Gastautor Prof. Dr. Peter Heilig: UNERNST im ERNST

 UNERNST im ERNST      

„Wenn man sich selbst zu ernst nimmt, ist man tot“ (Wilfried von Zeller-Zellenberg). Er trat den lebenden Beweis an. Der Schalk saß ihm im Nacken, auch dann noch, als er bereits schwer krank war. Als ‚guter alter Kaiser‚ verkleidet, wollte er in einer Kutsche durch die Stadt geführt werden: „Leutln, ich bin’s, was habt’s ihr am Herzen – heut könnt’s mit mir reden!“* Seine G’schichterln und märchenhaften Karikaturen ließen die gute alte Zeit lebendig werden. Einmal floss versehentlich Tusche über ein beinahe fertiges Bild; aus dem Klecks zauberte er im Handumdrehen ein riesiges Federvieh. Dieses thronte dann gravitätisch über seinen meisterhaft gezeichneten Figuren. Der neue Titel lautete: ‚Das große Huhn‘. 

Zu dieser Zeit verzauberte Jörg Mauthe sein Wien („die Vielgeliebte“) mit lebensecht wirkenden Puppen.  Sein ‚Watschenmann‘ im Radio war legendär, doch politische Intrigen bewirkten ein Aus für diese gelungene, köstliche Satiresendung. „Dies bedeutet das Ende der Demokratie“ meinte damals ein jugendlicher Mauthe-Fan. In seinem Abschieds-Buch ‚Demnächst oder der Stein des Sisyphos‘ lässt Jörg Mauthe die Leser an seinen Gedanken, Träumen und Phantasien teilhaben – „gescheit, witzig, ein Zyniker, in dem ein Sentimentaler steckt“. * „Demnächst werde ich sterben, ein guter Anfang für ein Buch – nein, der beste aller Anfänge.“

 Ein „euphorisches Gefühl eines, der endlich Sicherheit gefunden hat“, schrieb er. Bis ins Absurde steigerte sich seine praeterminale Euphorie: „Ich bin mächtig, unangreifbar, mir passiert nichts mehr, ich ‚passiere‘. Die Revolverkugeln, an die ich zunächst dachte, verwandelten sich in Briefe, etliche sogar an solche, denen ich untersagte an meinem Begräbnis teilzunehmen“. Dazu ein Mauthe Aperçu –  „Politik heißt auch: über ein Meer von Dummheit segeln“.

 „Ich tu mir überhaupt nicht leid. Ich entdecke, dass nicht nur das Leben, sondern auch das Sterben seine komischen Seiten hat“ – Nach dem Wind gehascht, ich habe genug. Mauthe, wer auch immer das war, begibt sich ans Sterben.“

 Lebensbedrohliches hatte ein Mann überlebt; nie hatte er sich unterkriegen lassen – ein wahrer Lebenskünstler. Immer gut gelaunt, empfing er auch in den letzten Tagen seine Sekretärinnen im Krankenzimmer. Dort herrschte eine geradezu ausgelassene Stimmung – auch dann noch, als seine Sehfunktionen schon merklich nachließen.

Eine Patientin der internen Abteilung unterhielt den gesamten ‚großen Saal‘ mit köstlichem Galgenhumor – bis zu ihrem letzten Tag.

Im fernen Osten stritten zwei Uralte miteinander, wer von ihnen beiden der schäbigere alte Reissack wäre und wem es schließlich gelänge sich vor dem anderen davonzustehlen. 

Tabuthemen, wie endgültiger Abschied werden meist ängstlich totgeschwiegen. Doch schon Sokrates philosophierte: „Denn den Tod fürchten, ihr Männer, das ist nichts anderes als sich dünken man wäre weise – niemand weiß, was der Tod ist, nicht einmal ob er nicht für den Menschen das größte ist unter allen Gütern.“

Schopenhauer: „Ich glaube, dass wenn der Tod unsere Augen schließt, wir in einem Lichte stehen, von welchem unser Sonnenlicht nur der Schatten ist.“

‚Als-ob-Philosophie‘ kann helfen auf ständiges Gejammer (‚Menetekel‘) nicht depressiv oder noch schlimmer zu reagieren – mit Wunschvorstellungen, wie etwa Ungeister in ihre Flasche zurückzustopfen oder alle Übel dieser Erde wieder in die Büchse der Pandora zu verbannen. Epimetheus, der gewohnheitsmäßig zu spät Denkende, ließ aus Neugier alle Übel heraus, bis auf die Hoffnung, welche angeblich zuunterst lag**. Prometheus warnte seinen Bruder in weiser Voraussicht, er konnte sich jedoch gegen bornierte Dummheit nicht durchsetzen. Die Parabel gilt bis heute.     Übel: „Arbeit (!), Krankheit und Tod“ (sic – aus einer ‚freien‘ Enzykl.).   

