Concept Ophthalmologie 02 / 2015: Gastautor: Prof. Dr. Peter Heilig: „Prophylaxe durch Lichthygiene“

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Concept Ophthalmologie 02 / 2015

Prophylaxe durch Lichthygiene

Lichthygiene wird immer mehr zum Desideratum. „Verirrte“ grelle, überdosierte Lichtstrahlen lenken ab, blenden und irritieren wie nie zuvor(1). Ein Zurück zur Natur sinnesphysiologischer, kognitionspsychologischer und chronobiologischer Erfordernisse ist längst indiziert. Von Prof. Dr. Peter Heilig.

Prophylaxe durch Lichthygiene

Ganz oben in der Liste prophylaktischer Empfehlungen steht ein Begriff, die Blendung, welche seit jeher im Sinne von Strafe oder Folter Blindheit, passager oder permanent, verursacht(2). Blendung durch überdosiertes Kunstlicht muss konsequent vermieden werden.

Dies gilt in besonderem Maße für Lichter in Straßenverkehrsszenarien.

Bedenkenlos und gedankenlos wurde dennoch die Intensität von KFZ-Scheinwerfern, Tagfahrlichtern etc. gesteigert. So gut wie alle modernen Exemplare dieser Kategorien irritieren und blenden. Mittlerweile klagen sämtliche befragten Patienten über grob störende bis unerträgliche Blendungen im Straßenverkehr. Die Intensität von Blaulichtern der Einsatzfahrzeuge, von Warnlichtern, aber auch Ampeln usw. liegt schmerzlich weit über dem erforderlichen Maß.

Intensität und Spektren

Unerwünschter Lichtstress macht sich in zunehmendem Maße auch in Innenräumen bemerkbar. Vergleichbar schädlichen Lärmauswirkungen auf Psyche und Soma(3) wirken sich unphysiologisch helle Kunstlichtquellen ebenfalls ungünstig aus. Blaulichtwecker(4) jagen gnadenlos frühmorgens Stresshormone in die Höhe(5).


Illustration: P. Heilig

Die Mode gewordenen gleißend kaltbläulichweißen Innenraumbeleuchtungen sorgen für weitere „Bursts“ von ACTH, Glucocorticoiden und Adrenalin(6). Sie schrauben, so sagt man, die Vigilanz auf ein höheres Niveau und setzen, das wäre sehr zu hoffen, auf Dauer keine bleibenden Schäden an sensiblen kardiovaskulären und metabolischen Systemen des Homo sapiens.

Die Frage der Dosierung lässt sich nicht über das indolente (schmerzunempfindliche) Messgerät der Lichttechniker klären; das Veredictum wäre eher im Empfinden der in dieser Beleuchtung Tätigen und Betroffenen zu suchen. Chronisch brennende und schmerzende Augen etc. „seit der neuen Beleuchtung“ lassen auf Licht-Überdosierung schließen. Hoher Blauanteil der Innenraum-Beleuchtung mag vielleicht die Arbeitslust steigern, tut dies wahrscheinlich aber à la longue auf Kosten gestörter Homeostase und circadianer Rhythmen.

Überdosiertes Licht ist unphysiologisch –

und im schlimmsten Fall phototoxisch

• Keinesfalls soll Licht von außen in Schlafräume eindringen (Light Trespassing); auch geringe Lichtmengen können Chronodisruption samt unerwünschter Folgen verursachen(7).

• Lichtwerbung (cave „dynamisch“, blinkend etc.) darf nicht irritieren und ablenken (v.a. im Straßenverkehr), ihre Lichtintensität muss möglichst niedrig dosiert werden.

• Tagfahrlicht (Daytime Running Light, DRL) kann die Gesamt- Verkehrssicherheit nicht verbessern; andere Verkehrsteilnehmer (Kinder am Zebrastreifen etc.) werden durch DRL stärker gefährdet(8). Isotropie (Licht scheint in alle Richtungen oder strahlt in die Augen der Fahrer des Gegenverkehrs – siehe Werbung). Fehlende Diffusoren über HI-LEDLichtquellen, kalt-weiß-stechend, zu hohe Intensität (über
dem gesetzlichen Limit, vor allem nachträglich eingebaute Super-Produkte) – cui bono?

