Visuelle Kulturen der Anatomie in Wien. 1900 – 1938

Wir freuen uns Frau Mag. Birgit Nemec zu einem Josephinum – Seminar begrüßen zu dürfen.

Ort: Lesesaal des Josephinum, (Währinger Straße 25, A-1090 Wien)

Zeit: 8.November 2010, 16.00 c.t.

Kontakt: sammlungen@meduniwien.ac.at

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Visuelle Kulturen der Anatomie in Wien. 1900 –1938
 

Im Zentrum meines Dissertationsprojektes steht die Grundidee, anatomische Darstellungsformen als Ausdruck visueller Kulturen der Wissenschaft in der Produktion von Wissen, Sinn und Bedeutung näher zu betrachten. Anatomen und Künstler erarbeiteten im Wien des frühen 20. Jahrhunderts, so die Annahme, in gegenseitiger Beeinflussung verschiedene Visualisierungen, die internationale Prominenz erlangten, und deren verschiedene Funktionen und Bedeutungshorizonte im Kontext nationaler biopolitischer Konzepte zu untersuchen sind. Wir haben es etwa mit anatomischen Atlanten, medizinischen Moulagen, Modellen oder Lehrgrafiken zu tun, die sowohl im Bereich der universitären Anatomie, als auch in Ergänzung dazu, an zahlreichen Orten populärer Verhandlung und Generierung visueller Kulturen der Medizin anzutreffen sind. Ich frage somit nach den visuellen Kulturen der medizinisch-anatomischen Wissens- und Evidenzerzeugung sowie deren Transformationen im Kontext ihrer Popularisierung in Wien und fokussiere hier auf den Zeitraum von 1900 bis 1938.

Hinsichtlich des vorliegenden Quellenmaterials wird untersucht, welche Konzepte von Körperlichkeit und Subjektivität sinnstiftend umgesetzt wurden und in welchem Verhältnis diese zum historisch wandelnden wissenschaftlichen, politischen und kulturellen Kontext standen. Im Anschluss daran behandeln zentrale Forschungsfragen die Wissenserzeugung, Propagierung und Popularisierung durch spezifische Bilder in fachimmanenten und öffentlichen Diskursen. Anatomische Repräsentationen waren in Wien bereits im 18. und 19. Jahrhundert in Wissenschaft und Öffentlichkeit in unterschiedlichen Phasen populär, erfuhren jedoch im frühen 20. Jahrhundert – so meine These – neue Relevanz. Dies zeigt sich in institutionellen Veränderungen sowie der Fülle visueller Darstellungen und deren vielfältige Gebrauchs-Sphären. Weiters wird der Frage nach Transformationsprozessen des Wissens, nach Kontinuitäten und Brüchen im anatomischen Wissensdiskurs, also nach Wandlungen von Wissensformen und politischen, sozialen und dadurch auch symbolischen Ordnungen nachgegangen. Dies ermöglicht wiederum Aussagen über die Erzeugung von Evidenzen sowie über Vorannahmen und Auffassungen von Körperlichkeit, Gesundheit und Krankheit sowie deren wissenschaftsphilosophischen Hintergrund. In einem weiteren Schritt soll die Spezifik und die Singularität der Wiener Bildtradition sowie und die Sinn-Zuschreibungen an Hand verschiedener Medien herausgearbeitet werden. Evidenzbehauptungen an anatomischen Darstellungen werden argumentativ häufig in einem Spannungsfeld von Kunst und Wissenschaft formuliert. Neben einer kulturhistorischen Kontextualisierung und einer Analyse verwendeter visueller Strategien stellen sich hier die Fragen, weshalb es diverse medizinisch bildgebende Verfahren in Ergänzung zur Sektion bedurfte, welche Funktionen die unterschiedlichen Medien, die zur Wissens- und Evidenzgenerierung am Körper gegeneinander antraten, hatten, und weshalb manche in unterschiedlichen Phasen privilegiert wurden.

Die Visualisierung von Körperlichkeit wird hier als kulturelle Praxis verstanden. Die historische Analyse visueller Kulturen der Anatomie in Wien soll so unter anderem ein besseres Verständnis heutiger Formen und Praxen der medizinischen Sichtbarmachung ermöglichen.

Birgit Nemec hat nach einer Ausbildung im Kulturmanagement Geschichte und Kulturwissenschaften in Wien und Rom studiert. Seit 2008 ist sie wissenschaftliche Mitarbeiterin des interdisziplinären corporealities Projekts und seit 2009 als Forschungsstipendiatin am Department und Sammlungen für Geschichte der Medizin der Meduni Wien tätig. Seit Oktober 2010 ist sie Kollegiatin im DKplus Programm Naturwissenschaften im historischen, philosophischen und kulturellen Kontext der Uni Wien. Visiting Fellowship am Department for History and Philosophy of Science der Universität Cambridge (2009), Wissenschaftsstipendium der Stadt Wien (2010). Zu ihren Forschungsschwerpunkten zählen Memory Politik im Stadtraum sowie Visuelle und Materielle Kulturen der Medizin.

Das Team der Abteilung „Department und Sammlungen für Geschichte der Medizin“ freut sich über zahlreichen Besuch!

 
Unser nächster Vortrag: Dipl.Ing. Markus Swittalek,  Josephinum – Ein Denkmal braucht Pflege.
Donnerstag, 18.November 2010, 18.00 c.t.   (im Rahmen vom European Academic Heritage Day)

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