Transzedentaler – hintergründiger – Unernst:

Cherubim und Seraphim umschwebten Jahwes Haupt. Zögerlich, jedoch mit gebührendem Respekt und größter Ehrfurcht wandten sie sich an Ihn: „Jahwe, sieh doch – ‚jener‘ erbarmt uns – er bittet um eine Audienz – schon sehr lange. Hast du ihn etwa vergessen?“ Siehe da, bald darauf stand der Bittsteller vor dem Thron. Und Jahwe sprach: „Nu?“ Jener: „Jahwe, könntest Du bitt’schön alles Böse und alles Schlechte vom Angesicht der Erde verbannen?“ Gesagt getan. Es verging nicht viel Zeit – und jener wurde wieder vorstellig. Jahwe: „Du schon wieder?“ Jener: „Jachwe, wenn’s Dir macht keine großen Umständ‘, könnt‘ ich’s wieder ha°b’n wie’s war?“ 

 Mysterium mortis

Angenommen, der Himmel für Gelehrte wäre eine gediegene alte Bibliothek. Engel, welche geflügelten Hofräten gleichen, schweben mit wertvollen Folianten in Händen hernieder. Alles wäre darin zu finden, worauf das Leben die Antwort schuldig blieb. 

„Mysterium Mortis“ lautet der Titel eines Werkes von Ladislaus Boros und der eines weiteren: „Aus der Hoffnung leben“ – nur ein Versuch, betonte er bescheiden. Die Welt bricht zusammen, wenn ein geliebter Mensch stirbt, die Mutter, das Kind oder ein lieber Freund, eine dieser seltenen ‚verwandten Seelen‘. Versuche Trost zu spenden, schlagen fehl. Nichts ist mehr so, wie es einmal war, es bleibt eine seelische Wunde. Die ‚alleine‘ Gelassenen sind untröstlich. Boros malte in seiner Welt des Glaubens eine tröstliche Metapher, ein Bild wie aus der Sixtinischen Kapelle: Im Augenblick des Todes kommt es zur ersten wahren ‚vollpersonalen‘ Begegnung mit dem Creator:

Finis ultimus, das letzte Ziel, das höchste Glück, Beatitudo, absolute Glück Seligkeit, Punkt Omega.

„Wir sehen jetzt durch einen Spiegel in einem dunklen Wort; dann aber von Angesicht zu Angesicht. Jetzt erkenne ich es stückweise; dann aber werde ich erkennen, gleichwie ich erkannt bin.“ 1 Kor 13, 12

Nahtod-Erlebnisse (NTE):

Die traumähnlichen halluzinatorischen Phänomene (dreamlets) in den ersten Sekunden nach Herzstillstand – unter Sauerstoffmangel in retinaler und cerebraler Hypoxie bis Anoxie, bei Temporallappen-Epilepsie (TLE) oder ‚G-force induced Loss of Consciousness‘ (G-LOC) oder unter dem Einfluss von Halluzinogenen können Euphorie auslösen, bei NTE so intensiv, daß es nach Reanimationen nicht selten zu emotionalen Gefühlsausbrüchen kommt: „Es war unfassbar schön, sodass ich nie mehr zurück wollte! Warum habt ihr mich zurückgeholt?“ An der ‚Realität‘ dieser halluzinierten Inhalte wird subjektiv in den NTE-Phasen nicht gezweifelt. „The NDE is exactly what it appears to be to the person having the experience“ (Chris French).

Nicht alle Befragten können sich nach erfolgter Reanimation an NTE-Inhalte erinnern. Das immer wieder geschilderte Tunnel-Phänomen, konzentrische Gesichtsfeldeinengungen, verursacht durch retinale und kortikale hypoxische bzw. haemodynamische Effekte, entsteht auch während der G-LOCs von Kampffliegern. Zwischen Herzstillstand und dem Null-Linien-EEG nimmt die Aktivität kognitiver Prozesse zu. Experimentell erzeugte Ohnmachtzustände lösen auch bei Gesunden ähnliche Phänomene aus: Dissoziation, Depersonalisation und ‚Oneroid‘. etc.

