225 Jahre Josephinum
von Doz.Mag.DDr. Sonia Horn
Am 7.November 1785 wurde die medizinisch – chirurgische Akademie, besser bekannt als „Josephinum“, eröffnet. Ein Jahr später wurde diese Institution zur „medizinisch – chirurgischen Josephsakademie“ mit dem Status einer Universität.
Die medizinische Fakultät der 1365 gegründeten Universität Wien, war von Anfang an eine der führenden medizinischen Schulen in Europa, wie rezente Forschungen zeigen. Ihre Aufgabe war es, nicht nur Ärzte auszubilden, sondern auch Heilkundige zu prüfen, die ihre Ausbildung nicht primär im akademischen Kontext erworben hatten – Bader, Wundärzte , Hebammen, Okulisten, Bruch – und Steinschneider sowie Zahnheilkundige. Ab 1517 übernahm die medizinische Fakultät diese Aufgaben für Heilkundige im Raum Wien, ab 1638 für jene aus dem heutigen Nieder- und Oberösterreich, sowie Teilen des heutigen Burgenlandes. Darüber hinaus wurden die öffentlichen Apotheken in dieser Region regelmäßig kontrolliert. Patientinnen und Patienten konnten sich bei fraglichen Kunstfehlern an die medizinische Fakultät wenden, sehr häufig war sie auch mit medizinischen Gutachten in gerichtlichen Verfahren befasst. Weiters war die medizinische Fakultät der Universität Wien auch jene Instanz, von der gesundheitspolitische Maßnahmen ausgearbeitet wurden, v.a. um die Ausbreitung von Seuchen zu verhindern.
Dieses breite Aufgabenspektrum nahm die Wiener medizinische Fakultät stark in Anspruch, worauf die Mitglieder des Kollegiums immer wieder hinwiesen. Daher wurden zu Beginn des 18. Jahrhunderts zahlreiche Vorschläge für Reformen des Gesundheitswesens und der Studien an der medizinischen Fakultät an die Regierung herangetragen. Dies führte zunächst dazu, dass sich die medizinische Fakultät 1719 neue Statuten gab, die auch von der Regierung akzeptiert wurden. In diesen Richtlinien wurde auch das Prozedere für den Erwerb des Doktorates der Chirurgie, die Prüfung der Hebammen, Bader und Wundärzte sowie anderer medizinischer Berufsgruppen verankert. Aufgrund der politischen Situation konnte die von der medizinischen Fakultät ausgearbeitete Reform des Medizinstudiums jedoch nicht umgesetzt werden. Dies gelang erst Gerhard van Swieten (1700 – 1770) durch seine exzellenten Managementfähigkeiten um die Mitte des 18. Jahrhunderts. Die 1749 durchgeführten Reformen inkludierten auch die Möglichkeit einzelne Studienabschlüsse in verschiedenen medizinischen Bereichen zu erwerben – das Doktorat der Medizin, das Doktorat oder Magisterium der Chirurgie sowie das Magisterium der Geburtshilfe, zu dem Männer ab 1753 zugelassen wurden. Zuvor war die Geburtshilfe den Hebammen vorbehalten gewesen, die während ihrer vierjährigen Lehrzeit an der medizinischen Fakultät inskribiert waren und vor dem Kollegium der Doktoren ihre Prüfungen abgelegt hatten. Genau genommen, waren diese die allerersten Studentinnen an der Wiener medizinischen Fakultät.
Eine der besonderen Leistungen von Gerhard van Swieten war jedoch die Neustrukturierung der Verwaltung des Gesundheitswesens. 1770 wurde nach langen Verhandlungen die Sanitäts- und Kontumazordnung erlassen, mit der das Gesundheitswesen in den habsburgischen Ländern vereinheitlicht wurde. Dabei wurde das bewährte Modell, das die medizinische Fakultät seit dem 15. Jahrhundert entwickelt hatte, übernommen und auf einen größeren Bereich umgelegt. Hinzu kam jedoch auch, dass die neu geschaffene Behörde, die Sanitätshofkommission, und ihre Unterbehörden, begannen, Daten über die Morbidität und Mortalität zu sammeln, um mit Statistiken die Bevölkerungsentwicklung und die Wirksamkeit von gesundheitspolitischen Maßnahmen bewerten zu können. Dies war Teil des sog. „Kameralismus“, einer Wirtschaftstheorie, die u.a. eine hohe Bevölkerungszahl als Reichtum eines Staates betrachtete. Gesundheitspoltische Maßnahmen wurden als wesentliche Maßnahme gesehen, um dieses Ziel zu erreichen.
