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Aus den medizinhistorischen Beständen der Ub MedUni Wien [71]: Restitutionsfall: Stefan Auspitz von Artenegg

Restitutionsfall: Stefan Auspitz von Artenegg

Text: Dr. Walter Mentzel

Im April 2018 führte die Universitätsbibliothek der Medizinischen Universität Wien die Restitution im Fall „Stefan Auspitz“ an dessen Erbberechtigten/RechtsnachfolgInnen durch, nachdem am Standort Zweigbibliothek für Geschichte der Medizin drei Bücher aus der ehemaligen Privatbibliothek von Stefan Auspitz als entzogenes Raubgut identifiziert werden konnte. Bei den nunmehr restituierten Büchern handelt es sich um:

Rosenberger, Eugenie: Felix Du Bois-Reymond 1782-1865. Berlin: Mayer & Jensen 1912.

[Zweigbibliothek für Geschichte der Medizin/Neuburger Bibliothek, Sign.: 18066]

http://webapp.uibk.ac.at/alo/cat/card.jsp?id=8634046&pos=0&phys=

Helmholtz, Hermann von.: Vorlesungen über die elektromagnetische Theorie des Lichts. Hrsg. von Arthur König und Carl Runge. Bd. 5. Hamburg, Leipzig: Voss 1897.

[Zweigbibliothek für Geschichte der Medizin/NeuburgerBibliothek, Sign.: 18072/5]

http://webapp.uibk.ac.at/alo/cat/card.jsp?id=8583915&pos=1&phys=

Francé, Raoul Heinrich: Der heutige Stand der Darwin’schen Fragen. Eine Wertung der neuen Tatsachen und Anschauungen. 2. umgearbeitete Auflage. Leipzig: Thomas 1907.

[Zweigbibliothek für Geschichte der Medizin/Neuburger Bibliothek, Sign.: 10377]

http://webapp.uibk.ac.at/alo/cat/card.jsp?id=8570024&pos=0&phys=

Alle drei als geraubt identifizierten Bücher tragen als Provenienzmerkmal den handschriftlichen Vermerk: „Stefan Auspitz“, die mit jener von Stefan Auspitz 1938 abgegebenen Unterschrift unter seine Vermögensanmeldung bei der im Ministerium für Wirtschaft und Arbeit eingerichteten Vermögensverkehrsstellem übereinstimmt.

Abb. 1.   Handschriftlicher Vermerk: „Stefan Auspitz“

Die drei an der Zweigbibliothek für Geschichte der Medizin eruierten Bücher aus der Privatbibliothek Stefan Auspitz wurden laut handschriftlichen Eintragungen vom ehemaligen Institut für Geschichte der Medizin am 13. und 26. April sowie am 19. November 1948 vom Wiener Antiquariat Alfred Wolf, einem im NS-Bücherraub aktiv involvierten Unternehmen, käuflich erworben. Die Bücher dürften entweder aus dem Warenlagerbestand der „Möbelverwertungsstelle“ der Vugesta – einer mit der Gestapo kooperierenden Organisation, die in der Speditionsbranche angesiedelt war und eine zentrale Rolle bei der Beschlagnahmung, Entziehung und Verwertung von Mobilien einnahm – oder direkt im Zuge der von Stefan Auspitz getätigten Notverkäufe in das Warenlager dieses Antiquariates einverleibt worden sein.

Stefan Auspitz (von Artenegg) wurde am 11. Oktober 1869 in Wien als Sohn von Carl Auspitz (*4.11.1824 Wien, gest. 18.8.1914 Gastein) und Mathilde Auspitz (*1.2.1883 Wien, gest. 13.12.1910 Wien), geborene Porges, geboren. Auspitz stammte aus einer großbürgerlichen jüdischen Familie und war an dem von seinem Großvater Samuel Auspitz (*12.3.1795 Bzenec/Hodonin/Mähren, gest. 30.6.1867 Baden bei Wien) gegründeten Bankhaus „Auspitz Lieben & Co“ beteiligt und stand dieser ab 1906 – nach dem Tode seines Onkels, Rudolf Auspitz – vor. Nachdem das Bankhaus infolge der Weltwirtschafts- und Finanzkrise 1931 Konkurs anmelden musste und einen Ausgleich anstrebte, haftete Auspitz mit seinem gesamten Privatvermögen für die Bank.

Auspitz hatte seine Privatbibliothek bereits im Jahr 1934 an den Schweizer Industriellen Dr. Harald Paul Reininghaus (*1898, gest. 1972) übertragen, der mit der Nichte von Auspitz, Lilian Auspitz (*20.7.1904 Wien, gest. 1978), der Tochter des Bruders von Stefan Auspitz, Theodor Auspitz (*16.3.1861 Wien, gest. 27.7.1939), verheiratet war. Die Bibliothek verblieb jedoch weiterhin in der Privatwohnung von Stefan Auspitz in Wien I, Schwarzenbergstraße 3.

