Keiner
konnte spöttischer herabblicken als Balzac – in seiner Metamorphose als Bronze-Skulptur.
Die Société des Gens de Lettres hatte Auguste Rodin mit einer ehrenvollen Aufgabe betraut: Ein Denkmal wäre zu gestalten, eine überlebensgroße Statue des bedeutendsten Romanciers seiner Zeit. Man schrieb das Jahr 1891. Rodin ging mit Feuereifer ans Werk – nach 18 Monaten sollte das Monument fertig sein. Er vergrub sich jedoch geradezu in Balzacs Literatur und Korrespondenz, reiste immer wieder nach Touraine, in die Heimatstadt des Dichters, befragte Zeitzeugen – er hatte ja Balzac niemals mit eigenen Augen gesehen -, bemühte den Schneider des Poeten und entwarf unzählige Zeichnungen, Skizzen, Ton- und Gips-Skulpturen, verwarf sie aber wieder, bis er nach sieben langen Jahren endlich das für den Guß fertige Modell präsentierte.
Das Komitee, schwer enttäuscht, beauftragte einen anderen Künstler*: ‚Rodins Entwurf sei geradezu ein „Schändung“ und habe nicht die geringste Ähnlichkeit mit Honoré de Balzac.‘
*„Falguière’s ‚Balzac‘ ist ein törichtes Ding, das vielleicht als große Sache hätte durchgehen können, wenn da nicht der von Rodin wäre“ (zeitgenössische Kritik).
Rodin wollte mit allen Mitteln die Persönlichkeit Balzacs, mehr als oberflächliche, nichtssagende Ähnlichkeit zum Ausdruck bringen – Gestalt werden lassen:
„Ich mußte Balzac .. zeigen, atemlos, das Haar in Unordnung, die Augen gedankenverloren auf einen Traum geheftet; ein Genie, das in seinem kleinen Raum Stück für Stück eine ganze Gesellschaft erzeugt, um sie zu stürmischem Leben zu erwecken … einer, der niemals ruht, der die Nacht zum Tag macht“. Als kraftstrotzend trotzigen Titan wollte er ihn darstellen – „moderne Skulpturen müssen (expressiv) übertreiben“, meinte er und –
im poetischen Überschwang des Rainer Maria Rilke: „Und endlich sah er ihn..das Gesicht eines Elementes.. Das war das Schaffen selbst, das sich der Form Balzac’s bediente, um zu erscheinen; des Schaffens Überhebung, Hochmut, Taumel und Trunkenheit..“.
Falsche Bescheidenheit durfte Balzac niemand unterstellen: „Ich suche in der Literatur möglichst viel Platz einzunehmen, damit möglichst wenig Platz für die Dummköpfe übrig bleibt.“
Text-Beispiele aus Balzacs Œuvre : „Ich beschreibe das riesige moderne Ungeheuer (Paris) von allen Seiten. Das ist in allgemeinen Zügen das Spiel, das ich führe. Ich spiegle die ganze Gesellschaft in meinem Kopf wider.“ (Comédie humaine), oder:
„Die sich dort versammelten, waren ohne Ausnahme die kläglichsten Köpfe, die armseligsten Geister, die erbärmlichsten Tröpfe (französ.: lamentable, misèrable, infame etc.) in einer Runde von zwanzig Meilen. Die Politik ergoß sich in wortreichen und leidenschaftlichen Trivialitäten..“ – welch beklemmend prophetisches Bild. . (Verlorene Illusionen I, Die zwei Dichter) –
Wie ein Portrait-Karikaturist hatte sich der Bildhauer bemüht Charakterzüge herauszumeisseln und ‚hinter die Kulissen zu blicken‘ oder besser – auf den ‚Grund der Seele‘ seines Modells zu schauen.
Es „wurde .. zu einer Allegorie der künstlerischen Inspiration. In dieser Hinsicht ist das Werk revolutionär.“ http://www.french-artzzz.net/das-denkmal-fuer-balzac-von-auguste-rodin/
Trotz zahlreicher Angebote verkaufte Rodin († am 17. November 1917 in Meudon) die Skulptur nicht einmal an Freunde. Erst im Jahre 1939 wurde Balzacs mächtiges Monument in Meudon aufgestellt – am Boulevard Raspail, nahe einem berühmten Künstlertreff, dem Café Le Dôme.
Epilog:
Vorausgesetzt, daß sie ihre Betrachter ansprechen, ‚muten‘ wahre Kunstwerke den Bewunderer ‚an‘. Rodins Bronze-Titan tut dies: im ‚Augenblick‘ entsteht ein Dialog; noch nach Jahrzehnten läßt sich dieses unvergessliche Bronze-Antlitz aus dem Gedächtnis abrufen, ganz besonders der Ausdruck, welcher sich mit jedem Blickwinkel und Lichteinfall lebendig zu wandeln scheint.
Anmuten: ‚es berührt mich‘ (Wahrig, Grimm); trefflich Treffendes birgt unser Wort’schatz‘
Gender: beyond
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Katharina und Peter Heilig
VIDEO ON DEMAND: KUNSTLICHT IN UNSEREN AUGEN:
https://youtu.be/k9k_wG5lacA