Mein Praktikum in der Med Uni Wien: Ein Tag lehrreicher als der andere
Da meine beiden anderen Praktika (im Österreichischen Volksliedwerk und in der Bibliothek des Theatermuseums) der geisteswissenschaftlichen Richtung zuzuordnen sind, ich aber auch eine Bibliothek mit völlig anderem Schwerpunkt kennen lernen wollte, habe ich mich über eine Zusage eines Praktikums an der Bibliothek der Medizinischen Universität Wien sehr gefreut.
Gleich bei meiner herzlichen Begrüßung durch Karin Czepicka, die stellvertretende Leiterin, erhielt ich einen detaillierten Plan meines zweiwöchigen Praktikums, der mich in den folgenden Tagen durch sämtliche Abteilungen führte und mir eine ausgezeichnete Gelegenheit gab, alle wichtigen Prozesse kennen zu lernen, die nötig sind, um die Bibliothek zu einem funktionierenden großen „Dienstleistungsunternehmen“ zu machen.
Durch diesen Überblick war es für mich sehr gut nachvollziehbar, wie viele einzelne „Zahnräder“ im Hintergrund ineinandergreifen (müssen), um die Vielfalt der Aufgaben einer Bibliothek zu bewältigen. Lauter Prozesse, die für den Benützer allerdings unsichtbar sind und die erst dann bemerkt werden, wenn etwas nicht so reibungslos funktioniert wie man es gewöhnt ist!
Ab sofort werde ich sicher geduldiger sein, wenn irgendwo einmal eine bibliothekstechnische Panne auftaucht, denn uns ist als „einfachen Benutzern“ nicht bewusst, wie viel Organisation und Planung nötig ist, bis auch „nur“ ein neues Buch nach einem vielschrittigen Ankauf-Katalogisierungs- und Adjustierungsprozess endlich im Regal und zur Benützung bereitsteht!
Bei einer ausführlichen Führung durch den Lesesaal, das Lernzentrum und das Magazin erfuhr ich zu meinem Erstaunen, dass – obwohl viele der Studenten ja bereits „digital natives“ sind – Printbestände (vor allem im Bereich der Lehrbücher) immer noch äußerst gefragt sind, da die Haptik beim Lernen anscheinend eine größere Rolle spielt, als es die Trends zu elektronischen Medien vermuten lassen!
In den nächsten Tagen durfte ich im Literaturlieferdienst mitarbeiten, erfuhr Vieles über den Erwerb und die Formalerschließung der Bestände und konnte den Systembibliothekaren, die für das Bibliothekssystem Primo verantwortlich sind, über die Schulter schauen.
Man stellte mir das Service „e-Books on demand“ (EOD) vor und erklärte mir viel über die Verlinkungssoftware SFX, die Berechnung des Impact Factors und die Benutzungsstatistiken.
Ich durfte sogar meine bisherigen Kenntnisse der inhaltlichen Erschließung vertiefen, denn an der Bibliothek der Medizinischen Universität wird nach der NLM klassifiziert (= National Library of Medicine Classification 2011) und hier durfte ich Neuland betreten, zumal dies in englischer Sprache erfolgte und die Medizin überdies ein völlig neues fachliches Gebiet für mich war.
Ich bekam auch einen guten Überblick über die medizinspezifischen Datenbanken und konnte so mein know-how auf dem Gebiet der Recherche erheblich erweitern.
Sogar der Leiter der Bibliothek, Mag. Bruno Bauer, nahm sich ebenfalls Zeit für mich und erklärte mir dem Umgang der Bibliothek mit den Möglichkeiten des Open Access und die Wichtigkeit von Forschungsdaten für den wissenschaftlichen Betrieb.
Nach einigen Tagen in der Hauptbibliothek im AHK lernte ich auch die Zweigbibliotheken der Med Uni Wien kennen: Zum einen die Fachbibliothek für Zahnmedizin, die als OPL geführt wird und in der der ich vom Leiter Mag. Großhaupt viel über die Bestände und den derzeitigen Stand der Forschung auf dem Gebiet der Zahnmedizin erfuhr.
Ich war überrascht zu hören, dass es seit einem Jahr eine neu geschaffene Professur für Kinderzahnheilkunde gibt und sich weiters viel auf dem Gebiet der Materialforschung (bei Zahnfüllen oder Knochenaufbau) tut.
