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Aus den medizinhistorischen Beständen der Ub MedUni Wien [170]: Wilhelm Berall – Praktischer Arzt und Volksbildner

Wilhelm Berall – Praktischer Arzt und Volksbildner

Text: Dr. Walter Mentzel

Wilhelm (Leib Wolf) Berall wurde am 16. Oktober 1869 als Sohn von Herz (1829-1916) und Jentil Berall in Sereth in der Bukowina (heute: Suceava/Rumänien) geboren. 1897 heiratete er die in Wien geborene Julie Ostersetzer (*30.4.1870).

Berall studierte an der Universität Wien Medizin und schloss 1893 das Studium mit dem Rigorosum und im Februar 1896 mit seiner Promotion ab. Nach dem Rigorosum erhielt er seine weitere Ausbildung an der II. Medizinischen Universitätsklinik für interne- und Halskrankheiten bei Professor Leopold Schrötter (1837-1908) und nach seiner Promotion an der I. chirurgischen Klinik bei Professor Eduard Albert (1841-1900).[1] Zu seinen wissenschaftlichen Publikationen zählt der 1899 erschienene Aufsatz „Zur Wirkung der Röntgen-Strahlen[2], die 1904 in der Wiener medizinischen Wochenschrift publizierte Arbeit „Ein Fall von Extrasystolen“ und die 1914 erschienene Monografie „Chemisches Praktikum für Mediziner und Pharmazeuten sowie zum Privatstudium“, die sich in der Zweigbibliothek für Geschichte der Medizin befindet.

Neben seiner Tätigkeit als praktischer Arzt führte er noch in Wien 2 eine private Ausbildungs- und Lehranstalt für Massage und widmete sich der Sexualaufklärung und der Verhütung und der Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten. Dazu hielt er regelmäßig populär-wissenschaftliche Lichtbildervorträge an Schulen, vor sozialdemokratischen Frauenorganisationen,[3] Wiener Arbeiterheimen und Volksbildungsstätten oder vor Gewerkschaftsorganisationen. Seine Vorträge waren über lange Jahre beim Publikum beliebt und gut besucht.



Arbeiter-Zeitung. 19.2.1911. S. 16

Österreichische Buchhändler-Correspondenz. 31.10.1917. S. 520.

Zu diesem Themenbereich publizierte er eine Reihe von Arbeiten, darunter 1909 die populärwissenschaftliche Sexualaufklärungsschrift „Wahrheit und Klarheit über die Geschlechtskrankheiten. Ärztlicher Ratgeber für Mann und Weib zur Verhütung und Heilung der Geschlechtskrankheiten“, in der er für eine frühe sexuelle Aufklärung der Jugend eintrat und die über viele Jahre weite Verbreitung fand. Im Jahr 1917 erschienen von ihm noch die Arbeiten zur „Verhütung und Heilung der Geschlechtskrankheiten“ und in der Hebammen-Zeitung der Artikel „Ueber Geschlechtskrankheiten“.[4]

Berall war Mitglied des 1888 gegründeten Vereines für erweiterte Frauenbildung in Wien, weiters der Gesellschaft der Ärzte in Wien und Mitglied der Gesellschaft für Innere Medizin und Kinderheilkunde. Vor dem Ersten Weltkrieg engagierte er sich als Mitglied und Vizeobmann im Allgemeinen Volksbildungsvereins in Sereth in der Bukowina.[5]

Wilhelm Berall verstarb am 30. Juli 1935 in Wien. Seine Ehefrau Julie wurde wegen ihrer jüdischen Herkunft von den Nationalsozialisten am 8.12.1942 im Ghetto Theresienstadt ermordet, seiner Tochter Magdalene Berall, die seit den späten 1920er Jahren als Journalistin für Wiener Zeitungen arbeitete, gelang die Flucht vor den Verfolgung durch die Nationalsozialisten in die USA.

Quellen:

Friedhofsdatenbank der Gemeinde Wien: Berall Wilhelm

UAW, Med. Fakultät, Nationalien/Studienkataloge, Sign. 134-0355, Berall Leib Wolf (Nationalien Datum 1890/91).

UAW, Rektorat, Med. Fakultät, Rigorosenprotokoll, Sign. 177-44b, Berall Leib Wolf (Rigorosen Datum 1893).

Friedhofsdatenbank der IKG Wien, Berall Wilhelm

Opferdatenbank des Institut Theresienstadt-Initiative (Institutem Terezínské iniciativy), Berall Julie.

Literaturliste:

Berall, Wilhelm: Wahrheit und Klarheit über die Geschlechtskrankheiten. Ärztlicher Ratgeber für Mann und Weib zur Verhütung und Heilung der Geschlechtskrankheiten. Wien: A. Mejstrik 1909.

[Zweigbibliothek für Geschichte der Medizin/Gesellschaft der Ärzte Bibliothek, Sign.: GÄ-17919]

Berall, Wilhelm: Ein Fall von Extrasystolen. Sonderdruck aus: Wiener medizinische Wochenschrift. Wien: Verlag von Moritz Perles k.u.k. Hofbuchhandlung 1904.

