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Rezension: Gerhard Aumüller, Andreas Hedwig (Hg.), „Der zeichnende Medizin-Student und seine Professoren. Die Professoren-Skizzen des Dr. med. Ludwig Justus (1840-1920)“

Autor: Dr. Walter Mentzel

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Keywords: Rezension, Zeichnungen, Portraits, Marburg, Würzburg, Berlin, Wien, Medizingeschichte

Im Jänner 2025 erschien in der von der Hessischen Historischen Kommission Darmstadt und der Historischen Kommission für Hessen herausgegebenen Reihe „Quellen und Forschungen zur Hessischen Geschichte“ der Band 197 unter dem Titel „Der zeichnende Medizin-Student und seine Professoren. Die Professoren-Skizzen des Dr. med. Ludwig Justus (1840-1920)“. Herausgeber und Autoren sind der emeritierte Professor der Anatomie an der Universität Marburg und Autor zahlreicher medizin- und musikhistorischer Arbeiten Gerhard Aumüller und der bis 2024 als Präsident des Hessischen Landesarchivs und Honorarprofessors wirkende Andreas Hedwig. Weitere Beiträge in diesem Band wurden von Reinhard Hildebrand, Andreas Mettenleiter und Irmtraut Sahmland verfasst.

Der Ausgangspunkt dieses Buches ist eine Sammlung von Portraitzeichnungen von Ärzten, die von dem aus einer Marburger Gelehrtenfamilie stammenden Medizinstudenten und späteren praktischen Arztes Ludwig Justi während seines Studiums in den 1860er Jahren angefertigt wurden. Diese Sammlung befindet sich als Konvolut, das neben weiteren Zeichnungen auch seine Vorlesungsmitschriften umfasst, in seinem Nachlass im Marburger Staatsarchiv. Gerhard Aumüller stieß auf diese Sammlung während seiner Recherchen im Marburger Staatsarchiv und entwickelte daraus ein Buchkonzept. Dieses umfasst Justis Biografie, die Rekonstruktion seiner Arbeitsweisen und Arbeitstechniken sowie seines Studienverlaufes an den Medizinischen Fakultäten in Marburg, Würzburg, Berlin und Wien. Anschließend folgt eine umfangreiche Darstellung der Zeichnungen und deren sorgfältige Interpretation unter Einbeziehung der historischen und kulturellen Perspektiven.

Mit diesen Portraitzeichnungen versuchte Justi die charakteristischen Gesten und Eigenschaften der Lehrkräfte auf eine zeichnerisch anspruchsvolle Weise zu präsentieren, wozu er karikierende Elemente integrierte. Dadurch konterkarierte er auch die damals aufkommende Darstellungsweise jener Ärztegeneration, die erstmals einen erheblichen gesellschaftlichen Bedeutungs- und Prestigezuwachs erfuhr. In den kommenden Jahrzehnten sollte sich diese Entwicklung in der Bildsprache der Porträts durch eine Überhöhung und Entrücktheit der dargestellten Personen häufig widerspiegeln.

Die Porträtzeichnungen von Justi beginnen mit der Aufnahme seines Studiums an der Medizinischen Fakultät in Marburg im Mai 1860. Hier porträtierte er vierzehn Professoren, darunter den Pharmakologen Carl Falk (1816-1880), den Anatomen Friedrich Matthias Claudius (1822-1869) und den Professor für Geburtshilfe Rudolf Dohrn (1836-1915). Danach studierte er 1862 und 1863 zwei Semester an der Universität Würzburg, wo er 12 Professoren verewigte, darunter den Anatomen Albert von Kölliker (1817-1905), den Pathologen Rudolf Virchow (1821-1902) und den später an die Medizinische Fakultät in Wien als Nachfolger seines Lehrers Johann Oppolzer berufenen und aus Prag stammenden Pathologen Heinrich Bamberger (1822-1888). Von ihm fertigte Justi gleich fünf Portraitzeichnungen an. An der Universität Berlin hielt er sich in den Jahren 1869 und 1870 auf. Weitere Portraits, die er in Berlin herstellte, weisen auf seine Besuche in den Jahren 1865 und 1867 hin. Insgesamt finden sich 13 portraitierte Professoren wie der Kliniker Ludwig Taube (1818-1876) oder der Chirurg Adolf Heinrich von Bardeleben (1819-1895) in seiner Sammlung. Aus seiner Zeit an der Wiener Medizinischen Fakultät, die er im Frühjahr und Sommer 1869 besuchte, sind 16 Portraits überliefert, und zwar von den Professoren und Sekundarärzten Ferdinand von Hebra (1816-1880), Carl Ludwig Sigmund (1810-1883), Theodor Billroth (1829-1894), Ferdinand von Arlt (1812-1887), Joseph von Skoda (1805-1881), Johann von Oppolzer (1808-1871), Joseph Hyrtl (1810-1894), Josef Gruber (1827-1900), Karl von Patruban (1816-1880), Carl von Rokitansky (1804-1874), Alois Monti (1839-1909), sowie Portraits der Assistenten Ludwig Mauthner (1840-1894), Johann Schnitzler (1835-1893), Moriz Kohn (ab 1871 Kaposi) (1837-1902), Isidor Schnabel (1842-1908) und Markus Funk (1839-1883), die im Stil von Collagen hergestellt wurden. Wie aus seinen Tagebuchaufzeichnungen hervorgeht, war er in Wien vor allem mit Theater- und Museumsbesuchen sowie mit Ausflügen in die Umgebung der Stadt beschäftigt.

