Gastautor Univ.-Prof. Dr. med. Peter Heilig: Die Welt der Opsine

Die Welt der Opsine

OPHTHALMOLOGIE 2/2024

Autor: Univ.-Prof. Dr. med. Peter Heilig

Opsine, wie zum Beispiel das Melanopsin intrinsic photosensibler retinaler Ganglienzellen (ipRGC), besonders das der M1 Variante – mit dem höchsten Melanopsin-Anteil innerhalb der ipRGC-Gruppe – spielen eine entscheidende Rolle für das normale Augenwachstum. Ein experimentelles Ausschalten der ipRGCs (M1 cell ablation) führt zur Myopisierung durch Zunahme von Bulbus-Achsenlängen und vice versa bewirkt eine Aktivierung dieses Opsins eine hyperope Tendenz. Ein Melanopsin-Mangel verursacht Dysfunktionen der retinalen ‚clock genes‘, jedoch nicht nur dieser . .

„Opsin 3 (OPN3, ) ist unerlässlich für eine emmetrope refraktive Entwicklung.“ Es wurde erstmals im Jahr 1999 im Cortex, im Striatum, Cerebellum und im lateralen Thalamus der Maus beschrieben. Dieses blau-sensitive Panopsin oder Encephaloopsin ist das unter den Säugetieren am weitesten verbreitete Opsin. Es findet sich in der Plazenta, der Leber und der Niere, (non-retinal domain of expression), im Hypothalamus, in den periventrikulären Nuclei, im N. Opticus, N. Trigeminus, corpus ciliare, in retinalen Ganglienzellen und Müller Zellen (MC ~ 488 nm ). Diese zahllosen Lokalisationen von OPN3 weisen auf seine Bedeutung hin.

Der Verlust von Opsin 4 (OPN4, ~ 480 nm), ebenfalls aus der Familie der ipRGC, führt zu ‚early myopia‘ und ‚late hyperopia‘. Sie wirken, gemeinsam mit der Mikroglia – der Müllerschen Stützzelle – geradezu wie Weichensteller in Schaltkreisen. Vaskuläre Beeinflussungen und Interaktionen mit den circadianen Rhythmen (auch ohne SCN-Beteiligungen)  und letzendlich Myopisierungen durch beeinträchtigten Dopaminstoffwechsel gehen jedenfalls auf sein Konto.

Opsin 5, Violett-sensitiv (~380 nm) wurde in Retina, Cornea, Dermis, ZNS und Hoden  nachgewiesen. Es reguliert die perinatale Gefäß-Entwicklung, beeinflusst aber auch die Bio-Rhythmen der ‚clock-genes‘ von Retina, Cornea und Dermis, ebenso unabhängig von SCN-Aktivitäten.

Eine ‚Akkomodative Instabilität‘ wäre zwar ein wertvoller Hinweis auf sich möglicherweise anbahnende myopische Tendenzen, doch ein EBM-Kausalzusammenhang lässt sich nicht mit Sicherheit beweisen.

Der Einfluss hellen kurzwellig dominierten Lichtes beeinflusst zwar, wie experimentell demonstriert, retinale Dopaminproduktion samt Aderhautdicke mit ‚Achsenlängen-Abnahme‘; dies wirkt sich zwar positiv auf ‚emmetropere‘ Bulbus-Innen-Abmessungen aus (‚innere lichte Weite‘ – aus der Technik), ist aber bedauerlicherweise nicht von Dauer (‚disappointingly small and temporary effects on deprivation myopia‘ und: ‚transient nature of the effects of atropine on the choroid‘). Auch der seltsame Vorschlag – mehr Violett und Ultraviolett dem Kunstlicht beizumischen, führte sich ad absurdum – eo ipso .

Bleibende Einflüsse auf Hornhautkrümmung, Linsendicke und Vorderkammertiefe sowie auf sklerale Wachstumfaktoren wären von entscheidender Bedeutung. Die Suche nach dem wahren Schuldigen in diesem ‚Myopie-Krimi‘ läuft noch. Die Opsine, offenbar längere Zeit mehr oder weniger übersehen, gehören jedenfalls zum Kreis der üblichen Verdächtigen. 

Bemerkenswert ist das asymmetrische Bulbuswachstum nach experimentellen – asymmetrischen Stimulationen. Auch nach Sehnerv-Durchtrennung lässt sich dieses außerordentliche Phänomen beobachten – als deutlicher Hinweis auf die dominierende Rolle der Retina und ihrer Opsine. Trotz nachgewiesener regredienter Fasern (N. Opticus) haben die zentralen – ‚top down‘ -Faktoren einen geringeren Einfluss auf das Bulbuslängen-Wachstum als die retinalen -.

Zu den Risikofaktoren Fehlernährung, Bewegungsmangel, Tageslicht-Mangel etc. gesellt sich die Genetik, implicit und a priori. Vielleicht lässt sich eines der fehlenden Steinchen des unvollständigen Gesamtmosaikes Myopie entdecken – in den ’novel Mutations der x-linked ‚early onset high Myopia‚ und ihren ‚toxic truncated proteins‚ – in den betroffenen drei Genen. Die Carrier Symptomatik war von jeher Aufschluss- bis lehrreich, elektrophysiologische Auffälligkeiten inklusive.

Das Rhodopsin (~500 nm) kann nicht exkulpiert werden in dieser causa: experimentelle Myopie, sowie stationäre Nachtblindheit (‚Schubert Bornschein‘ z.B.), Retinitis pigmentosa, Genetik und Mutationen sind einige Kapitel, die noch einmal aufzuschlagen wären in diesem Zusammenhang.

Epilog: Opsine wären bitte ‚im Auge zu behalten‘

SCN: suprachiasmatische Nuclei sind paarig angelegt; SC-Nucleus (wie üblich): ein Pluraletantum?

Schubert, G. & Bornschein, H. (1952) Beitrag zur Analyse des menschlichen Elektroretinogramms.Ophthalmologica 123, 396–413.

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Gender: beyond.

Interest: kein Konflikt

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Interessenkonflikt:
Der Autor erklärt, dass bei der Erstellung
des Beitrags kein Interessen –
konflikt im Sinne der Empfehlung des
International Committee of Medical
Journal Editors bestand.

Korrespondenzadresse:
Univ.-Prof. Dr. med. Peter Heilig
Augenheilkunde und Optometrie
peter.heilig@univie.ac.at

Veranstaltung:
Wahrgenommen
15.10.24 um 19.00 h
im Otto-Mauer-Zentrum – KAVÖ
Währinger Str. 2-4  A-1090 Wien
Veranstaltung Wahrgenommen

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