Foveale ‚Intelligenz‘
Autor: Univ.-Prof. Dr. med. Peter Heilig
“Resolution is finer than single cone sampling limits“
Oszillierenden Fixationsbewegungen des Auges, scheinbar ungezielt und ungerichtet, wird ‚Absicht‘ unterstellt (1); dabei wird “sub-cone diameter resolution“ erzielt – eine unerwartet hohe Auflösung – “..exceeding what static sampling limits would predict – resolving spatial orientation of E optotypes smaller than a single photoreceptor diameter.“
Aus alter Gewohnheit wird hier der im ‚digitalen Zeitalter‘ gröblich mißbrauchte Begriff „Intelligenz“ verwendet – in Erinnerung an gemeinsame Arbeiten mit der Psychologie. Scherzhaft wurde damals von der Ophthalmologie keck behauptet: ‚die Netzhaut könne denken‘ und mache somit die Psychologie teilweise arbeitslos. Natürlich wäre ‚Denken‘ ein misnomer – andererseits wird dieser vorgelagerte, zum Teil ziemlich selbständig agierende Rindenanteilm – die Retina, sträflich unterschätzt.
Eine Art ‚Nonius‘ Sehschärfe – “subcone diameter resolution“ wurde nun dokumentiert – infolge komplexer Interaktionen zwischen Visuomotorik mit gezielten fixational drifts und retinaler Zellen-Topographie. Bisher stützte sich die Hypothese visueller Auflösungslimits auf histologische Daten (cone spacing etc.). Sehschärfe korrellierte mit ‚foveolar densitiy‘ und die Vergleiche mit dem Auflösungsvermögen einer Kamera schufen eine einfache, leicht zu verstehenden Welt (‚oversimplification‘ ). ‚Unschärfen‘ und Widersprüchliches wurden suboptimalen optischen Gegebenheiten des Auges samt retinalem Mosaik unterstellt (2,3), Asymmetrien, auch physiologische – ignoriert bis übersehen.
Der grob vereinfachte Vergleich mit der Kamera hinkt in mancherlei Hinsicht. Allein schon das ’stabilisierte Netzhautbild‘ (steady state stimulation) z.B., die Angioskotome, wäre ein ‚Haar in der Suppe‘ dieser allzu simplen Modellierung. Die Neuronale Aktivität kann durch die Fixationsbewegungen nicht gestört werden – im Gegenteil: “refreshing neural activity und structuring it“ – und all dies unter ständiger zentraler Kontrolle.
Besonders fallen die Unterschiede zwischen den dominanten – und ihren Partner-Augen auf – etwa: “lower thresholds with their dominant eyes – (dominant eyes had a median of 78 cones/deg2 higher densities compared to their fellow eyes). Wie werden die Resultate bei amblyopen Augen aussehen (2) – Drift-motions, -lengths, – precision etc.? Die Längen und Richtungen der Drifts werden sich deutlich von denen emmetroper normal-sichtiger Augen unterscheiden. Was ist daraus zu lernen? Vielleicht gibt es eines Tages brauchbare Denkanstöße zum Problem der Legasthenien/Maxwell spots (4) und zu den geänderten Fixations-Suchbewegungsmustern bei diversen Skotomen, einem gezielt ‚intelligenten‘ Optimieren physiologisch funktionierender Gesichtsfeldanteile (5,6).
Die hohe Schule des Sehens beginnt in der Retina; schon in dieser ersten Station startet hochkomplexes Aufarbeiten des Lichtreizes, ‚processing‘ – die Phototransduktion mit den Ionenkanälen und Membranpotentialen, De- und Hyperpolarisierungen, biochemischen Prozessen etc. Die Aktionspotentiale, frequenzmoduliert, Träger retinal aufgearbeiteter Informationen, zwängen sich durch den Flaschenhals Opticus; im lateralen Kniehöcker und in der Sehrinde entstehen die Vorstufen der bewegten Bilder, welche ausgeklügelt in den komplexen kognitiven Prozessen ergänzt, korrigiert, angepasst um schließlich bottom up–top down weiter ‚auf Hochtouren gebracht‘ werden. Abgeglichen mit den Daten der visuellen Erinnerungszentren und gleichsam gewürzt mit dem thalamischen Menue der Sinneseindrücke werden komplexe Seh- und Wahrnehmungs-Potentiale Praefrontalen Instanzen kredenzt.
