Gastautor Prof. Dr. Peter Heilig: Technik und Auge

Die Industrie übertrifft sich geradezu selbst mit spektakulären ‚Optimierungen‘ auf dem Gebiet visueller Medien und künstlicher Beleuchtung. Super Hi-Vision, Imax-Level, „mesmerizingly beautiful“, Full-HD und HD-TV, 8 K-Fernseher (dreiunddreißig Millionen Pixel) – obwohl 8K-Kameras und deren  8K-HD-Bilder schwer im Handel zu finden sind. Die hohen Datenmengen benötigen spezielle Satelliten-8K-Receiver; abgesehen davon sind 4K-Geräte, 4K-Ausstrahlungen (für 2022 geplant) etc. noch rar. Bit-Raten im Internet hinken nach. Auch Blue-Ray-UHD Produkte kommen für Fans zu spät; die Auswahl ist bescheiden. Eine maximal erhöhte ‚Bildqualität‘ stößt beim Auflösungsvermögen der Netzhaut an sinnesphysiologische Grenzen. Betrachter, welche ihren Super-Monitor (189″ Diagonale) in etwas komfortablem Abstand als ~1.25 m genießen wollen, dürfen sich die Investition (s. oben) sparen.

Ein Wort zur Ästhetik: Von der SuperHighFullHDUHDKn-etc.-‚Vision‘ unterscheidet sich der natürliche Seh-Eindruck wesentlich: Wie aquarelliert verlieren sich klare Umrisse in der Ferne, in zartem Blau schimmern Berge kulissenhaft oder es scheint das Meer mit einem fernen Himmel zu verschmelzen. Ein Hauch von Astigmatismus mixtus mit dazugehöriger großer Tiefenschärfe (falls nicht restlos herausgelasert) lässt Dreidimensionales noch plastischer erscheinen. Und im Sturm’schen Konoid spielt dessen geometrische Farbverteilung eine ganz besondere Rolle. Das Flache im Flachbildschirm mit ubiquitär extrem scharf abgebildeten Details in allen (jedoch schwer erkennbaren) Tiefen-Ebenen wirkt hingegen alles Andere als natürlich. Abgesehen davon bettelt so manche schonungslose Großaufnahme um einen barmherzigen Weichzeichner. Eines Tages wird die Industrie vielleicht ihre Produkte in weiser Voraussicht mit ’natural view‘ anstelle der  marktschreierischen ‚Super Duper-Vision‘ bewerben.

Natürliches Licht, die Conditio sine qua non für optimiertes Sehen und Wahrnehmung, kam aus der Mode. Blau-dominiertes überdosiert helles bis blendendes Kunstlicht foltert das Auge im Straßenverkehr, auf Sportplätzen, Nacht-Skipisten, in Innenräumen, über ‚Smart’phones, Tablets, Monitore etc. Via Phylogenetik entwickelte sich das visuelle System über Millionen Jahre bis zur humanen Ontogenese unter dem Einfluß von Temperaturstrahlern (Sonne, Fackel, Kerze.. Glühbirne etc.). Unzählige Experimente dieses Licht technisch zu ‚verbessern‘ schlugen fehl. Das kontinuierliche Spektrum des Glühfadens – in der Glühbirne zum Beispiel – kommt der Idealvorstellung am nächsten. Das fehlende totale Erlöschen des Glühfadens während des Nullphasendurchgangs (bei Wechselstrom) verhindert übrigens störendes Flackerlicht.

‚Löcherige‘ Leuchtstoffröhren- oder Energiesparlampen-Spektra sind ’nicht das Gelbe vom Ei‘. Mit 50 oder 100 Hertz flackernde Kunstlichtquellen, bläulichweiss blendende KFZ-Scheinwerfer, intermittierend abstrahlende Lichter (dynamische Werbung, E-Toys-Lichtbehübschungen im Straßenverkehr etc.) harmonieren eher dissonant mit unseren visuellen und kognitiven Prozessen – im schlimmsten Fall: Inattentional Blindness samt potentiell fatalen Folgen – Beispiel: nicht wahrgenommenes Kind am Schutzweg durch Tagfahrlicht (DRL)-Überstimulation trotz ausreichend hellen Tagslichts.

LED: Entbehrliche blaue Buckel (peaks) dominieren die Spektralverteilungskurven der Licht-Emittierenden Dioden. Mit einigem Aufwand – dies schlägt sich jedoch im Kaufpreis nieder, wird versucht das ‚Tageslichtspektrum‘ zu simulieren und unphysiologisches, potentiell phototoxisches Blau zu filtern. Käufer haben jedoch keine Möglichkeit die Qualität des Gebotenen verlässlich zu überprüfen. Auch Kelvin-Angaben bzw. die Bezeichnung ‚warmweiß‘ helfen kaum weiter. Das Desideratum: Tageslichtspektrum. 

Vor etwa 600 Millionen Jahren entstanden die ersten lichtempfindlichen Augenflecken, später Pigment-Becheraugen, Lochblendenaugen und das Linsenauge, welche das Licht zentral bündelt. Phototoxisches Ultraviolett wird von Hornhaut und Linse gefiltert, jedoch gelangt energiereiches Blau des sichtbaren Spektrums bis in die Retina. Nicht viel mehr als fünf Prozent aller Zapfen sind blau-empfindlich (S-cones) – im Zentrum der Netzhaut fehlen sie zur Gänze. Warum wohl? Wenn es keine teleologische Erklärung gibt, dann wäre eine Hypothese schwer zu widerlegen, welche besagte, dass diese Rezeptoren, ‚Blau-Lichtfallen‘, im Laufe der Evolution gar nicht – oder rück-gebildet worden wären. Andernfalls erlitten foveale S-cones zentral gebündeltem potentiell phototoxischem Licht im Laufe der langen Lebenserwartung des Menschen unvermeidlich Lichtschäden.

Obwohl in der Natur offenbar „weise eingerichtet“, kümmert dies die Technik wenig. „Blue-enriched-white-glare“ scheint sich als Qualitätsmerkmal verkaufen zu lassen. Auch wenn mit gelbem Licht das Kontrastsehen (ohne ‚blue blur‘) signifikant besser ist, Blendung und Ablenkung geringer sind, potentielle retinale Lichtschäden später bis möglicherweise gar nicht auftreten, läuft die Entwicklung weiter in die falsche Richtung. Licht-Hygiene ist auch in der Medizin noch immer ein Fremdwort, für die Technik – kein Vorwurf! – umso mehr.

Epilog:

Informationsaustausch, interdisziplinärer Dialog und Öffentlichkeitsarbeit sind erforderlich. Kinder und Jugendliche, ausgeliefert einer aggressiven Werbungsmaschinerie, nehmen deren Botschaft auf und geben sie nicht selten ungefiltert – kaum bewusst – weiter, auch an kommende Generationen – via Epigenetik.

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