Das absolute Highlight aber wartete auf mich als historisch sehr interessierte Person in der Bibliothek der Geschichte für Medizin, genannt: „Josephinum“. Sie wurde von Kaiser Joseph II. im Jahr 1785 angelegt, als die „Wiener medizinische Schule“ zur gezielten Ausbildung von Militärärzten gegründet wurde: bisher war die Chirurgie ein „Handwerk“ gewesen, das vor allem von Badern ausgeübt wurde.
Der Hauptbestand der Bücher in der Bibliothek der Kaisers („Josephina“) erstreckt sich auf die Jahre 1750-1820 und umfasst vor allem Werke auf dem Gebiet der Chirurgie, der Augenheilkunde, der Gynäkologie (die Ehefrauen der Soldaten wurden ebenso betreut wie die Militaristen) und die Nebenfächer Chemie und Physik.
Durch meinen Betreuer lernte ich bei einer ausgiebigen Führung in sämtliche Winkel des Hauses all die verborgenen „Schätze“ kennen, die das Josephinum in sich birgt und die einst den Weltruf der „Wiener medizinischen Schule“ unter Maria Theresias Leibarzt Gerard van Swieten begründeten und ausbauten.
Herr Albrecht zeigte mir eine ganze Reihe bibliothekarischer Schätze der „Josephina“, ich beschränke mich in meinem Bericht auf zwei von ihnen. Allen voran der „Hortus Eystettensis“, der 1613 vom Apotheker Basilius Besler aus Nürnberg geschaffen wurde. In ihm sind anhand von Kupferstichen 366 Pflanzen nach ihrer Blütezeit im Jahreslauf abgebildet. Dass dieses wertvolle Stück nur selten seinen „Stall“ verlässt, liegt vor allem an seinem nicht geringen Gewicht von stolzen 22kg schwer!
Ich lernte auch das älteste aufbewahrte Werk kennen: „De pesto“ aus 1478 von Giacomo Busoldi, in dem die Pestepedemie in Florenz in den 1430er Jahren beschrieben wird.
Zu guter Letzt zeigte mir Herr Albrecht eine von zwei Aldinen, die das Josephinum beherbergt.
In den folgenden Tagen beschlagwortete ich bei der Leiterin Frau Dr. Brigitte Kranz medizinische Lehrbücher aus frühen 19. Jahrhundert in ALEPH und klassifizierte sie nach der NLM.
Als jemand, zu dessen persönlichem wie beruflichem „Steckenpferd“ die Quellenrecherche gehört, fand ich die schönste Herausforderung darin, Harald Albrecht bei der Revision der Josephinischen Bestände unterstützen zu dürfen.
Ein mühsames und aufwändiges Unterfangen auf Jahre hinaus, da man sämtliche in über 6000 Bänden Personen- und Quellenangaben nach einer eigens konstruierten Datenbank einträgt , wobei man aber von Zeit zu Zeit von der Materie vor – beinahe – unlösbare Aufgaben gestellt wird.
Auch während meiner Praktikumstage stellte sich dies einige Male als äußerst herausforderndes Unterfangen heraus, bei dem ich meine bereits verschollen geglaubten Lateinkenntnisse wieder aktivierte und ich mein „Research-Repertoire“ um viele neue Schachzüge und Datenbanken für die Recherche nach historischen Persönlichkeiten und Buchbeständen erweitern konnte.
Herr Albrecht erzählte mir überdies viel über das langjährige Projekt der Provenienzforschung und so manch bereits erfolgte Restitution an Erben.
Da ich meine Dissertation über den jüdischen Kabarettautor und Librettisten Hugo Wiener geschrieben habe, der 1938 in ein zehnjähriges Exil nach Südamerika ging und durch den NS-Terror sämtliche seiner Angehörigen verlor, war dieses Thema auch von besonderem Interesse für mich.
Am letzten Tag bekam ich durch Herrn Albrecht noch eine exklusive Führung durch die weltberühmten Wachsmodelle nach Florentiner Vorbild, die den angehenden Ärzten zu Kaiser Josephs II. Zeiten als „Anschauungsmaterial“ für ihre Studien dienten.
