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„1. Weltkrieg & Medizin“ [21]: Militärärztliche Narrative im Kriegsjahr 1915

Militärärztliche Narrative im Kriegsjahr 1915

Anfang 1915 erschienen in den militärärztlichen Zeitschriften erstmals Berichte und Reflexionen von Militärärzten über deren in den Monaten seit Kriegsausbruch unmittelbar erfahrenen Erlebnissen von ihren Einsätzen an den Kriegsschauplätzen im Nordosten und Südosten der Monarchie. Diese Berichte stellen in mehrfacher Weise eine subjektive Textsorte dar. Teilweise enthielten sie bereits kritische Diskurse über den Krieg, wie wir sie sonst erst häufiger aus der zweiten Kriegshälfte kennen: diese inkriminierenden Textstellen fielen häufig den militärbehördlichen Zensurstellen zum Opfer. Andere Autoren wiederum versuchten weiterhin jene seit August 1914 herrschende, geforderte und geförderte Kriegseuphorie und Kriegsbereitschaft zu tradieren. Die Texte widerspiegeln jedoch auch unter diesen Filtern die massive Beanspruchung der militärärztlichen Versorgung, den zunehmenden Mangel an Ressourcen und die Bruchstellen zwischen den gewonnenen Kriegserfahrungen mit jenen noch zu Kriegsbeginn formulierten Erwartungen.

Im März 1915 wurde von einem nicht namentlich genannten Autor und Landsturmarzt, der auch den Ort seiner Erlebnisse nicht zu nennen beabsichtigte, ein Bericht publiziert, der, trotz massiver Eingriffe durch Unkenntlichmachung breiter Textpassagen seitens der Zensur, Kritik an der Versorgung der Verwundeten und der Ausstattung der Armee übte: vor allem aber ein realistisches Bild des Krieges zu zeichnen versuchte.

Marodenvisite im Felde. Betrachtungen eines Landsturmarztes, in: Der Militärarzt, 13.3.1915, Nr. 5, S. 80-84.

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Jenny Adler-Herzmark berichtete im Juli 1915 über ihre Arbeit als Chefärztin in der Isolierabteilung im k.u.k. Reservespital Nr. 6 in Wien XII, Ruckergasse 40 über Fleckfieberfälle und Entlausungsmethoden, Der Militärarzt, Nr. 16, 10.7.1915, S. 257-262.

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Bild 1: Der Militärarzt, Nr. 16, 10.7.1915, S. 259.

Jenny Adler-Herzmark (*1877 Riga/Russland [heute Lettland], +1950 USA) studierte zunächst als eine der ersten Frauen in der Schweiz Medizin, ab 1901 setzte sie ihr Medizinstudium in Wien fort, und schloss 1904 das Studium in Zürich mit der Dissertation „Zur Kasuistik der Nebenverletzungen bei Laparotomien“ ab. Während des Ersten Weltkrieges arbeitete sie als Ärztin im Reservespital Nr. 6 in Wien. Nach dem Krieg übte sie den Beruf einer Gewerbeärztin und Arbeitsinspektorin in Wien aus und engagierte sich in der Sozialdemokratischen Partei. Ihre zahlreichen Veröffentlichungen bezogen sich auf ihre gewerbeärztliche Arbeit, mit den Schwerpunkten Gewerbehygiene und Arbeiterschutz.