Die Mitarbeiter:innen des Bandes haben neben kurzer Abrisse über die von ihm besuchten medizinischen Fakultäten ausführliche biografische Skizzen der porträtierten Personen verfasst, die eine zeitgenössische Kontextualisierung bieten und zur Vertiefung der Bildanalyse beitragen.

Insgesamt bietet die Darstellung eine spannende Einsicht in die Erfahrungen eines Marburger Medizinstudenten während seines Studienverlaufs im deutschsprachigen Raum. Sie beleuchten seine Wahrnehmungen und die visuelle Darstellung einer sich zu dieser Zeit immer mehr spezialisierenden und an Bedeutung gewinnenden Wissenschaftsgemeinschaft.

Rezension: Hubert Kolling (Hrsg.): „Biographisches Lexikon zur Pflegegeschichte. Who was who in nursing history“. Band 11, Hungen: Verlag hpsmedia 2025.

Autor: Dr. Walter Mentzel

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Keywords: Rezension, Biographisches Lexikon, Pflegegeschichte, Medizingeschichte

Anfang 2025 erschien im hpsmedia-Verlag der elfte Band des renommierten und als Standardwerk anerkannten „Biographischen Lexikon zur Pflegegeschichte. Who was who in nursing history“. Die Reihe ist vollständig im Katalog der Universitätsbibliothek der Medizinischen Universität Wien zugänglich. Der Band 11 ist dem Andenken an die 2023 verstorbene deutsche Pflegewissenschafterin und Begründerin der Akademisierung des Pflegeberufes, Ruth Schröck, gewidmet. Herausgeber und Autor ist, wie schon bei den vorherigen Bänden der Reihe, der Pflegehistoriker, Politikwissenschafter und Dozent für Politische Bildung beim deutschen Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben, Hubert Kolling.

Kolling betont in seinem Vorwort die Bedeutung der Pflege im Kontext aktueller Herausforderungen und zukünftiger Aufgaben. Er fordert eine nachhaltige Organisation sowie Professionalisierung der Pflege, die für das Funktionieren unseres Gesundheits- und Pflegesystems von essenzieller Bedeutung für den gesellschaftlichen Zusammenhalt ist, insbesondere im Hinblick auf die demografische Entwicklung. Zudem weist er darauf hin, dass das Beschäftigungswachstum in diesem Bereich überwiegend durch ausländische Fachkräfte getragen wird. Er warnt vor den Folgen eines politischen Rechtsrucks sowie vor den Gefahren migrationsfeindlicher Haltungen, die die zukünftige Anwerbung von Fachkräften negativ beeinflussen könnten.

Der vorliegende Band präsentiert Beiträge von insgesamt zehn Autor:innen aus Deutschland, Island und Rumänien, darunter zahlreiche vom Herausgeber selbst verfassten Biografien. Diese spannen den zeitlichen Bogen von der Frühen Neuzeit bis ins 21. Jahrhundert und bieten – wie schon bei den vorliegenden Bänden – eine fundierte, den Qualitätsansprüchen einer modernen Biografie-Forschung entsprechende hohe Informationsdichte. Besonders hervorzuheben sind die teilweise aufwendig durchgeführten Archivrecherchen, die bei anderen renommierten Lexika-Projekten nur selten in vergleichbarer Qualität zu finden sind. Auf 328 Seiten werden 66 Personen vorgestellt, wodurch die Lexikon-Reihe die Dokumentation von über 1.500 biografischen Einträgen umfasst.