[Zweigbibliothek für Geschichte der Medizin/Separata Bibliothek]

Berall, Wilhelm: Chemisches Praktikum für Mediziner und Pharmazeute sowie zum Privatstudium. (Enthält Anorganische und Organische, Maß- und Gewichtsanalyse, Harnanalysen, Physiologisch-chemische Untersuchungen, Alkaloide etc.) Gründliche Anleitungen bei den praktischen Übungen im chemischen Labor. Wien: Kommissions-Verlag A. Schönfeld 1914.

[Zweigbibliothek für Geschichte der Medizin/Gesellschaft der Ärzte Bibliothek, Sign.: SA-1623]

Keywords: Sexualaufklärung, Wilhelm Berall, Arzt, Wien

[1] Bukowinaer Rundschau. 27.2.1896. S. 3.

[2] Wiener medizinische Wochenschrift. Nr. 22. 1899. Sp. 1048-1049.

[3] Arbeiterinnen-Zeitung. H. 11. 1911. S. 10.

[4] Hebammen-Zeitung. 15.2.1917. S. 39-41

[5] Czernowitzer Allgemeine Zeitung. 13.5.1910. S. 4.

Normdaten (Person) Berall, Wilhelm: BBL: 38853; GND: 1256387789

Bio-bibliografisches Lexikon (BBL)/Liste aller Beiträge der VS-Blog-Serie: Aus den medizinhistorischen Beständen der Ub MedUni Wien

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Aus den medizinhistorischen Beständen der Ub MedUni Wien [164]: Gertrud Ceranke – Ärztin, Volksbildnerin, Aktivistin in der Wiener Frauenrechtsbewegung und NS-Verfolgte

Gertrud Ceranke – Ärztin, Volksbildnerin, Aktivistin in der Wiener Frauenrechtsbewegung und NS-Verfolgte

Text: Dr. Walter Mentzel

Gertrud Ceranke wurde am 19. März 1893 als Tochter des Frauenarztes und Gynäkologen Emil Ekstein und Olga, geborene Jontof, in Teplitz-Schönau in Böhmen geboren. Sie studierte an der Universität Wien Medizin [1] und rückte zu Beginn des Ersten Weltkrieges als Studentin gemeinsam mit ihrem Vater als dessen Assistentin als Militärärztin zum Kriegsdienst ein, später war sie während des Krieges als Unterärztin an der königl. Charité in Berlin tätig.[2] 1918 heiratete sie den Mediziner Paul Ceranke und legte im Juli 1919 ihr Rigorosum an der Universität Wien ab. Danach arbeitete sie als praktische Ärztin in Wien.

Gertrud Ceranke als Volksbildnerin und in der Frauenbewegung

Ab Mitte der 1920er Jahre trat Ceranke vor allem als Volksbildnerin öffentlich in Erscheinung. Zunächst referierte sie zu frauen- und kindermedizinischen Themen wie u.a. zur Sexualaufklärung, dem § 144 (Schwangerschaftsabbruch) und zu Fragen der Hygiene vor allem in sozialdemokratischen Organisationen, wie den Freidenkern oder in Bezirks- und Frauenorganisationen in Wien, später auch als Referentin des Wiener Stadtschulrates.[3] Als Publizistin verfasste sie Artikel in der sozialdemokratischen Zeitung „Die Unzufriedene“[4] oder in der „Hebammen-Zeitung[5], dem Organ des von ihrem Vater unterstützen und mitaufgebautem Reichsverband der Hebammen Österreichs. Ihre Vortragstätigkeit zu medizinischen Themen behielt sie bis zum „Anschluss“ im März 1938 bei, zuletzt vermehrt im Rahmen der volkstümlichen Universitätskurse oder an Wiener Volkshochschulen wie zuletzt im Februar 1938 an der Volkshochschule Volksheim.[6]

Ihre spezifischen medizinischen Themen brachte Ceranke seit den frühen 1920er Jahren auch in die Wiener Frauenrechtsbewegung ein. Während sie vorerst in einem Naheverhältnis zur sozialdemokratischen Frauenbewegung gestanden sein dürfte, engagierte sie sich später im Wiener Frauenverband und danach – wie auch Frieda Becher von Rüdenhof – als aktives Mitglied in der 1929 von Marianne Hainisch gegründeten Österreichischen Frauenpartei (ÖPF), und nach dessen Liquidierung ab 1934 in der Nachfolgeorganisation, dem Verein Österreichische Frauenschaft.[7] Hier fungierte sie als Referentin und als Leiterin der „zweiten Stunde für Volksgesundheit“, bzw. übernahm sie hier die Eheberatung.[8] Daneben war sie in den 1930er Jahren als Mitglied, Referentin und Kursleiterin zum Kurslehrgang Hygiene in der 1901 gegründeten „Vereinigung der arbeitenden Frauen“ tätig.[9]

Neben Gertrud Bien, Hedwig Fischer-Hofmann, und der Professorin Cornelie Much-Benndorf gehörte sie noch als Mitglied der Kommission für Volksgesundheit in der Bundeskommission des Bundes österreichischer Frauenvereine (BÖFV) an, der Dora Brücke-Teleky als Kommissionsvorsitzende vorstand.[10]

Von Gertrud Ceranke besitzt die Zweigbibliothek für Geschichte der Medizin in der Separata-Bibliothek die von ihr 1929 in der Wiener medizinischen Wochenschrift publizierte Arbeit „Über den Heileffekt der künstlichen Höhensonne“.

