Gastautor Univ.-Prof. Dr. med. Peter Heilig: TAPETUM LUCIDUM

TAPETUM LUCIDUM

und “inverted retinae“

Autor: Univ.-Prof. Dr. med. Peter Heilig

Verkehrt sei die Netzhaut angeordnet (upside down), vermutlich entstand deshalb in der Evolution ein Tapetum Lucidum in den Augen vieler Spezies – kompensatorisch gewissermaßen wegen des ’suboptimalen Designs‘ dieser invertierten Vertebraten-Retinae (1,2). Prima vista scheint dies zu stimmen, denn das Licht muss sich sozusagen durch alle Netzhautschichten quälen um am Ende dieser Reise sein Ziel, die Zapfen und Stäbchen zu erreichen.

Ein erstes Gegenargument ließe sich ins Treffen führen:  „Die Melanopsin exprimierenden intrinsischen retinalen Ganglienzellen (ipRGCs), die dritten Rezeptoren –  “reside in the ganglion cell layer (GCL) whereas rods and cones have their cells bodies in the outer nuclear layer (ONL) (3)“. Ein weiteres unwiderlegbares Argument sind die Faseroptik-Eigenschaften der Müllerzellen*, welche das Licht so gut wie verlustfrei durch die gesamte Netzhaut leiten.

*Heilig P (2018) Myopie und Müller’sche ‚Stützzelle‘. https://ub.meduniwien.ac.at/blog/?p=30977

Als überzeugendes Argument weist die Position der äußeren Rezeptoren samt ihrer Verquickung mit dem Pigmentepithel sowie dessen Phagozytose- Eigenschaften auf die optimale Nähe zur Chorioidea hin; dies sei unverzichtbar wegen der Versorgung der metabolisch hoch-aktiven Sinneszellen mit Nährstoffen etc. Auch das Hämoglobin wäre – bei Netzhaut-Strukturen ‚andersherum designt‘, ein Problem.

Lichtschutzfaktoren tragen bei zu: – “xanthophylls in the human retina act as “molecular blinds”, opening and closing on a submillisecond timescale to dynamically control the intensity of light reaching the photoreceptors“ (4) – möglicherweise gäbe es eine reduzierte Wirkung von Lutein und Zeaxanthin in non-inverted Netzhäuten. Zu guter Letzt: „we provide evidence that the inverted retina is a superior space-saving solution“ (5)   
 

Ein – legendärer – Laplace’scher Dämon, konfrontiert mit obigen Fakten käme in Verlegenheit – falls dazu aufgefordert eine optimierte Vertebraten-Retinae nicht unvernünftig zu konzipieren, sondern mit den Rezeptoren zum Licht hin orientiert (pos. ‚phototaxis‘). Bei kleinen (z.B. Invertebraten-) Augen dürfte er gewissermaßen ’schludern‘ – sie funktionieren nämlich problemlos – doch hochdifferenzierte, extrem vulnerable Vertebraten-Netzhäute verziehen ihm einen solchen ‚Fehler‘ nie. Er, welcher alles wissen müsste, entwürfe mit Sicherheit eine dieser merkwürdigen ‚Upside Down‘ – Netzhäute. 

Audiatur et(iam) altera pars: „..das Linsenauge der Wirbeltiere sei eine Kompromisslösung und das Resultat irreparabel verbauter Anpassungen – nicht das Ergebnis voraus geplanten Designs“ (sic). Evolution in Biologie, Kultur und Gesellschaft 09/2011: absolut kein Konsens hier – siehe oben.

 Tapetum lucidum: Licht-reflektierende Schicht im Pigmentepithel oder der Chorioidea Nacht-aktiver Tiere. Es verbessert Dämmerungs- und Nachtsehen signifikant. 

Emissionstheorie – aus der Welt der Antike: „Licht ströme aus den Augen“ – diese damals verbreitete Theorie entstand vermutlich durch Beobachtungen des Licht-reflektierenden Tapetums vieler Tiere. 

“The glare of the lion was not unknown to Shakespeare:

 Against the Capitol I met a lion, who glared upon me!“ (6, Lee H. (1886))

Epilog: Ob Maculadegenerationen/Lichtschäden und die Myopie-‚Seuche‘ (Myopie-‚Pandemie‘ mancher Epidemiologen) in gleicher Weise ein non-inverted Retinae-Anthropozän überschatten würden – bleibt ein Enigma.

Advocatus diaboli: „Auf’s Design kommt’s nicht an. Spielt doch Euer überkandideltes Gedankenexperiment mit gelblichem Kunstlicht durch – ohne Phototoxizität und ohne blaue LED-humps. Ihr werdet ewig – und in Dankbarkeit an mich denken.“

1 Baden T et al (2022) Is our retina really upside down? Curr Biol;32(7):R300-R303.

2 Vee S et al (2022) The glow of the night: The tapetum lucidum as a co-adaptation for the inverted retina. Bioessays;44(10):e2200003

3 Pickard GE et al (2012) Intrinsically photosensitive retinal ganglion cells. Rev Physiol Biochem Pharmacol;162:59-90.

4 Luchowski R et al (2021)  Light-Modulated Sunscreen Mechanism in the Retina of the Human Eye. J Phys Chem B;125(23):6090-6102.

5 Kröger RH et al (2009) Space-saving advantage of an inverted retina. Vision Res. 2009; 49 (18): 2318-21.

5 Ollivier et al (2004) Comparative morphology of the tapetum lucidum (among selected species). Vet Ophthalmol;7(1):11-22.

6 Lee H. (1886) On the Tapetum Lucidum. Med Chir Trans; 69:239-45.

Oomens JMM  (2024) A possible origin of the inverted vertebrate retina revealed by physical modeling. J Biol Phys. Aug 3. “This study suggests that a primitive inverted retina in the predecessor of vertebrates is of ectodermal origin and available before neurulation occurred.“

‚Pseudo‘-Tapetum lucidum:

Breebaart-de MJG. Tapetum lucidum in a carrier of X-chromosomal atrophia retinae pigmentosa. Ophthalmologica. 1976;173(3-4):247-8. gold-colored reflections (inverse) Mizuo phenomenon

Gender : beyond

Interest: no conflict

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Veranstaltung:

Wahrgenommen
15.10.24 um 19.00 h

im Otto-Mauer-Zentrum – KAVÖ
Währinger Str. 2-4  A-1090 Wien

Veranstaltung Wahrgenommen

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Interessenkonflikt:
Der Autor erklärt, dass bei der Erstellung
des Beitrags kein Interessen –
konflikt im Sinne der Empfehlung des
International Committee of Medical
Journal Editors bestand.

Korrespondenzadresse:
Univ.-Prof. Dr. med. Peter Heilig
Augenheilkunde und Optometrie
peter.heilig@univie.ac.at

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