Die bisherige inhaltliche Konzeption wird auch in diesem Band fortgesetzt, indem der Fokus über die eng gefassten Berufsgruppen der Pflegekräfte hinaus erweitert wird, um ein vielfältiges Spektrum an Tätigkeitsfeldern darzustellen und möglichst breit jene Personen einzubeziehen, die für die Professionalisierung sowie die Weiterentwicklung des Pflegeberufes und der Pflegeeinrichtungen von Relevanz sind. Hierzu zählen unter anderem jene Personen, die in Fürsorgeeinrichtungen zunehmend spezialisierte Berufsfelder ausüben, Privatpersonen, die in Umbruchsphasen wie Krieg und Flucht aktiv wurden, Journalist:innen, Theolog:innen, Pflegewissenschaftler:innen, Personen in leitenden Funktionen von Pflege- und Gesundheitseinrichtungen, die diese gegründet und professionalisiert haben; Mediziner:innen, Politiker:innen sowie Autorinnen, die sich in diesem Bereich engagierten.

Neben den geographischen Schwerpunkten im deutschsprachigen Raum (Deutschland, Schweiz und Österreich) werden Persönlichkeiten aus aller Welt vorgestellt. Besonders eindrucksvoll sind jene Beiträge, die die Folgewirkungen der massiven Umbrüche des 20. Jahrhunderts auf die Entwicklung des Pflegeberufs sowie auf die individuellen Arbeits- und Lebensbiografien sichtbar machen.

Ein Beispiel ist die aus Japan stammende Hebamme Natsue Inoue (1898-1980). Ihre Karriere begann mit ihrer Ausbildung zur Hebamme und danach zur Krankenschwester, zunächst eng verbunden mit dem Aufstieg des japanischen Militarismus und der Expansion Japans in Asien (Sachalin). Nach einem Ausbildungsjahr am Bedford Women’s College, einer Einrichtung der University of London, im Fach Pflegewissenschaften, arbeitete sie in Japan im Bereich der Krankenschwesterausbildung am Japanese Red Cross Central Hospital und während des Zweiten Weltkrieges am Ministerium für Gesundheit und Soziales. Nach dem Krieg wurde sie zur ersten Präsidentin der Japanischen Gesellschaft für Hebammen, Krankenpfleger und Angestellte im Gesundheitswesen ernannt, setzte sich für die Integration der japanischen Pflegeorganisation in die internationalen Organisationen wie dem International Council of Nursing (ICN) ein und engagierte sich später als Politikerin für umfassende Reformen des Pflegeberufes und die Professionalisierung dessen in Japan.

Ein weiteres Beispiel für die tiefgreifenden Folgen der politischen Umbrüche der 1930er und 1940er Jahre auf individuelle Lebensläufe, ist Josefine Pöllinger aus Kärnten in Österreich. Nach ihrer Ausbildung zur Hebamme wurde sie im austrofaschistischen Regime wegen illegaler Abtreibungen verurteilt. Während des Nationalsozialismus erfolgte eine erneute Verurteilung wegen illegaler Abtreibung, schwere Kerkerstrafen und ihre Verschleppung ins KZ Ravensbrück. Sie überlebte das Konzentrationslager, doch ihre Spuren verloren sich nach ihrer Rückkehr nach Wolfsberg in Kärnten im Jahr 1945.

Die einzelnen Biografien enthalten hervorgehobene Querverweise, die eine einfache Navigation innerhalb der Lexikonreihe ermöglichen und die inhaltliche Orientierung erleichtern. Ein umfassendes Verzeichnis aller bisher in den Bänden 1 bis 11 behandelten Personen bietet einen guten Überblick. Insgesamt lässt sich das Lexikon sowohl als Nachschlagewerk als auch als Lesebuch benutzen, und leistet neben einen eminent wichtigen Beitrag zur historischen Aufarbeitung und Geschichte des Pflegeberufes und seiner gesellschaftlichen Einbettung, ein hohes Reflexionsniveau hinsichtlich der daraus zu ziehenden Lehren für gegenwärtige und zukünftige Entwicklungen.

Nicht zuletzt ist hervorzuheben, dass die von Hubert Kolling herausgegebene Reihe von ihm vollständig privat und ohne jegliche institutionelle Unterstützung sowie finanzielle Zuwendungen betrieben wird. Sowohl ihm als auch allen, die an seinem Projekt interessiert sind und davon profitieren, wäre es wünschenswert, dass sich Möglichkeiten eröffnen, um eine langfristige und respektvolle Absicherung zu schaffen.