (1860-1941).[6] 1911 erschien hier von ihm die Arbeit „Zur Benützung der Kresylfarbstoffe in der klinischen Färbetechnik“.[7] Zirka ab 1912 führte er daneben noch gemeinsam mit Ing. Richard Bodanzky an der Kuranstalt Elisabethheim in Wien 9, Elisabethpromenade 37, ein ein chemisch-mikroskopisch-bakteriologisches Laboratorium.

Wiener medizinische Wochenschrift, Nr. 26, 1912, Sp. 1791.

Erster Weltkrieg

Gerber nahm am Ersten Weltkrieg zunächst als Landsturmassistenzarzt teil.[8] 1915 erhielt er die Beförderungen zum Landsturmreservearzt[9] und Landsturmoberarzt.[10] 1917 bekam er das Ehrenzeichen 2. Klasse vom Roten Kreuz mit Kriegsdekoration verliehen.[11] Bei Kriegsende war er dem Garnisonsspital Nr. 19 in Pozsony[12](heute: Bratislava/Slowakei) als Abteilungschefarzt und Leiter des chemisch-bakteriologischen Laboratoriums zugeteilt, und gehörte dem militärärztlichen wissenschaftlichen Verein des Militärkommandos Pozsony an.[13]

Wiener Gesellschaft für Tuberkuloseforschung, Primarius an der Tuberkuloseabteilung des Rainer-Spitals in Wien, Invalidenamt der Stadt Wien

Bereits vor Kriegsende publizierte Gerber die Studie „Die Boden- und Wohnungsfrage. In Beziehung auf die Tuberkulose mit besonderer Berücksichtigung Wiener Verhältnisse“. Nach dem Krieg arbeitete er zunächst als Abteilungsarzt an der Tuberkuloseabteilung des Kriegsspitals Nr. 3 in Wien, bis er 1919 zum Vorstand und Primarius der medizinischen Abteilung für Tuberkulose im Kriegsspital in Grinzing in Wien,[14] und darauf zum Vorstand und Primarius an der Tuberkuloseabteilung des Rainer-Spitals in Wien bestellt wurde. Im November 1919 gehörte er gemeinsam mit Ernst Löwenstein (1878-1950), Richard Volk (1876-1943) und Moriz Weiß dem Gründungskomitee der Wiener Gesellschaft für Tuberkuloseforschung an.[15] Ab 1925 arbeitete er noch als Chefarzt und Vorstand an der Untersuchungsstelle des Bundesministeriums für soziale Verwaltung (Volksgesundheitsamt) für Lungenkranke Kriegsbeschädigte bei der Magistratsabteilung 11 (Invalidenfürsorge) der Stadt Wien.[16]

Gerber beschäftigte sich seit den frühen 1920er Jahren auf dem Gebiet der Berufserkrankungen. 1929 veröffentlichte er dazu „Über Entwicklungsstörungen und Krankheitsanfälligkeit im Lehrlingsalter“.[17] Nachdem das 1911 auf Betreiben von Ludwig Teleky (1872-1957) errichtete „Institut und Seminar für Soziale Medizin“ nach dessen Weggang nach Deutschland nicht nachbesetzt worden war, führte die Vereinigung sozialdemokratischer Ärzte zusammen mit der medizinischen Fachgruppe der sozialdemokratischen Studenten- und Akademikervereinigung das Fach „Soziale Medizin“ an der Universität Wien durch eine Vortragsreihe im Rahmen von „Seminarabende für Soziale Medizin“ als Ersatz weiter. Hier hielt Gerber 1923 und 1924 Vorträge zur „Theorie und Praxis der Tuberkulosefürsorge“.[18]