Jenny Adler-Herzmark, Bericht des Amtsarztes der Gewerbe-Inspektion, 1927, 1929, (Zweigbibliothek für Geschichte der Medizin, Sign. 18.226/1,2)

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Sie arbeitete nach dem Krieg auch als Funktionärin in sozialdemokratischen Frauenorganisationen und war Gründerin und Funktionärin im „Jüdischen Frauenbund für Deutsch-Österreich“. Seit 1909 war sie mit dem sozialdemokratischen Theoretiker und Sozialphilosophen Max Adler (*15.1.1873 Wien, +28.6.1937 Wien) verheiratet mit dem sie 1919 gemeinsam mit weiteren Pädagogen unter der Federführung von Max Winter (*9.1.1870 Tárnok/Ungarn, +11.7.1937 Hollywood/USA) und Otto Felix Kanitz (*5.2.1894 Wien, +29.3.1940 KZ Buchenwald) die bekannte Erzieherschule im Schloss Schönbrunn gründete, wo sie auch als Lehrerin in der „Kinderfreundeschule Schönbrunn“ tätig war. Nach dem „Anschluss“ im März 1938 flüchtete sie 1939 auf Grund der rassischen Verfolgung durch die Nationalsozialisten nach Frankreich und danach in die USA. Aus der Ehe mit Max Adler stammen zwei Kinder: Leonore Adler, verheiratete Suschitzky (geb. 1910); sie flüchtete 1938 nach Großbritannien und Robert Adler (*4.12.1913 Wien, +15.2.2007 Boise/USA), der 1939 nach Großbritannien und 1940 in die Vereinigten Staaten von Amerika emigrierte.

In den Monaten März und April 1915 veröffentlichte der Assistent an der Wiener chirurgischen Universitätsklinik, Fritz Demmer, in vier Aufsatzteilen seine Erfahrungen als Leiter der Chirurgengruppe (Hochenegg) vom Kriegsschauplatz im Nordosten der Monarchie in Galizien und der Bukowina. Hier erlitt die österreichisch-ungarische Armee von Herbst 1914 bis Winter 1914/15 eine Reihe von Niederlagen, die zur Folge hatten, dass Ostgalizien und Mittelgalizien bis wenige Kilometer vor Krakau unter russische Besatzung fielen.

Demmer Fritz, Erfahrungen einer Chirurgengruppe im österreichisch-russischen Feldzuge 1914/15 (1. Teil), in: Medizinische Wochenschrift, Nr. 12, 20.3.1915, S. 515-520.

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Demmer Fritz, Erfahrungen einer Chirurgengruppe im österreichisch-russischen Feldzuge 1914/15 (2. Teil), in: Medizinische Wochenschrift, Nr. 13, 27.3.1915, S. 555-562.

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Bild 2: Wiener Medizinische Wochenschrift, Nr. 13, 27.3.1915, S. 558.

Demmer Fritz, Erfahrungen einer Chirurgengruppe im österreichisch-russischen Feldzuge 1914/15 (3. Teil), in: Medizinische Wochenschrift, Nr. 14, 3.4.1915, S. 591-598.

http://anno.onb.ac.at/cgi-content/anno-plus?aid=wmw&datum=1915&size=45&page=306

Demmer Fritz, Erfahrungen einer Chirurgengruppe im österreichisch-russischen Feldzuge 1914/15 (4. Teil), in: Medizinische Wochenschrift, Nr. 15, 10.4.1915, S. 626-637.

http://anno.onb.ac.at/cgi-content/anno-plus?aid=wmw&datum=1915&size=45&page=323

Im Mai 1915 publizierte Fritz Demmer einen Vortrag – gehalten vor Truppenärzten – unter dem Titel: Ein Bericht aus „dem Felde“ von Fritz Demmer, Assistent der Wiener chirurgischen Universitätsklinik v. Hochenegg. (Ein Bericht aus der k.u.k. mobilen Feldchirurgengruppe der Wiener Universitätsklinik GStA. v. Hochenegg, zugeteilt der I. Armee), in: Der Militärarzt, Nr. 12, 22.5.1915, S. 185-198.

http://anno.onb.ac.at/cgi-content/anno-plus?aid=dma&datum=1915&size=45&page=99

Ebenfalls von Demmer erschien 1915 im Perles-Verlag eine Monografie: Erfahrungen einer Chirurgengruppe im Österreichisch-russischen Feldzuge 1914/1915, Wien 1915.

