Gastautor Prof. Dr. Peter Heilig: Nach-Bilder

 

Nachbilder sind treue Begleiter kognitiver Prozesse. Sie fallen im täglichen Leben kaum auf, es sei denn – Stimulusintensitäten überschritten kritische Grenzen – demonstriert am leuchtenden Beispiel der Fußgängerampel: Wartende fixieren ein grellrotes Halte-Signal. Spukhaft blitzt während einer Sakkade, wie aus dem Nichts, die Illusion eines grünen (!) ‚Ampelmännchens‘ auf – nicht im Sinne des Erfinders.

Das Nachbild, eine Illusion (‚illusory percept‘) entsteht in post-rezeptoralen ‚opponent-channel‘ – Prozessen, in retinalen Ganglienzellen (‚rebound responses‘) sowie auf kortikaler Ebene. Letzteres wird durch pathologische MRI-Befunde samt dazugehöriger Funktionsausfälle und (ggf. bewegter -) Nachbilder bestätigen. „Das Nachbild eines PKWs bewegte sich etwa gleich schnell, aber in entgegengesetzter Richtung“ (Dyskinetopsic Palinopsia‘) Auslöser: eine AV-Missbildung im Gyrus occ. inf. – ein selten beobachtetes Phänomen. Einen weiteren Hinweis liefert die transkranielle Magnetstimulation (TMS). Sie beeinflusst das ‚Visual fading‘ (DD: Troxler Effekt), im Sinne eines signifikant verzögerten Verblassens von Nachbildern – via ‚early visual cortex‘.  

Verschiedene optische Täuschungen, zum Beispiel der ‚McCollough – Effekt‘, basierend ebenfalls auf Nachbild-Effekten, wurden noch immer nicht vollständig entschlüsselt. „Im Gegensatz zu allen anderen Nachwirkungen, die höchstens eine Minute anhalten, wirkt diese über Stunden, auch über Nacht. Wenn man 10 Minuten adaptiert, soll es Monate anhalten“ (?) (https://michaelbach.de/ot/index-de.html). Dies erinnert frappant an MRGC (Melanopsin-Retinale-Ganglienzellen)- Slow-Potentials, deren Aktivitätsdauer bis zum ‚Steady state‘ nicht bestimmt werden konnte. Licht-Nachwirkungen werden unterschätzt. ‚Qualitäts‘-Monitore produzieren kräftige Nachbilder aber auch lästige Schlafstörungen.

„A bright flash can induce a positive visual afterimage of whatever scene a person is looking at when the flash occurs“ : Dieses Statement und obige Angaben über die Dauer der Nachwirkungen (‚persistence of visual information from the afterimage‘ – Stone et al) leiten über zu überdosiert grell-kurzwellig dominierten Licht-Bombardements, denen Sehen und Wahrnehmung wehrlos ausgeliefert sind, besonders im Straßenverkehr. Die Einsatzfahrzeug-Signale (’son et lumiere‘) liegen deutlich über der Schmerzschwelle, wären folglich kontraindiziert in den Fußgängerzonen, aber – wen kümmert’s.

Die Stimulus-Intensität spielt bei der Nachbild-Entstehung eine entscheidende Rolle.  Ampel-Licht-Intensitäten wurden ohne Berücksichtigung der jeweiligen Umgebungs-Lichtintensität schrankenlos gesteigert. In Dämmerung und Dunkelheit werden derart extreme Intensitäten zum ernsten Problem. Über Gefahren der Blendung wurden die zuständigen Experten laufend informiert; komplementärfarbene Nachbilder zu grell strahlender Ampeln sprachen sich noch nicht herum. Die deutlich weniger ‚aufdringlichen‘  Nachbilder der Vorgängermodelle waren unterschwellig; sie wurden nicht wahrgenommen. 