Joseph II (1741-1790) und der Kreis seiner Berater verfolgten dieses Ziel ebenfalls, jedoch noch intensiver und von den Gedanken der Aufklärung geleitet. Wie der Wirtschafts- und Staatstheoretiker Joseph v. Sonnefels (1732 – 1817) in seinem Lehrbuch über die Kameralwissenschaften betont, sollte es als Recht jedes Staatsbürgers betrachtet werden, vom Staat eine adäquate Gesundheitsversorgung auf höchstem Niveau gewährleistet zu bekommen. Die gesundheitspolitischen Maßnahmen sollten auf dieses Ziel ausgerichtet werden, in möglichst vielen Bereichen des täglichen Lebens sollten diese ebenfalls umgesetzt werden, z.B. auch bei Fragen der persönlichen Sicherheit und des Arbeitsschutzes. Personen, die sich eine medizinische Betreuung nicht selbst leisten konnten, sollten diese in „allgemeinen Krankenhäusern“ kostenlos erhalten. Gleichzeitig sollten diese Institutionen zu Orten der medizinischen Ausbildung und der medizinischen Wissensproduktion werden.
Um diese Ideen und die notwendigen Maßnahmen v.a. in der Verwaltung des Gesundheitswesens umzusetzen, wurden medizinische Allrounder gebraucht, die auch gewillt waren, in weniger entwickelten Regionen der habsburgischen Länder tätig zu sein. In langwierigen, schlussendlich erfolglosen Verhandlungen bemühte sich Joseph II, unterstützt von seinem persönlichen Arzt und Berater in medizinischen Angelegenheiten, Giovanni Alessandro Brambilla (1728 – 1800), die medizinische Fakultät zu einer ziemlich radikalen Veränderung der Studien zu bewegen. Tatsächlich erscheinen auch heute einige Vorschläge kaum umsetzbar. Im Wesentlichen ist es jedoch den unterschiedlichen Vorstellungen über die Ausbildungsziele für Ärzte und der bekannten Ungeduld des Kaisers zuzuschreiben, dass es schlussendlich zu keiner Einigung kam.
Joseph II reagierte in der für ihn typischen Weise und gründete eine Institution zur Ausbildung von Ärzten, die seine Vorstellungen und jenen seiner Berater entsprach – die medizinisch – chirurgische Akademie (= das Josephinum). Der Leiter dieser neuen Institution war Giovanni Alessandro Brambilla. Das Curriculum, die Aufnahmemodalitäten und die Lehrmethoden unterschieden sich in dieser Institution ziemlich stark von jenen der medizinischen Fakultät. Grundsätzlich sollte jeder, der über die entsprechenden Fähigkeiten verfügte, die Möglichkeit erhalten an dieser Institution zum Arzt ausgebildet zu werden. Sonnefels hielt in seinem Lehrbuch der Kameralwissenschaften fest, dass man nie wissen könne unter welchem Dach ein kluger Kopf geboren wird und die Zughörigkeit zu einer bestimmten sozialen Schicht daher nicht für die Möglichkeiten einer Ausbildung relevant sein dürfe. Tatsächlich durchliefen die Studenten des Josephinum einen Auswahlprozess, der vom Direktor, Giovanni Alessandro Brambilla, geleitet wurde. Auch auf die Herkunft, sowie die Religionszugehörigkeit wurde dabei nicht geachtet, relevant sollten bei diesen Aufnahmeverfahren die Fähigkeiten und Vorkenntnisse der Kandidaten sein. Im Josephinum wurden Spezialfächer unterreichtet, wie forensische Medizin, Augenheilkunde, Zahnheilkunde und „Staatsarzneikunde“, was der heutigen „Public Health“ nahe kommt. Diese Spezialisierungen wurden an der medizinischen Fakultät erst im Lauf der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts für die Lehre relevant. Auch in der Lehrmethodik wurden vielfach neue Wege beschritten – dem derzeitigen Stand der Forschungen entsprechend war das Curriculum ähnlich aufgebaut, wie jenes der heutigen MedUni Wien.
Bildnachweis: Sammlungen der Medizinischen Universität Wien – Josephinum, Bildarchiv