Die Farbe
Autor: Univ.-Prof. Dr. med. Peter Heilig
„Solange man nicht ein Grau gemalt hat, ist man kein Maler.“
Cézanne
„Nicht nur die Philosophie lässt sich unter dem Aspekt der Grautönigkeit neu lesen, auch die Politik kann man als Vorgang der Vergrauung verstehen.“
Sloterdijk
Gräulich: seit der ‚Neuen Rechtschreibung‘ – ein ‚zweidäutiges‘ Adjektiv.
Cézanne – exzentrischer (Post-) Impressionist, hatte übrigens ein Leben lang DAS Grau gesucht: „Das Grau muss man finden“ meinte er. Selbst in seinem ausschließlich in Brauntönen gehaltenen „Stilleben in Schwarz und Weiß“ (1871-72) ist kein Grau zu entdecken.
Gustav Fechner (1801-1887) prägte den traumwandlerisch korrekt gewählten Begriff Eigengrau (“intrinsic gray.”): „What the frog’s eye tells the frog’s brain.“
Bei völliger Dunkelheit und geschlossenen Augen wird es nicht pechschwarz ‚vor den Augen‘ – auch Blinde berichten über Grau oder Licht(er):
„Doch da war das Licht.. Es übte auf mich einen geradezu faszinierenden Zauber aus. Jeden Tag danke ich dem Himmel, dass er mich schon als Kind, im Alter von nicht ganz acht Jahren, blind werden ließ. Ich weiß, dass ich seit dem Tag, an dem ich blind wurde, niemals unglücklich gewesen bin.. Ich sah das Licht. Ich sah es, obwohl ich blind war. Auch die Farben – alle Farben des Prismas – bestanden weiterhin. Das Licht breitete seine Farben auf Dinge und Wesen. Sie waren alle in einer Weise farbig gegenwärtig, wie ich es niemals vor meiner Erblindung gesehen hatte. Das Licht war für mich der Grund des Lebens. Ich ließ es emporsteigen wie Wasser in einem Brunnen und ich freue mich ohne Ende.“ Lusseyran (1981) Das wiedergefundene Licht. Die Autobiographie eines Menschen, den seine Blindheit sehen lehrte. Klett-Cotta; Ullstein.
Wie ist dieses Phänomen zu erklären? Ganz einfach, durch Daueraktivität neuronaler Elemente. Die retinalen Ganglienzellen z.B. feuern unentwegt, senden ihre Signale in die Zentrale, daher wird praefrontal kein Schwarz wahrgenommen. „RGCs spike tonically in steady illumination and are suppressed by both increases and decreases in illumination.“
Die Daueraktivität (psychophysisch ‚Eigengrau‘) wird durch verschiedene sinnesphysiologische Stimuli frequenzmoduliert – diese Potentialfolgen werden weitertransportiert und dekodiert, gleichsam. Neben Mustern und Kontrasten werden auch monochrome Eindrücke wahrgenommen.
Das ‚ideale‘ – theoretisch isolierte Grau – von dem der Träumer Cézanne schwärmte, kam in seiner Welt – vordergründig – nicht vor, da es immer eingebettet war – in der ihm eigenen Welt der Farben. Chiaroscuro oder Hell/Dunkel Werke (Clair-obscur peinture), Beispiele für Simultankontrast, Buntkontrast, Polychromie etc lassen erkennen, wie Farben aufeinander wirken, auch als Bunt/Unbunt, etwa durch ‚Konturflanken‘ – somit Illusionen schaffend: siehe https://michaelbach.de/ot/index-de.
Die Forderung „need for efficient communication about color“ (Lindsey et al) bleibt Wunschdenken, denn: Jeder Mensch sieht anders, nimmt anders wahr, empfindet anders; der Seheindruck des führenden Auges unterscheidet sich von dem des Partnerauges – das Umgebungslicht spielt eine wichtige Rolle, auch der retinale Adaptationszustand, die Kontrastphänomene, die optischen Täuschungen und Illusionen etc. gaukeln dem Bewusstsein alles Mögliche vor, aber keine objektiven ‚Daten‘ – um es auch hier in der einzigen zurzeit verständlichen Sprache zu formulieren. Daher kann es nur Teilerfolge geben bei Versuchen einander ‚objektive‘ Farb-Eindrücke mitzuteilen.
Auch Phänomene, wie – „Computational studies show that strikingly human-like similarities“, welche in die immer mehr anthropomorphisierte AI/KI Welt hineininterpretiert werden, halten keiner kritischen Prüfung stand. Demnach kann das Kunstprodukt virtuelle ‚Wirklichkeit‘ nur als Modellierung bezeichnet werden – eine Näherung bestenfalls: “any similarities are therefore purely coincidental.“ – zu hart formuliert? Mag sein.
