Die Universitätsbibliothek unterstützte die Initiative für die Wahl zum wissenschaftlichen Sachbuch des Jahres.
Sie konnten in vier Kategorien maximal ein Buch wählen.
Den jeweils 1. Platz in ihrer Kategorie belegen:
Rudolf Taschner: Zahl Zeit Zufall
Christina v. Braun, Bettina Mathes: Verschleierte Wirklichkeit
Nikolaus Nützel: Sprache oder Was den Mensch zum Menschen macht
Angelika Voß: Frauen sind anders krank als Männer
Das Siegerbuch
Angelika Voß: Frauen sind anders krank als Männer
sowie alle nominierten Bücher in der Kategorie Medizin/ Gesundheit
können Sie über unsere Bibliothek entlehnen–>OPAC-LINK
Folgender Text und das Interview sind entnommen aus:
http://www.woche-des-wissens.at/
Über das Buch:
Eigentlich ist die Feststellung, dass sich Männer und Frauen grundsätzlich unterscheiden, banal – dennoch hat sich diese Erkenntnis bei der Behandlung diverser Krankheiten noch nicht wirklich durchgesetzt. Es gibt natürlich Frauenärzte und geschlechtsspezifische Erkrankungen, wie Brust- oder Prostatakrebs, doch darüber hinaus sind auch bei vielen anderen Erkrankungen, je nachdem es sich um eine Frau oder einen Mann handelt, verschiedene Behandlungsansätze erforderlich. Nicht jede Therapie führt bei beiden Geschlechtern zum optimalen Ergebnis. Auch Medikamente können unterschiedliche Wirkungen haben. Plausibel ist, dass während des Monatszyklus oder einer Schwangerschaft bestimmte Medikamente nicht eingenommen werden dürfen. Doch gibt es auch diverse geschlechtsspezifische Unterschiede bei Arzneimittelwirkungen. Bei einer Behandlungsmethode mit einem bestimmten Medikament klagten Frauen beispielsweise viel häufiger über Nebenwirkungen als Männer. Als dieser Umstand untersucht wurde, zeigte sich, dass dieses Medikament vorwiegend bei Männern getestet wurde. Frauen spielen in den Medikamentenstudien kaum eine Rolle. Deshalb enthalten auch die Beipackzettel in den wenigsten Fällen spezielle Hinweise für Frauen, die über Angaben zur Einnahme während der Schwangerschaft hinausgehen.
Zur Autorin:
Angelika Voß ist Humanbiologin und Expertin für geschlechtsspezifische Forschung. Die moderne Medizin muss ihrer Ansicht nach diese Thematik berücksichtigen. In ihrer Einführung, die auch ausführlich auf klinische Studien eingeht, plädiert sie für eine geschlechtssensible Medizin und stellt auch die wichtigsten Medikamente vor, die bei Männern und Frauen unterschiedliche Wirkungen entfalten können. Ein Glossar und Buchtipps zum Weiterlesen runden das Buch ab.
Der lange Weg zur Akzeptanz
Interview mit Angelika Voß über geschlechterspezifische Medizin und die Fragestellungen, die sich damit noch verknüpfen
Buchkultur: Seit wann gibt es die geschlechterspezifische Medizin eigentlich?
Angelika Voß: Die Anfänge gehen auf Studien zur Frauengesundheitsforschung in den 70er Jahren zurück, doch so richtig kann man erst seit Mitte der 90er Jahre in den USA oder den skandinavischen Ländern von geschlechtsspezifischer Medizin sprechen. In Deutschland ab etwa 2000. Früher ist man den speziellen Fragestellungen nicht so intensiv nachgegangen, obwohl natürlich schon länger bekannt war, dass es Unterschiede gibt.
Buchkultur: Warum hat es eigentlich so lange gedauert?
Voß: Es braucht seine Zeit, bis sich Erkenntnisse aus der Wissenschaft sich in die Praxis umsetzen lassen. Das große Problem war, wie sich sozialwissenschaftliche Fragestellungen mit naturwissenschaftlichen in Beziehung setzen lassen. Außerdem waren bestimmte Fachrichtungen in der Medizin eher frauenfeindlich ausgerichtet und zudem bestand die Befürchtung, in die Ecke der radikalen Frauenbewegung gestellt zu werden.