Fritz Demmer (*6. 4.1884 Wien, +13.6.1967 Wilhelmsburg/Niederösterreich) war nach Absolvierung seines Studiums an der Medizinischen Fakultät der Universität Wien (Promotion 1910) von 1910 bis 1921 Assistent an der 2. Chirurgischen Klinik der Medizinischen Fakultät Wien unter Julius von Hochenegg, bei dem er sich auch 1920 habilitierte (1932 a.o. Prof.). Als Militärarzt schuf er während des Ersten Weltkriegs die mobile Feldchirurgie und führte die vereinfachte Asepsis der Hände mit desinfizierten Gummihandschuhen ein. Zwischen 1923 und 1935 leitete er die Chirurgische Abteilung des Krankenhauses der Barmherzigen Brüder in Wien. Aus dieser Zeit stammen die Schriften:

Krankengeschichten der I. Chirurgischen Abteilung des Krankenhauses der Barmherzigen Brüder in Wien II unter Primarius Dozent, bzw. ab 1932 Prof. Dr. Fritz Demmer, Jg. 1925/1-1935/2, Wien 1925-1935. (Zweigbibliothek Geschichte der Medizin, Sign. I 55.699)

http://webapp.uibk.ac.at/alo_cat/card.jsp?id=8599659&pos=0&phys=

1935 wurde er nach Tirana berufen, wo er drei Monate als Chefchirurg am Residenzspital arbeitete und an der Reorganisation des Sanitätswesens mitwirkte. 1935 bis 1940 leitete Demmer die Allgemeine Poliklinik. Von 1940 bis Jänner 1941 war er „kommissioneller Leiter“ der Chirurgischen Abteilung des Kaiser-Franz-Joseph-Spitals sowie zwischen 1941 und dem Kriegsende 1945 leitender Oberstabsarzt des Standortlazaretts in Wien. Von 1945 bis 1950 leitete Demmer die Chirurgische Ambulanz des Ambulatoriums der Wiener Gebietskrankenkasse sowie die chirurgische Abteilung im Sanatorium Hera.

Der k.k. Regimentsarzt August Richter, der vor dem Krieg als Arzt im Sanatorium Purkersdorf/Niederösterreich tätig war, berichtete im Oktober 1915 über seinen fünfmonatigen Einsatz in den sogenannten „Karpathen-Schlachten“ im Winter 1915/15 in Ostgalizien.

Erfahrungen vom Hilfsplatz eines Infanterieregimentes, in: Der Militärarzt, Nr. 26, 30.10.1915, S. 417-423.

http://anno.onb.ac.at/cgi-content/anno-plus?aid=dma&datum=1915&page=215&size=45

Über die Bedeutung von sogenannten Divisions-Sanitätsanstalten zur häufig erst- wie letztmaligen Versorgung von Verwundeten , die in unmittelbarer Näher zur Front eingerichtet waren, schrieb der Regimentsarzt Emil Schwarzkopf, zugeteilt der k.u.k. Divisons-Sanitäts-Anstalt Nr. 24, im November 1915 einen Artikel unter dem Titel: Die Divisions-Sanitäts-Anstalten im Felde, in: Der Militärarzt, Nr. 29, 27.11.1915, S. 465-470.

http://anno.onb.ac.at/cgi-content/anno-plus?aid=dma&datum=1915&page=239&size=45

Über seine Erfahrungen mit Erfrierungen der Truppen im Kriegswinter 1914/15 an der serbischen Front berichtete der Regimentsarzt Dr. Sigmund Stiassny, der zu dieser Zeit als Sanitätschef einer Infanterie-Brigade  in Serbien aktiv war in seinem Aufsatz Zur Prophylaxe der Erfrierungen, in: Der Militärarzt, Nr. 31, 11.12.1915, S. 497-499.

http://anno.onb.ac.at/cgi-content/anno-plus?aid=dma&datum=1915&page=255&size=45

 

Text: Walter Mentzel

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