Gastautor Prof. Dr. Peter Heilig: Campana

Campana

Hundert Jahre, nachdem fünf Klassen* von Netzhautzellen ’systemisiert‘ worden waren, tauchte ein bisher unidentifiziertes retinales Interneuron auf (John A. Moran Eye Center an der University of Utah), welches Zapfen- und (!) Stäbchen-Signale (‚equal synaptic inputs‘) an retinale Ganglionzellen sendet – es passt somit nicht in das alte Schema.

Die Campana-Zelle unterscheidet sich trotz mancher Gemeinsamkeiten morphologisch, physiologisch und molekular von Bipolarzellen sowie auch von den Amakrinen. Die Entdeckung dieses ‚atypischen‘ glycinergen Interneurons könnte bewirken, dass nicht nur Neues hinzugefügt wird in den Abhandlungen der Neurophysiologie und dass vielleicht Manches umzuschreiben ist – mithin eine Chance für besseres Verständnis von ‚Verdrahtungen‘ sowie neuronalen Prozessen.

On- und Off- Schaltungen sowie skotopisches und photopisches System galten seit jeher als streng getrennt (nun: Campana – ‚crosstalk‘). Bipolarzellen schienen als die einzigen Interneurone zwischen Rezeptoren und retinalen Ganglienzellen (RGC) zu fungieren. Campana-Zellen exprimieren zusätzlich zu Glutamat den hemmenden Neurotransmitter Glycin. Sie reagieren auf Lichtblitze (Dauer: 100 msec) mit Depolarisierung, dies aber mit auffallend lange anhaltenden Atworten – bis zu etwa 30 Sekunden. Es kann nicht ganz ausgeschlossen werden, dass dieses unorthodoxe Interneuron auch an den lange anhaltenden Nachbild- Phänomenen mitbeteiligt ist.

Möglicherweise sind die Campana-Zellen an ’non-image-forming‘ – Prozessen beteiligt, ähnlich wie die ipRGCs mit Pupillendilatation, circadianem Photoentrainment, vielleicht auch als ‚lowpass-frequency‘– Filter bzw. als passagere ‚Memory‘- Speicher: „In the brain, persistent firing cells are believed to be involved in memory and learning. Since Campana cells have a similar behavior, we theorize they could play a role in prompting a temporal ‘memory’ of a recent stimulation.”   Ning Tian.

Der ‚dialektische Überbau‘ retinaler Funktions-Schemata ist neuerdings kritisch zu überdenken: Thesis: Strenge Trennung. Antithesis: Synthesis am Beispiel der Campana, welche unvoreingenommen ‚equal synaptic inputs‘ akzeptiert. Spaß beiseite – es ist zunächst unerheblich, wie die neue Retina-Arbeits-Hypothese aussehen wird. Sicher ist jedenfalls, dass viele unphysiologische, potentiell phototoxische Kunstlichtszenarios der Gegenwart auch diesem besonderen Interneuron einen Bärendienst erweisen.

* Photorezeptoren, Horizontal-, Bipolare- , Amakrine- und Retinale Ganglion Zellen (RGC).”   

iPRGC: intrinsic photosensitive Melanopsin Retinal Ganglion Cells

Campana (ital., span.) Handglöckchen, Façon erinnert angeblich an das Interneuron dieses Namens.

Young BK et al (2021) An uncommon neuronal class conveys visual signals from rods and cones to retinal ganglion cells. Proc Natl Acad Sci U S A. 2021 Nov 2; 118(44):e2104884118.

https://healthcare.utah.edu/moran/news/2021/10/campana-cell-retina-discovery.php

Interest, Gender: wie gehabt

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Katharina und Peter Heilig
VIDEO ON DEMAND: KUNSTLICHT IN UNSEREN AUGEN:
https://youtu.be/k9k_wG5lacA

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