All dies geschieht in Gedankenschnelle – sogar die ‚filling in-Prozesse‘ fehlender Inputs, ohne welche die Seh-Eindrücke höchst unvollständig, geradezu verstümmelt wären (7,8, 9), wie unser blaues, physiologisches Zentralskotom. Dermaßen unsichtbar (bzw. nicht wahrnehmbar) wurde es à la longue, sodass Webdesigner blaue Schrift für besonders Wichtiges und Überschriften verwenden (9), allerdings schafft dies Probleme im ‚Dark Mode‘.. Der blinde Fleck (papilla n. optici) ist länger bekannt: Wie ein Magier ließ Edme Mariotte im Jahre 1660 – am französischen Hof – eine kleine Münze ‚verschwinden‘ (10).
Die Komplexität sowie die unvorstellbare Geschwindigkeit der oben erwähnten Prozesse überfordern ‚triviale Biochemie und Biophysik‘ – ohne Halbgott Newton zu ignorieren – doch die verblüffende – an Gleichzeitigkeit grenzende – Vorgänge sprengt den Rahmen (11,12).
Epilog: “Currently, the usage of quantum biology in ophthalmology remains an alien concept to most ophthalmologists and ophthalmic researchers“ und – “quantum biology can potentially lead to the development of non-invasive ophthalmic therapeutic devices and new drugs to heal the eye“ (12)
1 Witten JL et al (2024) Sub-cone visual resolution by active, adaptive sampling in the human foveola. Elife;13:RP98648.
2 Sampson DM et al (20219 Retinal Differential Light Sensitivity Variation Across the Macula in Healthy Subjects: Importance of Cone Separation and Loci Eccentricity. Transl Vis Sci Technol;10(6):16.
3 Heilig P, Thaler A (2023) A-Symmetrisches. Concept Opth 2/2023 Sinnesphysiologie 1-2 cpt_202302_med_asymmetrien (https://ub.meduniwien.ac.at/blog/?p=40483)
4 Verghese P et al (2023) Eye movements in visual impairment. Vision Res;211:108296.
5 Heilig P et al (2023) A-Symmetrisches. Concept Opth 2/2023 Sinnesphysiologie 1-2 cpt_202302_med_asymmetrien https://ub.meduniwien.ac.at/blog/?p=40483
6 Yu H et al (2023) Altered Eye Movements During Reading With Simulated Central and Peripheral Visual Field Defects. Invest Ophthalmol Vis Sci;64(13):21.
7 Zur D et al (2003) Filling-in of retinal scotomas. Vision Re;43(9):971-82.
8 Peli E (2023) The Invisibility of Scotomas I: The Carving Hypothesis. Optom Vis Sci; 100(8):515-529.
9 Heilig P (2018) Blaue Schrift im Blauskotom https://ub.meduniwien.ac.at/blog/?p=31486
10 Grzybowski A et al (2007) Edme Mariotte (1620-1684): Pioneer of Neurophysiology. Surv Ophthalmol. Jul-Aug;52(4):443-51.
11 Waisberg E et al (2024) Quantum biology in ophthalmology. Eye (Lond);38(16):3040-3041.
12 Heilig P (2013) Quantum satis est https://ub.meduniwien.ac.at/blog/?p=16917
Gender : beyond. Interest: no conflict
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Einladung
ALLOTRIA
p heilig UND*
ZEIT: am Dienstag, 10. Oktober 2025 um 19 Uhr
ORT: Otto-Mauer-Zentrum
Einladung: PDF
Nähere Infos: Einladung.pdf
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Interessenkonflikt:
Der Autor erklärt, dass bei der Erstellung
des Beitrags kein Interessen –
konflikt im Sinne der Empfehlung des
International Committee of Medical
Journal Editors bestand.
Korrespondenzadresse:
Univ.-Prof. Dr. med. Peter Heilig
Augenheilkunde und Optometrie
peter.heilig@univie.ac.at
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