Wiener Zeitung Interview: „Bücher sind haltbarer als digitale Speicher“
Von Ingeborg Hirsch
„Wiener Zeitung“: Was ist für Sie ein schönes Buch?
Ilse Mühlbacher: Für mich ist ein Buch schön, wenn äußere Gestaltung, Bindung und Haptik mit dem Inhalt übereinstimmen und authentisch mit der Entstehungszeit sind. Zum Glück gibt es heute noch bibliophile Buchbinder, die den Ehrgeiz haben, den Einband passend zum Inhalt zu gestalten.
Harald Albrecht: Für mich ist etwas immer dann schön, wenn ich das Gefühl habe, dass in die Ausfertigung, etwa in Kupferstiche, Initialen und Verzierungen, viel Herzblut hineingeflossen ist. Wir haben ein sechsbändiges entomologisches Werk („Insecten-Belustigung“, 1746-1830) des Begründers der modernen Insektenkunde, August Johann Rösel von Rosenhof. Der war ein begabter Zeichner, dem die Kupferstiche für seine Bücher qualitativ nie gut genug waren. Also hat er auch noch das Kupferstechen erlernt, um seine Bücher mit Illustrationen ausstatten zu können.
Welche Rolle hatte das Buch an fürstlichen Höfen und in Prunkbibliotheken?
Mühlbacher: Bücher waren in Prunkbibliotheken häufig Dekor- und Prestigeobjekte. Jedes Buch, das in Prinz Eugens Bibliothek stand, war nach Fachrichtung unterschiedlich farbig gebunden und trug auf dem Buchrücken die Initialen des Prinzen. Der Prunksaal der Nationalbibliothek war zwar ein öffentlicher Lesesaal, diente aber gleichzeitig der Verherrlichung des Kaisers, bei der auch die Bücher ihre Rolle zu spielen hatten. Bücher erhielten Einbände aus teuren Materialien, wie etwa Leder, Pergament oder Seide, und die sichtbaren Teile des Buchrückens wurden reich vergoldet. In manchen Bibliotheken wurden die besonders wertvollen Einbände vom jeweiligen Bibliotheksdirektor nach seinem Geschmack – manchmal auch mit seinen Initialen – neu gebunden.
„extra“-Mitarbeiterin Ingeborg Hirsch (l.) erfährt von den beiden Bibliothekaren die Geheimnisse der Buch-Aufbewahrung und -Restaurierung.© Robert Wimmer
Albrecht: Der „Hortus Eystettensis“, ein botanischer Prachtband aus dem 17. Jahrhundert mit zahlreichen Kupferstichen, wurde hergestellt, um dem repräsentativen Prunkgarten des Fürstbischofs von Eichstatt ein ebenso repräsentatives Buch zur Seite zu stellen. Das war ein reines Prestigeobjekt. Man muss sich vorstellen, allein der Wert der nicht kolorierten Fassung hat damals dem Jahresgehalt eines gut verdienenden Handwerkers entsprochen. Die farbige Ausgabe war noch um ein Vielfaches teurer. Auch wenn man die aufwändigen Exlibris der Josephinischen Bibliothek betrachtet: Sowohl Buch als auch Exlibris sind Repräsentationsmerkmale.
Wie hat sich die Restaurierung von Büchern im Lauf der Zeit verändert?
Mühlbacher: Früher wurde oft mehr repariert als restauriert. So wurde etwa dem Bucheinband wenig Bedeutung beigemessen – und der einfach im Stil der Zeit durch eine Neubindung ersetzt. Heute bemüht man sich, möglichst viele Originalteile zu erhalten, und es ist wichtig, dass man Neu von Alt unterscheiden kann. Vom Standpunkt der Restaurierung wird heute auf lange Sicht gearbeitet, und es werden nur Materialien eingesetzt, die reversibel sind. Man verwendet meist wasserlösliche Klebstoffe, wie Zellulosekleber oder Reis- und Weizenstärke, die eventuell ohne Schaden für das Original wieder abgenommen werden können.
Albrecht: In den 1940er Jahren hat man begonnen, gerissene Seiten mit Klebestreifen zu reparieren. Man dachte, das sei durchsichtig und völlig unproblematisch. Heute kann es sein, dass man mitten in einem wertvollen Objekt ein Tixo kleben hat. Das Trägermaterial kann man relativ einfach entfernen, aber durch den Klebstoff wird das Papier verbräunt und abgebaut.
„Nur heute lassen wir Licht für Sie herein“: Einblick in die imposante Bibliothek des Josephinums.© Robert Wimmer
Mühlbacher: Sehr häufig verursachen die Klebstoffe von Klebebändern Vergilbungen, die dann langfristig einen Schaden darstellen. Manche Vergilbungen könnte man durch Wässern zumindest teilweise entfernen. Das Papier muss dann aber fachgerecht getrocknet und wieder geleimt werden. Sind Seiten gestempelt, was in Bibliotheken häufig der Fall ist, besteht Gefahr, dass die Stempelfarbe ausläuft.
Albrecht: Stempel in den Bibliotheken waren nichts Böswilliges. Eine Zeitlang war es in vielen Bibliotheken üblich, vor allem Seiten mit Illustrationen, Holzschnitten und Kupferstichen systematisch zu bestempeln, um sie zu entwerten und zu verhindern, dass sie gestohlen und einzeln verkauft wurden. Heute machen wir das nicht mehr. Aber natürlich erhält heute jedes moderne Lehrbuch, das in die Universitätsbibliothek kommt, ein Barcode-Etikett. Irgendwann werden diese Bücher auch alt sein und spätere Generationen sich vielleicht fragen: „Was haben die gemacht? Warum klebt da ein Barcode-Etikett?“
Worauf wird aktuell bei der Restaurierung von Büchern besonders geachtet?
Mühlbacher: Wesentlich ist, dass man möglichst alle Teile erhält, die Aussagen über die Entstehung, die Bindung oder die Herkunft des Buches treffen könnten. Dem hat man über viele Jahre einfach keine Bedeutung beigemessen. Zum Beispiel bei Musikhandschriften wurde Schreibsand zum Trocknen der Tinte verwendet, der noch zum Teil in den Büchern vorhanden ist. Bei der Restaurierung kehrt man als erstes den Sand aus, da der Buchfalz, sozusagen das Gelenk des Buches, gereinigt werden soll. Jetzt gibt es Tendenzen, den Sand auf seine Herkunft zu untersuchen, da sich daraus Rückschlüsse auf den Schreiber oder den Ort der Entstehung ergeben können.
Information
Harald Albrecht ist ausgebildeter Bibliothekar und arbeitet in der Universitätsbibliothek der Medizinischen Universität Wien, der als Sondersammlung die sogenannte „Josephinische Bibliothek“ angehört.