ROT:
am langwelligen Ende des sichtbaren Spektrums (mit fließendem Übergang zum Infrarot (~ 780 -1000 nm)), welches via „two-photon absorption“ über einen ’nonlinearen Prozess‘ auch humane retinale Rezeptoren aktivieren kann – “a finding that has not received a satisfactory physical explanation“..
Palczewska G et al (2014) Human infrared vision is triggered by two-photon chromophore isomerization. Proc Natl Acad Sci U S A;111(50):E5445-54.
‚Langwellen-Stimulationen‘ (650 – 900 nm) verbesserten in humanen ‚aged‘ retinae die Funktion durch “improved aged mitochondrial function“ sowie
“increasing ATP production and reducing ROS“ (Single exposures to 670 nm light delivered in the morning, at only 8 mW/cm2). Über erste Erfolge wurde auch hierzulande berichtet. Shinhmar H et al (2021) Week-long improved colour contrasts sensitivity after single 670 nm exposures associated with enhanced mitochondrial function. Sci Rep;11(1):22872.
Besonders aufhorchen ließ eine ‚angekündigte‘ Rotlicht-Myopie-Prophylaxe (Repeated low-level red-light (RLRL)): „Evidence has suggested that RLRL may inhibit myopia progression“. Klingt vielversprechend – abwarten.. Zhu Q et al (2023) Repeated Low-Level Red-Light Therapy for Controlling Onset and Progression of Myopia-a Review. Int J Med Sci 4;20(10):1363-1376
“670 nm red light has potential for medical applications. For example, 670 nm light could protect neuronal cells under treatment of cyanide, protect photoreceptors in rat and promote wound healing in primate retina, increase of mitochondrial metabolism, decrease of retinal inflammation, and reduction of oxidative cell stress may be achieved probably by changes of respiratory chain complex I, II and IV to affect cytochrome c oxidase (CCO), resulting in better energy metabolism within mitochondria. 670 nm red light may be used as a neuroprotectant against other light caused damage and certain toxins. Treatment with 670 nm red light decreases retinal inflammation by increasing mitochondria membrane potential, improves retinal healing, such as reducing raised intracellular pressure in rat retina, retards aging retinal functions. 670 nm LED may regulate inflammation and immunity in the retina of a mouse with macular degeneration, likely through promoting CCO expression, along with reduced inflammation. Respiration in aged retinal mitochondria may be enhanced by 670 nm light, showing better mitochondrial functions and inflammation reduction through activation of CCO. In fact, aged retina may possess a progressive oxidation increase by 670 nm light in 5 minutes. 670 nm light can improve oxygen-mediated degeneration within retina in mouse, showing decreased oxidative stress marker expression and reduction in hyperoxia. 670 nm light treatment may significantly retard lipid peroxidation, complement propagation in retina degeneration. Low levels of 670 nm light may prevent retinopathy by oxygen induction and lung damage by excessive oxygen and modulate expression of genes involved with inflammation, oxidative metabolism and apoptosis. Evidence has indicated that CCO is the primary photo receptor , promoting oxidative metabolism and increase ATP production, and is probably linked to increased CCO and reduced acrolein expression through the reparative and/or the protective mechanism. In fact, abundant research results supports its potential benefits in retinal diseases, stroke, neurodegeneration, neuromuscular disorders, hair regrowth, memory and mood disorders“.
Rotes Licht zeichnet sich durch besonders niedrige Energie aus: es hat halb so viele Elektronenvolt (eV) wie kurzwelliges, potentiell phototoxisches Licht.
BLAU: fließender Übergang zum Ultraviolett, potentiell phototoxisch – aus kurzer Distanz (und extrem hell), abhängig von Dauer der Expositionen und Intensität – cave zeitliche Summation. Blaulicht-Stimulationen: werden nicht empfohlen. Auch nicht die ‚blaue Schrift im Blauskotom‘ – im Maxwell spot. https://ub.meduniwien.ac.at/blog/?p=31486. Üblicherweise droht kaum Gefahr durch ‚Blue Hazard‘ (https://michaelbach.de/2020/04/07/blauer-bloedsinn.html), abgesehen von Tagfahrlichtern und allen überdosierten, oft fehlentwickelten Scheinwerfern (auch Fahrrad, e-Bike, e-Scooter etc. als „little blinders“ neuerdings zynisch angepriesen) sowie gutgemeinten, aber blendenden Verkehrslichtern – sie provozieren erhöhte Unfallgefahr.