Stefan Auspitz kam im November 1940 wegen des Besuches einer Parkanlage und Unterlassung seiner Kennzeichnungspflicht als „Jude“ in eine zehntägige-Gestapohaft und wurde am 9. Oktober 1942 in das KZ Theresienstadt deportiert. Wenige Tage nach seiner Deportation erfolgte die Beschlagnahmung und vollständige Plünderung sämtlicher Einrichtungsgegenstände der Wohnung von Stefan Auspitz durch die Gestapo. Die Bücher aus der Bibliothek kamen daraufhin in die zentrale „Möbelverwertungsstelle von jüdischen Umzugsgut“, eine von der Gestapo eingerichteten Nebenstelle der Vugesta, die die Räumung der Wohnungen deportierter Juden und Jüdinnen in Wien durchführte.

Stefan Auspitz heiratete am 29. November 1944 im KZ Theresienstadt die Witwe Josefine Weisz, geborene Fasal, (*3.10.1875 Troppau/Österreichisch-Schlesien). Beide überlebten den Holocaust durch die Befreiung der Roten Armee im Mai 1945 und kehrten nach Wien zurück. Er verstarb am 17. Dezember 1945 in Wien an den Folgen der KZ-Haft.

Quellen:

ÖStA, AdR, E-uReang, VVSt., VA., Zl. 11.686, Stefan Auspitz.

ÖStA, AdR, E-uReang. FLD, Zl. 27.093, Stefan Auspitz.

ÖStA, AdR, E-uReang Hilfsfonds Sammelstellen A und B/Sammler A/B/Liegenschaften u.a./Verkauf SSt. .Zl. 6.020 Auspitz Stefan.

WStLA, VEAV, Wien, Zl. 1306, Zl. 1181, Bezirk: 1.

Namentliche Erfassung der österreichischen Holocaustopfer, Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes, Wien.

Yad Vashem/Zentrale Datenbank der Namen der Holocaustopfer.

Friedhofsdatenbank der IKG Wien.

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Aus den medizinhistorischen Beständen der Ub MedUni Wien [3]: Das „Ärztliche Lesezimmer im Allgemeinen Krankenhaus in Wien“ – Die Vorgängerinstitution der Universitätsbibliothek der Medizinischen Universität Wien

Das „Ärztliche Lesezimmer im Allgemeinen Krankenhaus in Wien“ – Die Vorgängerinstitution der Universitätsbibliothek der Medizinischen Universität Wien

Text: Dr. Walter Mentzel

Am 12. September 1915 schrieb der Radiologe Professor Guido Holzknecht in der „Neue Freien Presse“: „Zu den beliebtesten medizinischen Lesestätten in Wien gehören neben der Bibliothek der Gesellschaft der Ärzte, […] die zentral in der Stadt gelegenen ärztlichen Lesezimmer im Allgemeinen Krankenhause, die früher von den zahlreichen im Felde stehenden Ärzten und besonders den in Wien zu Studienzwecken weilenden ausländischen Ärzten, durch Beiträge erhalten wurde.“ (Neue Freie Presse, 12.9.1915, S. 13)

Das sogenannte „ärztliche Lesezimmer im allgemeinen Krankenhaus in Wien“ war zum Zeitpunkt als diese Zeilen geschrieben worden sind, bereits seit mehr als 40 Jahren die zentrale Bibliothekseinrichtung des Allgemeinen Krankenhaus und der Medizinischen Fakultät Wien. Damit ist diese Einrichtung die ideelle Vorgängerorganisation der heutigen Universitätsbibliothek an der Medizinischen Universität Wien. Als Vorläuferinstitution des „Lesezimmers“ kann wiederum die 1807 von Vincenz Ritter von Kern (1760-1829) gegründete „Chirurgische Lesegesellschaft“ im AKH in Wien gelten.

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Exlibris-Stempel: „Ärztliches Lesezimmer Wien im allgemeinen Krankenhaus“