Ceranke war jüdischer Herkunft und nach dem „Anschluss“ im März 1938 durch die 4. Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 25. Juli 1938 und dem Erlöschen der Approbation jüdischer Ärzt*innen mit 30. September 1938 mit einem Berufsverbot belegt. Sie überlebte dem Holocaust und verstarb im Oktober 1956 in Wien.

Ihre Tochter Susanne Ceranke, geboren am 1. Oktober 1921 in Wien, maturierte im März 1939 in Wien und legte zwischen April und September 1939 den verpflichtenden Reichsarbeitsdienst in Freilassing in Bayern ab. Im Wintersemester 1939/40 begann sie mit dem Studium an der Medizinischen Fakultät der Universität Wien. Da sie im Nationalsozialismus als „Mischling 1. Grades“ galt, konnte sie ihr Studium zunächst aufnehmen, musste jedoch im 1. Trimester 1940 um ihre weitere Studienzulassung beim Reichserziehungsministerium in Berlin ansuchen. Nach der Ablehnung des Gesuches im Juni 1940 blieb sie von der weiteren Inskription ausgeschlossen. Sie konnte erst nach der Befreiung Österreichs im April 1945 ihr Studium wiederaufnehmen und als mittlerweile verheiratete Susanne Höfermayer das Studium am 15. Juni 1949 mit ihrer Promotion abschließen. Zunächst arbeitete sie als Hilfsärztin an der Psychiatrisch-Neurologischen Universitäts-Klinik. In ihrer zweiten Ehe war sie mit dem Privatdozent Prof. Dr. Ottokar Arnold (1917-2008) verheiratet. Susanne Arnold verstarb am 9. März 2002 in Wien.

Quellen:

AUW, Rektorat, Med. Fakultät, Rigorosen- und Promotionsprotokolle, Sign. 196-0108, Ceranke, geb. Ekstein Gertrud (Rigorosum 23.7.1919).

ÖStA, AdR, E-uReang, VVSt, VA, Zl. 469, Ceranke Gertrud.

Datenbank Friedhöfe Wien: Ceranke Gertrud.

Gedenkbuch für die Opfer des Nationalsozialismus an der Universität Wien 1938: Ceranke Susanne.

Arias, Ingrid: „… und bietet Gewähr sich jederzeit rückhaltlos einzusetzen …“ Kontinuitäten und Brüche in den Karrieren des ärztlichen Personals im Altersheim Lainz 1938-1950. In: In der Versorgung. Vom Versorgungshaus Lainz zum Geriatriezentrum „Am Wienerwald“. Hg.: Ingrid Arias, Soni Horn Sonia und Michael Hubenstorf Michael. Wien: Verl.-Haus d. Ärzte 2004. S. 219-224.

Literaturliste

Ceranke, Gertrud: Über den Heileffekt der künstlichen Höhensonne. Sonderdruck aus: Wiener medizinische Wochenschrift. Wien: Verlag von Moritz Perles 1929.

[Zweigbibliothek für Geschichte der Medizin/Separata-Bibliothek]

Keywords:
Frauenrechtsbewegung, Gertrud Ceranke, Volksbildung, Wien, Ärztin

[1] Teplitz-Schönauer Anzeiger. 25.2.1915. S. 5.

[2] Wiener medizinische Wochenschrift. Nr. 10. 1916. Sp. 381.

[3] Kleine Volks-Zeitung. 5.2.1932. S. 7.

[4] Die Unzufriedene. 14.8.1926. S. 7

[5] Hebammen-Zeitung. 1.1.1926. S. 5; 1.11.1926. S. 3; 1.1.192. S. 15.

[6] Das kleine Volksblatt. 22.2.1938. S. 14; 13.10.1932.

[7] Das Wort der Frau. 24.1.1932. S. 4.

[8] Neue Freie Presse. 6.10.1931. S. 5.

[9] Österreichische Frauenrundschau (Mitteilungen der Vereinigung der arbeitenden Frau). H. Februar. 1935. S. 3.

[10] Die Österreicherin. Nr. 1. 1931. S. 2.

Normdaten (Person) Ceranke, Gertrud: BBL: 38690; GND:1254723439

Bio-bibliografisches Lexikon (BBL)/Liste aller Beiträge der VS-Blog-Serie: Aus den medizinhistorischen Beständen der Ub MedUni Wien

Bitte zitieren als VAN SWIETEN BLOG der Universitätsbibliothek der Medizinischen Universität Wien, BBL: 38690 (28.03.2022); Letzte Aktualisierung: 2022 03 28
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