Aus den medizinhistorischen Beständen der Ub MedUni Wien [219]: Martin Jungmann – Facharzt für Röntgenologie an der II. Frauenklinik im Allgemeinen Krankenhaus in Wien – Entwickler der Gravitationsbelastungspathologie – NS-Verfolgter

Martin Jungmann – Facharzt für Röntgenologie an der II. Frauenklinik im Allgemeinen Krankenhaus in Wien – Entwickler der Gravitationsbelastungspathologie – NS-Verfolgter

Text: Dr. Walter Mentzel

Martin Jungmann wurde am 24. September 1895 in Teschen in österreichisch Schlesien (heute: Cieszyn/Polen) geboren. Nach der Matura am Gymnasium in Bielitz studierte er ab 1914 an der Universität Wien Medizin. 1916 musste Jungmann das Studium wegen seiner Einberufung zum Kriegsdienst unterbrechen, den er als Militärarzt an der Nordostfront in Galizien, später an der Südwestfront in den Dolomiten, leistete. 1919 nahm er das Studium wieder auf und schloss es am 22. März 1921 mit der Promotion ab.

Zunächst begann er seine Laufbahn als Mediziner am Zentral-Röntgeninstitut an der Universität Wien bei Professor Guido Holzknecht (1872-1831). Hier arbeitete er an der Beanspruchung der Muskel-Skelett-Struktur des Menschen, insbesondere des Beckenprofils, sowie an Behandlungsmethoden mit Röntgenbestrahlungen für Patient:innen mit hartnäckigen Rückenschmerzen, vor allem aber entwickelte die Gravitationsspannungs- und Belastungspathologie, die 1928 erstmals eingesetzt wurde. Danach wechselte er als Facharzt für Röntgenologie und als Röntgenassistent an der II. Frauenklinik zu Professor Fritz Kermauner (1872-1931), und wirkte daneben an der Röntgenabteilung des Kosmetik Institutes Dr. Ernst Eitner in Wien 1, Rotenturmstraße 12.[1] 1926 eröffnete er ein Röntgeninstitut in Wien 1, Franz Josefs-Kai 1.[2] Zwischen 1928 und 1938 hielt Jungmann zu seinem Forschungsgebiet fünfzehn Vorlesungen an der Gesellschaft der Ärzte in Wien.

1929 publizierte er eine Artikelserie über „Die Theorie der statisch-dynamischen Dekompensation Senkrumpf und Plattrumpf“, die als Sonderdruck erschien und sich in der Separata-Bibliothek der Zweigbibliothek für Geschichte der Medizin befindet. Weiters veröffentlichte er 1936 die Artikelserie „Die Bekämpfung der „statisch-dynamischen Dekompensation“ durch den „Beckenhebel“ (Scherenhebelprinzip)“ (Teil 1),[3] (Teil 2),[4] (Teil 3)[5] (Teil 4),[6] (Teil 5),[7] (Teil 6),[8] (Teil 7),[9] (Teil 8),[10] (Teil 10)[11].

Nach dem Tod von Kermauner verließ der die Universität und arbeitete als Facharzt in seiner privaten Praxis in Wien.

New York, U.S. District Court Naturalization Records

Jungmann war nach dem „Anschluss im März 1938 wegen seiner jüdischen Herkunft der NS-Verfolgung ausgesetzt. Ihm gelang zunächst die Flucht nach Paris, von wo er ein Jahr später im November 1939 mit der SS Noordam über Rotterdam in die USA emigrierte.

In New York eröffnete er 1940 eine private Arztpraxis und arbeitete auf seinem Forschungsgebiet weiter. 1957 gelang es ihm mit Unterstützung seiner Patienten die Gründung des Institute for Gravitational Strain Pathology Inc, wo er auch Kurse über seine Behandlungsmethoden anbot und seine Forschungen fortsetzte, die sich auch in einer Reihe von Publikationen niederschlugen. Ab 1966 begann er Mediziner:innen auf dem Gebiet der Osteopathie mit seinen Behandlungskonzepten vertraut zu machen und sie darin auszubilden.

In den USA heiratete er 1941 die in Berlin geborene und ebenfalls vor den Nationalsozialisten geflohene Gertrude Klein-Lehmann (1909-2000). Jungmann verstarb am 17. April 1973 in Pinellas, Florida. Seine Ehefrau gab 1995 in New York die „Papers of Martin Jungmann, M.D.“ heraus.

Quellen:

UAW, Med. Fakultät, Nationalien/Studienkataloge, Sign. 134-0696, Jungmann Martin (Nationalien Datum 1914/15).

UAW, Rektorat, Med. Fakultät, Rigorosen- und Promotionsprotokolle, Sign. 196-0302, Jungmann Martin (Rigorosum Datum 15.3.1921).

UAW, Rektorat, Med. Fakultät, Rigorosen- und Promotionsprotokolle, Sign. 192-0526, Jungmann Martin (Promotion Datum 22.3.1921).

New York, U.S. District Court Naturalization Records, 1824-1991, Petitions for naturalization and petition evidence 1944 box 983, no 502601-502736 > image 28 of 496; NARA microfilm publication M1972, Southern District of New York Petitions for Naturalization, 1897-1944. Records of District Courts of the United States, 1685 – 2009, RG 21. National Archives at New York, Jungmann Martin.

Find a Grave: Jungmann Martin (1973).

Literatur:

Jungmann, Martin: Die Theorie der statisch-dynamischen Dekompensation Senkrumpf und Plattrumpf. Aus der II. Universitäts-Frauenklinik in Wien (Vorstand: Prof. F. Kremauner). Sonderdruck aus: Wiener klinische Wochenschrift. Wien: 1929.

[Zweigbibliothek für Geschichte der Medizin/Separata Biblitohek]

Papers of Martin Jungmann, M.D. Hg.: Gertrude Jungmann. New York, NY: 1995.

[Zweigbibliothek für Geschichte der Medizin/Sign.: 2708-N]

Keywords:

Jungmann Martin, Facharzt für Röntgenologie, Frauenklinik, AKH Wien, NS-Verfolgter, Arzt, Medizin, Medizingeschichte

[1] Pharmaceutische Post, 2.2.1924, S. 39.

[2] Der Tag, 21.2.1926, S. 12.

[3] Wiener medizinische Wochenschrift, Nr. 12, 1936, S 320-322.

[4] Wiener medizinische Wochenschrift, Nr. 13, 1936, S 350-352.

[5] Wiener medizinische Wochenschrift, Nr. 14, 1936, S 378-379.

[6] Wiener medizinische Wochenschrift, Nr. 15, 1936, S 406-407.

[7] Wiener medizinische Wochenschrift, Nr. 16, 1936, S 434-436.

[8] Wiener medizinische Wochenschrift, Nr. 17, 1936, S 464-466.

[9] Wiener medizinische Wochenschrift, Nr. 18, 1936, S 485-488.

[10] Wiener medizinische Wochenschrift, Nr. 19, 1936, S 514-517.

[11] Wiener medizinische Wochenschrift, Nr. 20, 1936, S 546-548.

Normdaten (Person) Jungmann, Martin: BBL: 41095; GND: 129017380X;

Bitte zitieren als VAN SWIETEN BLOG der Universitätsbibliothek der Medizinischen Universität Wien, BBL: 41095 (22.05.2023);  Letzte Aktualisierung: 2023 05 22
Online unter der URL: https://ub.meduniwien.ac.at/blog/?p=41095

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