Gegründet am 1. Oktober 1869 und eröffnet am 9. Oktober am Standort des heutigen „Alten AKH“, ging diese Bibliothek samt ihren Lesesälen aus der Initiative von Sekundarärzten der Medizinischen Fakultät hervor: konkret von dem zu dieser Zeit als Assistent von Carl Ludwig Sigmund (1810-1883) an dessen Abteilung und späteren Klinik für Syphilidologie und Dermatologie im Allgemeinen Krankenhaus arbeitenden Dr. Josef Grünfeld 81840-1910). Grünfeld und seine Ehefrau Sofie (1856-1946) waren Philanthropen und engagierten sich in zahlreichen Initiativen zur Bekämpfung der Armut und in der Kinderfürsorge, sowie in jüdischen Wohlfahrtseinrichtungen, als auch im universitären Bereich als Präsident des „Vereins zur Unterstützung mitteloser israelitischer Studierender“ und als Ehrenpräsident des „Arbeitsvermittlungsvereins für jüdische Hochschüler“, den er mitbegründet hatte. Er nahm nach der Gründung des Vereins „Ärztliches Lesezimmer“ im Verein die Rolle des Kassiers ein und war Mitglied des Vereinssauschusses. Als erster gewählter Vereinsobmann fungierte der Sekundararzt und spätere Primararzt im AKH Wien sowie Dozent an der Universität Wien Isidor Hein (1840-1885). Ein späterer Obmann des Vereines bzw. des Komitees war der Pathologe Johann Kundrat (1845-1893). Der Lesesaal und die Bibliothek des Vereines dienten in den folgenden Jahren als Versammlungs- und Veranstaltungsort der Wiener Ärzteschaft am AKH.

Die Bibliothek:

Der auf Vereinsbasis geführten Bibliothek stand als Leitungs- und Organisationsorgan ein „Comitè“ vor. Die Benützung der Bibliothek blieb zunächst nur Absolventen der Medizinischen Fakultät und akademischen Mitarbeitern des AKH vorbehalten,[1] während seit Oktober 1877 in Wien IX., Garnisonsgasse 1 (Parterre) ein studentischer Leseverein existierte, der für die Literaturversorgung für Studenten der Medizin sorgte.[2] Finanzielle Zuwendungen für die Beheizung und Beleuchtung der Bibliothek kamen seitens des Krankenhausfonds. Der Bibliotheksverein zählte 1873 120 Mitglieder (darunter Sekundarärzte, Assistenten, Operationszöglinge und Aspiranten, Professoren und Primarärzte sowie ausländische Ärzte). Die Bibliothek umfasste zu dieser Zeit 1605 Monografien und 54 Zeitschriften.[3] Bis zum Ersten Weltkrieg wuchs der Bibliotheksbestand auf 22.000 Bucheinheiten und Zeitschriften an und war zu dieser Zeit bereits die größte medizinischen Spitalsbibliothek Wiens. Die Bibliothek besaß auch Bücherbestände aus dem 17. und 18. Jahrhundert und wurde kontinuierlich durch Erwerbungen und Schenkungen erweitert.

Wie auch andere medizinische Bibliothekseinrichtungen in Wien wurde das „Ärztliche Lesezimmer im Allgemeinen Krankenhaus“ nach dem „Anschluss“ im März 1938 im Oktober 1939 durch einen Senatsbeschluss des Dekanats der Medizinischen Fakultät Wien im Kontext der „Modernisierungs- und Neuordnungspläne“ liquidiert und die Bücherbestände an das im NS-Bücherraub involvierte Antiquariat „Alfred Wolf“ veräußert. Damit wurde ein genuin an der medizinischen Fakultät gewachsener Bibliotheksbestand und eine zentrale Bibliotheksorganisation im AKH Wien ausgelöscht und zerstört.

Schon ein Jahr nach der Liquidierung der Bibliothek wurden 1940 durch den neu bestellten Leiter des Institutes für Geschichte der Medizin, Fritz Lejeune (1892-1966), und auch noch in den Jahren nach 1945 vom Institut einzelne Exemplare der ehemaligen Bibliothek im AKH – als nunmehr „antiquarische“ Bücher – vom Antiquariat „Alfred Wolf“ angekauft. Sie befinden sich heute an der Zweigbibliothek für Geschichte der Medizin.

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Links oben: Hinweise auf den Ankauf: „29. Jänner 1941 Wolf“

Quellen:

JAMA. 1911. 56 (14). S. 1057-1078.

Neue Freie Presse. 12.9.1915. S. 13.

Neues Wiener Journal. 15.5.1910. S. 17.

Wiener medizinische Wochenschrift. 6.10.1869. S. 1363.

Die Presse, Local-Anzeiger der „Presse“. 19.1.1870. S. 13.

Sammlungen der Medizinischen Universität Wien, HSK, Zl. 1517/9.

Archiv der Universität Wien, Senatsakten der Med. Fak. 1938/39.

[1] Morgen-Post. 19.10.1877. S. 4.

[2] Neue Freie Presse. 19.10.1877. S. 5.

[3] Wiener Zeitung. 22.1.1873. S. 5

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Bio-bibliografisches Lexikon (BBL)/Liste aller Beiträge der VS-Blog-Serie: Aus den medizinhistorischen Beständen der Ub MedUni Wien

Bitte zitieren als VAN SWIETEN BLOG der Universitätsbibliothek der MedUni Wien, BBL: 26565 (27.10.2016); Letzte Aktualisierung: 2022 01 27
Online unter der URL: https://ub-blog.meduniwien.ac.at/blog/?p=26565