Vereinigung sozialdemokratischer Ärzte

Gerber kandierte in der Ersten Republik in Wien Alsergrund für die Sozialdemokratischen Partei. Zunächst im Mai 1919,[19] 1927 und 1929 erfolgte seine Wahl in die Bezirksvertretung in Wien Alsergrund.[20] Hier hielt er auch Vorträge wie 1919 zu „Volksgesundheit, Klassenstaat, sozialistische Gemeinwirtschaft“.[21] Daneben referierte er jahrelang in sozialdemokratischen Organisationen, sowie u.a. auch 1927 gemeinsam mit Julius Tandler vor dem Verein Bereitschaft in Wien Alsergrund.[22] Als Mitglied der Vereinigung sozialdemokratischer Ärzte nahm er 1924 gemeinsam mit Julius Tandler (1869-1936), Margarethe Hilferding (1871-1942), Viktor Hammerschlag (1870-1975), Martin Pappenheim (1881-1943), Karl Kautsky (1892-1978), Alfred Bass (1867-1941), Moriz Laub (1869-1952), Sigismund Pellar (1890-1985), Maximilian Weinberger (1875-1954) u.a. an der Tagung zur Schwangerschaftsunterbrechung und Bevölkerungspolitik teil.[23] 1930 publizierte er in der Zeitschrift „Der Sozialistische Arzt“ den Aufsatz „Die Kurpfuscherei“.[24] Daneben engagierte er sich in der Wiener Volksbildung, wo er u.a. auch Vorträge zur Tuberkulose hielt,[25] und die Errichtung von Versorgungskolonien für Lungenkranke propagierte.[26] 1928 erschien von ihm dazu „Die Begutachtung und Behandlung der Lungentuberkulose in der Kassenpraxis. Aus der Untersuchungsstelle des Bundesministeriums für soziale Verwaltung (Volksgesundheit) für lungenkranke Kriegsbeschädigte“. Vom Wiener Landtag wurde er in den Jahren 1924, 1927 und letztmalig 1932 zum Mitglied des Stadtschulrates bestellt.[27]

Ärztekammer Wien

Gerber gehörte in der demokratischen Phase der Ersten Republik der ärztlichen Standesorganisation der Wiener Ärztekammer als Funktionär an. 1928[28] und 1931 erfolgte seine Wahl in dessen Vorstand.[29] Auf diesem Arbeitsgebiet publizierte er u.a. den Artikel „Zur Reform der Sozialversicherung in Österreich“.[30]

Das interessante Blatt, 24.1.1929, S. 3.

Gerber war Mitglied der Gesellschaft für innere Medizin und Kinderheilkunde in Wien. Vor dem Ersten Weltkrieg engagierte er sich im Verein für realgymnasialen Mädchenunterricht.[31] 1923 erhielt er den Titel eines Regierungsrates.[32]

Gerber und seine Familie wurden nach dem „Anschluss“ im März 1938 wegen ihrer jüdischen Herkunft von den Nationalsozialisten verfolgt. Er arbeitete nach dem „Anschluss“ in der Ärzteberatung und im Spital der IKG Wien. Nachdem ihm und seiner Familie die Flucht aus Österreich nach Stockholm gelang, emigrierten sie im Juli 1946 in die USA, und ließen sich in Detroit in Michigan nieder. 1948 nahm er die US-Staatsbürgerschaft an. Nach dem Krieg besuchte er Wien, und veröffentlichte hier 1952 sein Buch „Biologie und Pathologie der organischen Entwicklung. Vom Gen zur Kultur“.

Otto Paul Gerber verstarb am 16. Jänner 1960 in Detroit.

Quellen:

Matriken der IKG Wien, Geburtsbuch 1875, Gerber Paul Otto.

Matriken der IKG Wien, Trauungsbuch 1903, Gerber Otto Paul.

UAW, Sammlungen, Absolutorium, 112.126.693 Gerber, Otto Paul (25.03.1875, Wien), 1893.09.21-1899.07.05.

UAW, Med. Fakultät, Nationalien/Studienkataloge, Sign. 134-0457, Gerber Paul Otto (Nationalien Datum: 1894/95).

UAW, Rektorat, Med. Fakultät, Rigorosen- und Promotionsprotokolle, Sign. 195-095a, Gerber Paul Otto (Rigorosum Datum: 27.6.1899).

UAW, Rektorat, Med. Fakultät, Rigorosen- und Promotionsprotokolle, Sign. 189-0198, Gerber Paul Otto (Promotion Datum: 7.7.1899).

ÖStA, AdR, E-uReang, VVSt., VA, Zl. 25.284, Gerber Otto Paul.

ÖStA, AdR, E-uReang, FLD, Zl. 24.972, Gerber Berta.

Österreich, Wien, jüdische Auswanderungsanträge, 1938-1939

Michigan, Eastern and Western Districts, Naturalization Records, 1837-1993, Index Cards to Naturalization Petitions for the United States District Court for the Eastern District of Michigan, Southern Division, Detroit, 1907-1995. (National Archives and Records Administration: 1999) Gerber Otto Paul.

Michigan, Eastern District, Naturalization Index, 1907-1995, Otto Paul Gerber, 1948.