Ich kann jedem Lehrgangsteilnehmer ein Praktikum an der Med Uni Wien sehr empfehlen, da man einen sehr umfangreichen Einblick in eine der größten Universitätsbibliotheken unseres Landes bekommt und der Praktikumsalltag aufgrund der vielen verschiedenen Tätigkeiten und der herzlichen Betreuung äußerst abwechslungs- und lehrreich ist.
Danke an alle, die mich so bereitwillig und engagiert betreut haben, vor allem an Mag. Karin Cepicka, die dieses Praktikum möglich gemacht und organisiert hat und Herrn Harald Albrecht, der mir geduldig all meine Fragen beantwortet hat und sich sehr viel Zeit genommen hat, mir das geschichtsträchtige Haus des Josephinums mit all seinen Schätzen bis in den letzten Winkel zu zeigen!
Ich bin überzeugt, dass mir dieses Praktikum auch bei meiner künftigen Beruf sehr hilfreich sein wird, da ich viel neues Wissen erwerben konnte, das ich in meinen Arbeitsalltag umsetzen kann!
Karin Sedlak
Weitere Berichte über Praktika an der UB Med Uni Wien im Van Swieten Blog:
- Carinna Büttner: Praktikum an der UB Med Uni Wien (Mai 2008)
- David Mitterhuber: Praktikum an der UB Med Uni Wien (Juli 2008)
- Maria-Christina Maschat: Praktikum an der UB Med Uni Wien (Juli 2009)
- Annemarie Grillenberger: Praktikum an der UB der Med Uni Wien (August 2009)
- Elisabeth Hohla: Praktikum an der UB der Med Uni Wien (August 2009)
- Z. Dobiasova, J. Pirnerova, K. Kieslingova: Praktikum at the University Library of MedUni Vienna (Mai 2010)
- Lidija Nikic: Praktikum an der UB Med Uni Wien (Juli 2010)
- Marion Jaks: Praktikum an der UB Med Uni Wien (August 2010)
- Jana Vartecká: Praktikum an der Ub Med Uni Wien (September 2010)
- Mag. Lukas Zach: Praktikum an der Ub Med Uni Wien (Feber 2011)
- Brigitte Deimel: Praktikum an der Ub Med Uni Wien (Juli 2011)
- Stefan Prähauser: Praktikum an der Ub Med Uni Wien (Oktober 2011)
- Carolin Dögl: Berufspraktische Tage an der Ub Med Uni Wien (Feber 2012)
- Mag. Vera Brandtl: Praktikum an der Ub Med Uni Wien (August 2012)
- Mag. Barbara Sanchez: Praktikum an der Ub Med Uni Wien (März 2013)
- Mag. Angelika Hofrichter, Mag. Elisabeth Potrusil: Praktikum an der UB Med Uni Wien (1. Halbjahr 2014)
- Mag. Sabine Wallig: Praktikum an der UB Med Uni Wien (März 2014)
- Claudia Buchmayer: Praktikum an der UB Med Uni Wien (Mai 2014)
- Nana Turk (Slowenien): Praktikum im Rahmen des Erasmus-Programms an der UB MedUni Wien (Juni 2014)
- Mag. Ursula Ulrych: Praktikum an der UB MedUni Wien (August 2014)
- Dr. Anthony Ross-Hellauer: Internship at the University Library of the Medical University of Vienna (September 2014)
- Mario Klein: Praktikum an der UB Med Uni Wien (Oktober 2014)
- Caroline Glawischnig: Praktikum an der UB Med Uni Wien (April 2015)
- Susanne Kainer: Praktikum an der UB Med Uni Wien (Mai 2015)
- Solvei Bischoff: Berufspraktische Tage an der Ub MedUni Wien
- Cian Scollard: Praktikum an der UB Med Uni Wien (August 2015)
- Kim-Sara Preis: Praktikum an der UB Med Uni Wien (November 2015)
- Antigon Gjura: Praktikum an der UB Med Uni Wien (November 2015)
- Denny Cheng : Praktikum an der Ub MedUni Wien (Feber 2016)
- Susanne Zimmer: Praktikum an der Ub MedUni Wien (Feber 2016)
- Karin Sedlak: Praktikum an der Ub MedUni Wien (Feber 2016)