• Krabbelstuben, Kindergärten, Altersheimen, Pflegeheimen etc. wäre wärmeres Licht zu wünschen. Die Augen der ganz Jungen und der Alten bedürfen des Schutzes vor energiereichem bläulich-intensivem Licht. Der Trend zu aggressivem, kaltweißem Licht wird hoffentlich eines Tages in Vergessenheit geraten sein. Das überdosiert-intensive kurzwellige Ende des Spektrums (<~ 450 nm) wäre durchaus entbehrlich.

• Freizeit und Sport: Kunstlicht darf weder ablenken (Inattentional Blindness, Perceptual Blindness und verwandte Phänomene) noch blenden(9).

• Dauerlicht in Gärten schadet Flora und Fauna und hält nächtlich-ungebetene Besucher kaum von ihrem Vorhaben ab (10).

• Straßenbeleuchtung: Das Optimum wären Full-Cut-Off- Leuchten mit null UV-Emission, wenig Blauanteil im Gesamtspektrum.

Kein verirrter Lichtstrahl dürfte über die Horizontale nach oben gelangen; Fahr- und Gehwege sollten entsprechend ausgeleuchtet werden.

• Die Energie-Sparlampe: obsolet – ausgebrannte Lampen gehören in den Sondermüll (etwa 70 % dieser Hg-haltigen Produkte landen allerdings im Restmüll).

• Gesetzliche Regelung: Slowenien war das erste Land mit einem „Light-Pollution“-Gesetz. Überflüssig-störende Lichtquellen in der Dämmerung und bei Nacht wären abzuschaffen und ein verbindliches Aus für Kunstlicht bei Tage anzuordnen, vor allem das Aus für Tagfahrlichter (DRL) von Kraftfahrzeugen(8,11,12).

Das Tagfahrlicht verstößt gegen The Convention Concerning The Power of Authority; The Law in Respect of the Protection of Infants (1969); The Bond of Protection; The Principle of Equality; Declaration of Human Rights (1948) Article 3;

The Laws of Logic; Public Ethics and Morals. „Eine EUTagfahrlicht-Richtlinie wäre schwerlich mit der Erklärung der Rechte des Kindes von 1959 in Einklang zu bringen, nach der Kinder besonderen Schutz genießen. Auch Art. 2 Abs. 1 des Internationalen Paktes vom 19.12. 1966 über bürgerliche und politische Rechte räumt jedem Kind das Recht auf diejenigen Schutzmaßnahmen durch die Gesellschaft und den
Staat ein, die seine Rechtsstellung als Minderjähriger erfordert.

Eine Gefährdung insbesondere von Kindern durch das zwingende, staatlich angeordnete Fahren mit Taglicht könnte diesen Schutzpflichten und -rechten widersprechen“ (Attorney- at-Law Dr. G. G. Sander, M.A., Mag. rer. publ.).

Lichthygiene könnte unerwünschte Gewöhnungen an immer höhere, unphysiologische Lichtintensitätsniveaus verhindern.

„Zeitgeberhygiene“ ließe zusätzlich auf einen etwas behutsameren Umgang mit chronobiologischen Erfordernissen hoffen (13). Auch die zu befürchtende epigenetische Prägung im Sinne weiterer Dosissteigerungen der Droge Licht blieben nächsten Generationen erspart (14).

Literatur

1. Heilig P Überdosis Licht (2015) Concept Ophthalmologie 02, 16-18

2. Der Große Duden. Bd 7.Die Etymologie der deutschen Sprache

3. Basner M, Babisch W, Davis A, et al. Auditory and non-auditory effects of noise on

health. Lancet. 2014;383(9925):1325-32.

4. Heilig P. Light Pollution. Spektrum Augenheilkd 2010; 24: 267-270

5. Lightman SL, Conway-Campbell BL (2010) The crucial role of pulsatile activity of the HPA

axis for continuous dynamic equilibration, Nat Rev Neurosci. 11(10):710-8.

6. Scheff JD et al (2012) Transcriptional implications of ultradian glucocorticoid secretion in

homeostasis and in the acute stress response. Physiological Genomics 44 (2) 121-129

7. www.darksky.org/assets/documents/is076.pdf

8. www.lightmare.org/

9. www.yale.edu/perception/Brian/refGuides/IB.html

10. www.dec.ny.gov/pubs/60017.html

11. www.hellenot.org/

12. http://darksky.org

13. Erren et al. (2014) Chronobiology and competitive sports: recent studies and future

perspectives. Chronobiol Int.31(5):746-747.

14. Jablonka E, Lamb MJ (2005) Evolution in Four Dimensions: Genetic, Epigenetic, Behavioral

and Symbolic Variation in the History of Life. MIT Press.

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