Retinale Lichtschäden sind immer dann zu befürchten, wenn bei Service-Arbeiten – in kurzer Distanz von Lichtquellen – zu spät oder überhaupt nicht ausgeschaltet wird. Durch die potentiell phototoxischen Effekte sind nicht nur die Zapfen und Stäbchen sowie das retinale Pigmentepithel gefährdet, sondern auch die retinalen Ganglienzellen (RGC), die  Mitochondrien samt DNA (upregulation of reactive oxygen species and subsequently caspase-dependent or -independent cell death“. Das Risiko der Entstehung von retinalen Lichtschäden wird nach energetischer Vorschädigungen aber auch bei Erkrankungen der Netzhaut höher.

Eine weitere wertvolle Zelle, die ‚Campana‘- Zelle* ist bedroht durch Phototoxizität. Sie passt nicht in das Fünf-Klassen-Schema retinaler Neurone, wie dies vor hundert Jahren erstmals präzisiert beziehungsweise konstruiert wurde – möglicherweise gehört sie einer eigenen neuen Klasse an, einer besonders ungewöhnlichen: sie empfängt sowhl Zapfen- als auch Stäbchen-Signale und – sie ist extrem lange ‚aktiv‘ – bis zu dreißig Sekunden lang: ‚They (Interneurone) could play a role in prompting a temporal memory of a recent stimulation.” Damit fügt sich die Campana‘- Zelle nahtlos in die Reihe der Strukturen und neuronalen Elemente ein, welche an der Kaskade der Nachbild-Entstehung und des ‚Fadings‘ einen maßgeblichen Anteil haben.

Andersgeartete, schwerere Schäden sind nach ‚retinalem Lichtstress‘ im Straßenverkehr zu befürchten: Das ‚Fahren wie in einem dunklen Tunnel‘ nach Blendung (‚redetection time after glare‘). In Refraktärphasen, während der retinalen Readaptationen, werden viele verkehrsrelevante Objekt zu spät oder – im schlimmsten Fall – gar nicht wahrgenommen. Störendes Streulicht, Ablenkungen (Distraction Blindness) und neue Nachbild-Phänomene schufen zusätzliche Unfall-Gefahren durch überdosierte, unphysiologische Lichtstimuli.     

 Ergo: Handlungsbedarf. 

Epilog:

Die zuständige Verkehrs-Kognitionspsychologie hält sich bedeckt. Vielleicht gibt die Verkehrs-Ophthalmologie ihrem Herzen einen Stoß.         

Lit.:

Kingdom FAA et al (2020) Negative afterimages facilitate the detection of real images Vision Res; 170:25-34. 

Lahiri D et al (2020) Dyskinetopsic Palinopsia: Palinopsia Accompanied by Moving Afterimages. Case Reports Cogn Behav Neurol; 33(4):266-270.

 O’Hare L ( 2017) Visual Discomfort From Flash Afterimages of Riloid Patterns. Perception ;46(6):709-727

Engelen T  et al (2019) Reduced Fading of Visual Afterimages after Transcranial Magnetic Stimulation over Early Visual Cortex; 31(9):1368-1379

Stone BW et al (2016) Multisensory Tracking of Objects in Darkness: Capture of Positive Afterimages by the Tactile and Proprioceptive Senses; PLoS One. 2016; 11(3): e0150714.

Magnussen S et al (2016) Filling-in of the foveal blue scotoma. Vision Res ; 41(23): 2961–2967.

Zele AJ (2019) Melanopsin driven enhancement of cone-mediated visual processing. Vision Res; 160:72-81.

Zhao Y et al (2020) Light-Induced Retinal Ganglion Cell Damage and the Relevant Mechanisms; Cell Mol Neurobiol 40(8):1243-1252.

*Young BK et al (2021) An uncommon neuronal class conveys visual signals from rods and cones to retinal ganglion cells. Proc Natl Acad Sci U S A. 2021 Nov 2;118(44):e2104884118. Dieses Interneuron zwischen Rezeptoren und RGC, die Campana Zelle – may play an atypical role in vision“.   

Gender: beyond

Interest: ut semper

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Katharina und Peter Heilig
VIDEO ON DEMAND: KUNSTLICHT IN UNSEREN AUGEN:
https://youtu.be/k9k_wG5lacA

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