Buchkultur: Seit wann setzen Sie sich damit auseinander?
Voß: Ich selbst komme aus der Geschlechterforschung und habe mich seit Anfang der 90er Jahre damit beschäftigt.
Buchkultur: Wie ist die Akzeptanz aus Ihrer Sicht?
Voß: Heute setzt sich die geschlechterspezifische Medizin weltweit durch. Als ich von 2001 bis 2003 eine Studie zu Ausbildungsverhältnissen im medizinischen Bereich durchführte, war weltweit zu dieser Thematik nichts zu finden. Es gab nur einzelne Veranstaltungen, gewissermaßen Ausnahmefälle. Mittlerweile lässt sich von einer breiten Akzeptanz sprechen. Die geschlechtsspezifische Medizin wird als Notwendigkeit betrachtet. Es geht darum, auch psychosoziale Fragestellungen einzubinden. Außerdem muss überprüft werden, ob die Resultate dem entsprechen, was dahinter liegt oder anders, bewerte ich Unterschiede als zu hoch? Sind nicht andere Fragestellungen wichtiger?
Buchkultur: Wie ist es eigentlich bei Kindern mit den geschlechterspezifischen Unterschieden in der Medizin?
Voß: Unter dem Aspekt der Medikamentenverordnung achtet man bei Kindern weniger darauf, sondern mehr auf Entwicklung und Verlauf von Krankheiten. Ein ähnliches Problem gibt es mit älteren Menschen. Man sieht, dass es Unterschiede gibt, doch muss da etwa auch der veränderte Hormonhaushalt berücksichtigt werden.
Buchkultur: Worin bestehen eigentlich die Unterschiede?
Voß: Sie lassen sich grob in drei Kategorien einteilen. Einmal die biologischen Unterschiede, wie andere Chromosomen, Hormone, Stoffwechselunterschiede, dann die Gefäßdicke oder die Knochendichte. Das merkt man etwa bei künstlichen Kniegelenken, die bei Frauen viel schmäler gebaut sind. Dann das Gesundheitsverhalten. Darunter fällt das Vorsorgeverhalten, die Krebsfrüherkennung, das Ernährungsverhalten oder der Umgang mit Drogen, wie Alkohol. Frauen bauen Alkohol schlechter ab, trotzdem kommt es zu einem Angleichen der Spiegel und das hat wahrscheinlich negative Auswirkungen für Frauen.
Schließlich noch die sozialen Komponenten, wie das Lebens- und Arbeitsverhalten. Hierbei sind auch Fragen der Arbeitsmedizin einzubeziehen, dann das Thema der Gewalt, wie häusliche und strukturelle Gewalt. Es gibt auch strukturelle Unterschiede in der medizinischen Versorgung. Wenn in Österreich von 100 Lufttransporten bei Herzinfarkten zu 100 Prozent nur Männer betroffen sind, muss ich doch nachfragen.
Buchkultur: Gibt es heute eigentlich noch Widerstände gegen die geschlechterspezifische Medizin?
Voß: Die Situation bessert sich zusehends. In Hannover veranstaltet die Ärztekammer Vorträge zu dem Thema. Dann gibt es Anregungen, dass im Beipackzettel eines Medikaments die unterschiedlichen Wirkungen auf Männer und Frauen beschrieben werden. Widerstände gibt es noch in der privaten Forschung, wegen der Befürchtung, dass sich die Entwicklung verteuern würde, wenn auch Frauen als Probanden nötig werden.
Buchkultur: Welche Perspektiven sehen Sie noch in der weiteren Forschung?
Voß: Viele Fragen sind noch offen. Bei vielen Unterschieden wissen wir nicht, warum sie sich so auswirken und woher sie eigentlich kommen, etwa im Schmerzbereich. Oder in der Transplantationsmedizin, es gibt Unterschiede bei der Annahme von Nierenspenden etwa. Dann müssen auch unterschiedliche Bevölkerungsgruppen berücksichtigt werden und untersucht, welche Therapiemaßnahmen sinnvoll sind, was stärker motiviert oder wo sich positive Vorbilder finden lassen.
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