United States Census, 1950: Detroit. Volkzählungen 1950, Gerber Paulo Otto und Berta.

Literatur:

Gerber, Paul: Die Begutachtung und Behandlung der Lungentuberkulose in der Kassenpraxis. Aus der Untersuchungsstelle des Bundesministeriums für soziale Verwaltung (Volksgesundheit) für lungenkranke Kriegsbeschädigte. Sonderdruck aus: Wiener medizinische Wochenschrift. Wien: Gesellschafts-Buchdruckerei Brüder Hollinek 1928.

[Zweigbibliothek für Geschichte der Medizin/Seprata Bibliothek]

Gerber, Paul: Biologie und Pathologie der organischen Entwicklung. Vom Gen zur Kultur. Wien: Maudrich 1952.

[Universitätsbibliothek MedUni Wien/Freihand-Magazin Ebene04, Sign.: 2018-04641]

Referenzen:

[1] Wiener Zeitung, 22.5.1900, S. 2.

[2] Wiener medizinische Wochenschrift, Nr. 26, 1900, Sp. 1277-1279; Nr. 27, 1900, Sp. 1325-1332.

[3] Die Neuzeit, 19.7.1901, S. 3.

[4] Arbeiten aus dem Neurologischen Institut, Heft 9, 1902, S. 146-168.

[5] Wiener klinische Rundschau, Nr. 19, 1905, S. 329-332.

[6] Die Heilkunde, Monatsschrift für praktische Medizin, H. 4, 1910, S. 131.

[7] Medizinische Klinik, Nr. 3, 1911, S. 107-108.

[8] Der Militärarzt, Nr. 19, 1914, Sp. 391.

[9] Der Militärarzt, Nr. 13, 1915, Sp. 221.

[10] Wiener Zeitung, 22.5.1915, S. 4.

[11] Wiener medizinische Wochenschrift, Nr. 35, 1917, Sp. 1524.

[12] Wiener medizinische Wochenschrift, Nr. 24, 1918, Sp. 1107.

[13] Wiener medizinische Wochenschrift, Nr. 24, 1918, Sp. 1105.

[14] Wiener klinische Rundschau, Nr. 27/28, 1919, S. 155.

[15] Wiener medizinische Wochenschrift, Nr. 43, 1921, Sp. 2126; Neues Wiener Journal, 14.11.1919, S. 2.

[16] Der Invalide, 30.11.1925.

[17] Wiener medizinische Wochenschrift, Nr. 8, 1929, S. 240-245.

[18] Arbeiter Zeitung, 27.11.1923, S. 11; Arbeiter Zeitung, 31.1.1924, S. 5.

[19] Amtsblatt der Stadt Wien 1919, Wien 1919, S. 1119.

[20] Arbeiter Zeitung, 27.4.1927, S. 7. Namensverzeichnis der Mitglieder des Gemeinderates (Landtages) … des Stadtsenates (Landesregierung), der Gemeinderatsausschüsse, der Vertreter Wiens im Bundesrat, der Bezirksvorsteher und Bezirksvorsteher-Stellvertreter, Wien 1929.

[21] Arbeiter Zeitung, 23.4.1919, S. 7.

[22] Arbeiter Zeitung, 22.4.1927, S. 4.

[23] Arbeiter Zeitung, 18.5.1924, S. 8.

[24] Der sozialistische Arzt, H. 4, 1930, S. 164-170.

[25] Neue Freie Presse, 12.2.1921, S. 9.

[26] Der Morgen. Wiener Montagsblatt, 25.4.1921, S. 4.

[27] Wien: Presse- und Informationsdienst, 1922-1992, Rathaus-Korrespondenz, Stadt Wien. Wien 1924 und 1927; Kleine Volks-Zeitung, 8.6.1932, S. 7.

[28] Wiener medizinische Wochenschrift, Nr. 6, 1928, S. 203.

[29] Wiener medizinische Wochenschrift, Nr. 18, 1931, S. 623.

[30] Wiener medizinische Wochenschrift, Nr. 17, 1926, S. 530-532; Nr. 18, 1926, S. 560-563.

[31] Jahresbericht des Vereines für realgymnasialen Mädchenunterricht, Wien 1915, S. 30.

[32] Wiener medizinische Wochenschrift, Nr. 11, 1923, Sp. 552.

Normdaten (Person): Gerber, Otto Paul: BBL: 43819; GND: 1327853809;

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BBL: 43819 (30.04.2024)
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Letzte Aktualisierung: 20240430

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