Das Maiglöckchen – Convallaria majalis L.
Das botanische Sinnbild der Unschuld
Weit verbreitet in Europa ist das Maiglöckchen. Sowohl der deutsche Name, als auch das lateinische Suffix majalis nehmen Bezug auf seine Blütezeit im Monat Mai. Der lateinische Name Convallaria beschreibt den Standort „in den Tälern vorkommend“, bevorzugt es doch halbschattige Lagen in trockenem bis leicht feuchten Laubwäldern. Kennzeichnend für die reinweißen Blüten ist der unverwechselbar intensive, süßliche Duft mit dem bestäubende Insekten angelockt werden sollen. Diesen wohlriechenden Duft beschreibt auch Basilius Besler im Text des Hortus Eystettensis. In der Abbildung vereint er – botanisch nicht korrekt – die blühende Pflanze mit den spätsommerlichen roten Beeren. Wohl in der Mitte des 16. Jahrhunderts hielt die zierliche Staude Einzug in die europäischen Gärten. Die Abbildung im Buch bezeugt, dass auch die rosa blühende Varietät schon allgemein verbreitet war.
Auch bei dieser Pflanze lässt sich ein biblischer Kontext herstellen, der den Fürstbischof abseits der botanischen Schönheit wohl interessiert hat. Bereits im Hohen Lied des Alten Testamentes wird die „Lilie der Täler“ besungen und mit einer Braut verglichen. Darauf beruht die Zuordnung als Paradies und Marienblume, deren zarte weiße Blütenglöckchen in der christlichen Ikonographie als Sinnbild für jungfräuliche Reinheit der Gottesmutter anzusehen sind. Die kleinen, nickenden Blüten waren auch Symbol für die keusche Liebe, die Demut und Bescheidenheit Marias. Gemeinsam mit der Rose und der Lilie zählt es zu den sogenannten Marienblumen. Es fügt sich also gar gut, dass die Blütezeit in den Marienmonat Mai fällt und so Statuen der Gottesmutter bei den aus der barocken Volksfrömmigkeit entstandenen Maiandachten passend geschmückt werden konnten. Auf gotischen Tafelbildern wurde von den Alten Meisten besonders oft die Geburt Mariens mit Maiglöckchen geziert.
Roger van der Weyden malt um 1430 das Maiglöckchen zu Füßen der Hl. Veronika auf einem Altarflügel (Städelsches Museum, Frankfurt). Der große Albrecht Dürer stellt in seinem Kupferstich ein Fayencegefäß mit Maiglöckchen vor den schreibenden Erasmus von Rotterdam. Der niederländische Philosoph und Theologe bemühte sich in seinen Schriften nicht nur um eine Synthese von Antike und Christentum, sondern erwähnt häufig die makellose Reinheit der Gottesmutter…
Obwohl das Maiglöckchen in den Schriften der Antike nicht erwähnt wird und erst ab dem 15. Jahrhundert in den Kräuterbüchern zu finden ist, wird es auch für bedeutende Ärzte in der bildenden Kunst ein Symbol und Attribut der Heilkunst. So lies sich der berühmte Astronom Nikolaus Kopernikus, der Medizin studiert hatte und diesen Beruf auch bis zu seinem Tode neben den astronomischen Forschungen ausgeübt hatte, mit einem Maiglöckchen in der Hand porträtieren.
Hieronymus Brunschwygk und Matthiolus empfehlen in ihren Kräuterbüchern das „Blümleinwasser“ bei Ohnmacht, denn es stärkt das Herz, die Sinne und das Hirn. Allerdings erst im 19. Jahrhundert beginnt man sich intensiver mit der medizinischen Wirkung des Maiglöckchens auseinanderzusetzen. In Russlande wurde die Pflanze bereits oft volksmedizinisch als Herzmittel und gegen Wassersucht verwendet. 1881 wurde in St. Petersburg eine Dissertation über den pharmakologischen Einfluss der Convallariablüte auf das Herz veröffentlicht. Es gelang die herzwirksamen Glykoside, wie das Convallatoxin, zu isolieren und noch heute werden Maiglöckchenpräparate, bzw. Präparate deren Arzneistoffe auf das Maiglöckchen zurückzuführen sind, nicht nur in der traditionellen Heilkunde, sondern auch in der evidenzbasierten Medizin als Kardiaka bei Herzinsuffizienz eingesetzt.
Das Maiglöckchen ist aber aufgrund der herzwirksamen Cardenolide sehr giftig und somit nicht nur Heil- sondern auch Giftpflanze. Nahezu jährlich erscheinen Meldungen in der Presse über Vergiftungen aufgrund von Verwechslungen mit Bärlauchblättern. Die Blätter des Maiglöckchens sind diesen sehr ähnlich, erscheinen allerdings erst später im April. Da alle Teile der Pflanze giftig sind, können bei Einnahme zu großer Mengen Übelkeit und Herzrhythmusstörungen auftreten.
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