Gastautor Prof. Dr. Peter Heilig: COCA, FREUD und (Coca-) KOLLER

COCA, FREUD und (Coca-) KOLLER

‚Coca-Koller‘ pflegte Sigmund Freud seinen Freund Karl Koller zu nennen, nach seiner weltweit aufsehenerregenden Entdeckung. Erstmals, am 15. September 1884, in der Versammlung deutscher Augenärzte in Heidelberg wurde Kollers Kokain-Lokalanästhesie vorgestellt. Als  Sekundararzt der Zweiten Wiener Augenklinik hatte er sie eingeführt. Vergeblich hatte er bereits Chloral, Brompräparate und Morphium etc. getestet. Trotz anfänglicher Mißerfolge ließ er sich keineswegs entmutigen. „Obschon erfolglos, hatten diese Versuche doch die Wirkung, daß ich vorbereitet war die Gelegenheit zu erfassen, sobald ich einem wirklichen Lokalanästhetikum begegnen würde“.

Im Sommer des Jahres 1884 ‚fiel der Groschen‘: Sigmund Freud und Karl Koller standen inmitten einer Gruppe junger Sekundarärzte im Hof des Allg. Krankenhauses. Einer der Kollegen klagte über Zahnschmerzen. S. Freud reagierte daraufhin prompt: „Ich glaube Ihnen  kann geholfen werden!“ Ein paar Tropfen vom Extrakt der Koka-Pflanze stillten die Schmerzen ‚im Augenblick‘.

„Meinem Freunde, dem Augenarzt L. Königstein, legte ich nahe zu prüfen inwieweit sich die anaesthesierenden Eigenschaften des Kokains am kranken Auge verwerten ließen. Als ich vom Urlaub zurückkehrte, fand ich, daß nicht er, sondern ein anderer Freund, Karl Koller die entscheidenden Versuche am Tierauge angestellt hatte. Er gilt darum mit Recht als der Entdecker der Lokalanaesthesie mit Kokain“  sowie – „Ich habe meine damaligen Versäumnisse meiner Braut nicht nachgetragen“ meinte Sigmund Freud etwas kryptisch.

S. Freud war in erster Linie an der zentralen Wirkung von Kokain interessiert; Karl Koller untersuchte die lokalanaesthetischen Effekte am Auge. Der Pharmakologe B. von Anrep hatte im Jahre 1880 die Kokain-Lokalanaesthesie ‚übersehen‘, die K.- Mydriasis jedoch erwähnt. „Herr von Anrep ging an dieser Entdeckung vorbei, so hart er auch an ihr war. Die Wunderblume hatte ihm entgegengeleuchtet, er aber sah nicht ihren Schein“, so formulierte dies Josef Meller als Festredner poetisch-blumig am fünfzigsten Jahrestag (1934) der Kokain- Lokalanaesthesie-Geburtstunde.

Zweiprozentige Kokainlösung anästhesierte Conjunctiva und Cornea eines Versuchstieres und machte es völlig unempfindlich gegen taktile, chemische, thermische und elektrische Schmerzreize. In Selbstversuchen, in Praktika und schließlich bei der entscheidenden Anwendung am Patienten zeigte sich das volle Potential dieser Substanz: Die erste Cataractoperation in Lokalanaesthesie wurde am 11. September 1884 durchgeführt – eine Sternstunde – nicht nur für die Ophthalmologie. Noch nie hatte eine Nachricht so schnell die Runde um den Erdball gemacht.

Karl Kollers sehnlicher Wunsch als Assistent an die Wiener Augenklinik aufgenommen zu werden, ging nicht in Erfüllung. Ein Kollege hatte ihn böse insultiert; es kam zum damals unvermeidlichen (verbotenen) Duell; dies erinnert ein wenig an Schnitzler’s ‚Lieutenant Gustl‘ und den ‚Ehrenkodex‘. 1885 verließ Koller gezwungenermaßen die Klinik, für die er im höchsten Maße qualifiziert gewesen wäre. Seine ophthalmologische Fachausbildung erhielt er am Gasthuis voor Oglijders in Utrecht um schließlich in USA am Mount Sinai und Montefiori Hospital (bis 1942) als erfolgreicher Augenarzt weitere Karrieregipfel zu erleben – „He received many distinctions during his life span.“  Mehrmals war er für den Nobelpreis in Medizin und Physiologie nominiert worden. Karl Koller starb am 22. März 1944 in New York.

Eduard Jaeger von Jaxtthal (* 25. Juni 1818, † 5. Juli 1884) fungierte nur für kurze Zeit als Vorstand  der II. Wiener  Universitäts-Augenklinik, von 1883 bis 1884. In diesem Hause, im Interregnum unter August Ritter von Reuss, initiierte Koller die örtliche Betäubung, welche den Patienten unerträgliche  Schmerzen ersparte und der Ophthalmochirurgie ermöglichte ihr hohes Niveau zu erreichen. 

Epilog: Was blieb von der ruhmreichen Vergangenheit der Zweiten Wiener Universitäts- Augenklinik, was erinnert an Sternstunden und Meller’s Wunderblume ? Etwa der Cocain-Test (Horner*-Syndrom). Doch andere Pharmaka treten nun an die Stelle des berühmt- berüchtigten Kokain – gleichsam eine Metapher: Surrogate statt Originale . .

Ueber die Verwendung des Cocaȉn zur Anästhesirung am Auge. Von Dr. Karl KOLLER, Sekundararzt des k. k. Allgemeinen Krankenhauses in Wien. Vortrag, gehalten in der Sitzung der k. k. Gesellschaft der Aerzte vom 17. Oktober 1884. Wr. Med. Wochenschr. (1884) 43/44; 1276-1278/1310-1312

 Koller C (1884) On the Use of Cocaine for Producing Anæsthesia on the Eye. Lancet II: 990-992

Lesky E (1981) Meilensteine der Wiener Medizin. Große Ärzte in drei Jahrhunderten. Maudrich

Wyklicky H (1984) Zur Geschichte der Augenheilkunde in Wien. C. Brandstätter

Hirschmüller A (Ed) (1996) Sigmund Freud. Schriften über Kokain. Fischer

Grzybowski A (2008) Cocaine and the Eye: A Historical Overview. Ophthalmologica; 222: 296-301

*Johann Friedrich Horner, Schweizer Ophthalmologe, hatte ebenfalls in Wien bei Eduard Jaeger von Jaxtthal gearbeitet.

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Katharina und Peter Heilig
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https://youtu.be/k9k_wG5lacA

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