NTE, ein prägendes Ereignis, hinterlässt bleibende Spuren. ‚Reanimierte‘ sehen das Leben mit anderen Augen. Ihr Sein erhält plötzlich eine höhere Qualität – die Liebe zum Leben, zum Mitmenschen, eine neue Spiritualität, höhere Selbstwertschätzung, mehr Freude am Dasein und – materielle Werte verlieren an Bedeutung. „Das Leben hier ist nicht sinnlos“.. Als ‚unendlich tröstlich‘ beschrieb E. Alexander (Neurochirurg) seinen NTE-‚Blick in die Ewigkeit‘, zusammengefasst in einer zentralen Botschaft: „Du wirst geliebt.“ („Worte, die ich als Waisenkind, als Kind, das weggegeben worden war, so dringend hören musste“).

In Indischen Philosophien und Religionen werden Begegnungen mit der Gottheit zur absoluten, ontologischen Wirklichkeit. तत् त्वम् असिTat Tvam Asi. Das Ich (Atman) wird mystisch eins mit dem wahren Selbst (Brahman) – im Meditativen dieser Kultur. 

Epilog: „Heute geh ich heim“ – waren die letzten Worte eines lieben Verwandten (Großvater), wenige Stunden vor seinem seligen Entschlummern. Schöner lässt sich dies nicht sagen…

G-LOCs: G-force induced Loss of Consciousness von Piloten „fainting in the air“

Oneroid: Bewusstseinstörung, begleitet von lebhaften traumähnliche Halluzinationen

* so beschrieb Mauthe einen lieben Freund und vielleicht auch sich selbst; später meinte er: „ich bin nicht zynisch..“

**Audiatur etiam altera pars: ..Zeus wollte nämlich, dass der Mensch, auch noch so sehr durch die anderen Übel gequält, doch das Leben nicht wegwerfe, sondern fortfahre sich immer von Neuem quälen zu lassen. Dazu gibt er dem Menschen die Hoffnung: sie ist in Wahrheit das übelste der Übel, weil sie die Qual der Menschen verlängert“.
Friedrich Nietzsche.
Menschliches, Allzumenschliches I II. Zur Geschichte der moralischen Empfindungen 71-107.

Unerhört, was der obersten olympischen Instanz hier unterstellt wird. Auch die abenteuerlich erotischen Eskapaden dieses umtriebigen Prinzipals entbehren nicht einer gewissen unfreiwilligen Komik. Das ‚homerische‘ Gelächter als adaequate Reaktion humorbegabter Olympier wäre strafwürdig, zöge Konsequenzen nach sich, doch verhaltenes Gekicher vom Olymp sollen Hirten bei günstigem Wind vernommen haben – berichtet die Fama . . 

Boros L (1973) Mysterium mortis. Walter

Boros L (1968) Aus der Hoffnung leben. Walter

Eben A (2012) Proof of Heaven: A Neurosurgeon’s Journey into the Afterlife. Simon & Schuster
https://ebenalexander.com/about/my-experience-in-coma/

Bäumer SB (2019) The Yoga of Netra Tantra, Shivam S (Ed.), IIAS Shimla & D.K. Printworld, New Delhi 

Oberhammer G (1995) Im Tod gewinnt der Mensch sein Selbst. Das Phänomen des Todes in asiatischer und abendländischer Religionstradition. Verlag d. Österreichischen Akademie d. Wissenschaften

Mauthe J (1986) DEMNÄCHST oder der Stein des Sisyphos. Ed. Atelier

Zeller-Zellenberg W (1973) Seid lieb zueinander. Ein k.u.k. Kaleidoskop. Hoffmann & Campe/ Ueberreuter

Zeller-Zellenberg W (1976) Seid lieb auch zu Disteln. Vom Undsoweiter der k.u.k. Herrlichkeit 1918 bis dato und in alle Ewigkeit.  Europaverlag     
http://agso.uni-graz.at/marienthal/biografien/zeller_zellenberg_wilfried.htm

Zerr- und andere Bilder
https://ub-blog.meduniwien.ac.at/blog/?p=25926

Birkenbihl VF (2005) Humor: An Ihrem Lachen soll man Sie erkennen Taschenbuch. mgVerlag 
http://www.zeno.org/Philosophie/M/Platon/Des+Sokrates+Verteidigung j

Peinkhofer C et al (2019) Semiology and Mechanisms of Near-Death Experiences; Review Curr Neurol Neurosci Rep 19(9):62. https://ub-blog.meduniwien.ac.at/blog/?p=16917 (Quantum satis est)

Gender: beyond

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Katharina und Peter Heilig
VIDEO ON DEMAND: KUNSTLICHT IN UNSEREN AUGEN:
https://youtu.be/k9k_wG5lacA

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