GRÜN: Labsal für alle Migräne-Patienten – als beruhigend und entspannend sowie konzentrationsfördernd beschrieben. „Blaues Licht ist die Hölle“ klagen viele geplagte Patienten (https://ub.meduniwien.ac.at/blog/?p=38643)
GELB: „– wirke prächtig und edel und mache einen warmen und behaglichen Eindruck“ meinte der berühmte Meister der Farbenlehre (JW Goethe). Selbst die berechtigte, strenge Kritik Newtons ließ diesen Satz unkorrigiert stehen. Gelb verbessert die Kontrast- Sensitivität und reduziert vor Allem die Blaulicht blendungen. Rieger G. (1992) Improvement of contrast sensitivity with yellow filter glasses. Can J Ophthalmol;27(3):137-8.
Epilog: Farben sind das Leben für Maler. Sie dekorieren und würzen quasi das Menü der Sinneseindrücke, welches im Thalamus aufbereitet wird, bevor es den ‚höheren Instanzen‘ kredenzt wird – unserem Bewusstsein.
Farben – Philosophie: Sloterdijk P (2022) Wer noch kein Grau gedacht hat. Eine Farbenlehre. Suhrkamp
Lettvin JY et al (1959) What the frog’s eye tells the frog’s brain. Proc Inst Radio Eng.;47:1940–1951.
Heilig P et al (1968) Die Spontanaktivität von Einzel-Fasern des Nervus opticus der Katze bei Hypothermie. Gem. Tagung der Deutschen Gesellschaft für Biophysik und der Österreichischen Gesellschaft für Reine und Angewandte Biopysik (1968) R.A.B Wr Med Akad 45-48
Heilig P 82018) Der blinde Mann, der sehen kann. Der Zauber des Lichts. https://ub.meduniwien.ac.at/blog/?p=31273https://ub.meduniwien.ac.at/blog/?p=31273
Jacoby J (2015) An Amacrine Cell Circuit for Signaling Steady Illumination in the Retina. Cell Rep;13(12):2663-70.
Lindsey DT et al (2021) Lexical Color Categories. Annu Rev Vis Sci;7:605-631: „ the need for efficient communication about color“
Spence C (2023) On the manipulation, and meaning(s) of color in food: A historical perspective. J Food Sci;88(S1):5-20.
de Mejia EG et al (2020) The Colors of Health: Chemistry, Bioactivity, and Market Demand for Colorful Foods and Natural Food Sources of Colorants. Annu Rev Food Sci Technol;11:145-182: „Betalains, carotenoids, phycocyanins, and anthocyanins are major food colorants used in the food industry that have documented biological effects, particularly in the prevention and management of chronic diseases such as diabetes, obesity, and cardiovascular disease.“
Zha J et al (2020) Making brilliant colors by microorganisms. Curr Opin Biotechnol;61:135-141: „anthocyanins have demonstrated medicinal roles in humans and animals, such as the strong absorption of ultraviolet light and the prevention of cancer, cardiovascular diseases, neurodegenerative diseases, obesity, and diabetes.“
Meruvu H (2021)et al Colors of life: a review on fungal pigments. Crit Rev Biotechnol;41(8):1153-1177 “Fungi are paramount sources of natural pigments.“
Nascimento SMC et al (2021) Naturalness and aesthetics of colors – Preference for color compositions perceived as natural. Vision Res;185:98-110.
Jonauskaite D et al (2020) Universal Patterns in Color-Emotion Associations Are Further Shaped by Linguistic and Geographic Proximity. Psychol Sci; 31(10):1245-1260.
Pene CHM, Muramatsu A, Matsuzawa T. Color discrimination and color preferences in Chimpanzees (Pan troglodytes). Primates;61(3):403-413.
Von allen Formen esoterischer Licht- ‚Philosophie‘ wird Abstand genommen.
Gender: beyond
Interest: no conflict
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Interessenkonflikt:
Der Autor erklärt, dass bei der Erstellung
des Beitrags kein Interessen –
konflikt im Sinne der Empfehlung des
International Committee of Medical
Journal Editors bestand.
Korrespondenzadresse:
Univ.-Prof. Dr. med. Peter Heilig
Augenheilkunde und Optometrie
peter.heilig@univie.ac.at
Veranstaltung:
Wahrgenommen
15.10.24 um 19.00 h
im Otto-Mauer-Zentrum – KAVÖ
Währinger Str. 2-4 A-1090 Wien