„1. Weltkrieg & Medizin“ [35]: Die „Sterbebücher“ deportierter serbischer Zivilisten aus den Internierungslagern in Neusiedl am See und Neckenmarkt während des Ersten Weltkrieg: Prof. Arthur Schattenfroh.

Die „Sterbebücher“ deportierter serbischer Zivilisten aus den Internierungslagern in Neusiedl am See und Neckenmarkt während des Ersten Weltkrieg: Prof. Arthur Schattenfroh.

Während des Ersten Weltkrieges existierten im heutigen Burgenland – im damaligen ungarischen Komitat Mosony – drei Internierungslager für Zivilisten serbischer Nationalität: und zwar in Neusiedl am See/Nezsider, Neckenmarkt/Sopronnyék und in Frauenkirchen/Bolodogasszony. Diese Lager waren Teil eines weitverzweigten Lagersystems für Zivilinternierte (sogenannte „feindliche Ausländer“), in dem unter anderem tausende Zivilisten serbischer Nationalität infolge der ab Sommer 1914 kontinuierlich erfolgten Außerlandesschaffung von Zivilisten aus dem Balkan untergebracht waren. Weitere Lager in denen serbische und montenegrinische Zivilisten interniert wurden, waren u.a. Doboj in Bosnien – ein Internierungslager mit zirka 46.000 Personen – Arad in Ungarn (heute Rumänien), Braunau in Böhmen (Broumov), Drosendorf und Karlstein im nördlichen Waldviertel, Aschach an der Donau und Mauthausen. In diesen Lagern waren Zivilisten interniert, die im Zuge der militärischen Operationen und der Militärpolitik der k.u.k. Armee in den besetzten Ländern in Bosnien-Herzegowina (in den serbischen Siedlungsgebieten), in Serbien und Mazedonien Opfer der Massendeportationen, der Massenverhaftungen und individuellen Verfolgungen zur Brechung des zivilen Widerstandes (sogenannten „Bandenbekämpfung“ ) wurden. Deren Festhaltung unterlag keinen Gerichtsverfahren und stand außerhalb der Rechtsordnung.

Aus den Lagern in Neusiedl am See/Nezsider, Neckenmarkt/Sopronnyék, die dem Militärkommando Pozsony (Bratislava) unterstanden, sind die sogenannten „Sterbebücher“ erhalten, die neben den Namen der zwischen 1914 und 1918 hier verstorbenen Internierten, Angaben zu deren Heimatorten aus denen sie deportiert worden waren, deren Alter, Beruf und deren Todesursache enthalten.

Das Lager in Neusiedl am See wurde in unmittelbarer Nähe zur Ortschaft (deren Einwohnerzahl 1914 zirka 2.600 Einwohner betrug) errichtet und bestand aus 120 Baracken, in denen durchschnittlich 11.000 Personen gefangen gehalten worden sind. Diese Deportierten kamen vor allem aus den Regionen Belgrad, Cuprjia, Gornji-Milanovac, Negotin, Nis, Valjevo u.a.

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Quelle: Auszug aus dem Sterbebuch Neusiedl am See/Nezsider 1917 – Internierungslager: Burgenländisches Landesarchiv

Jene Deportierten im Internierungslager in Neckenmarkt/Sopronnyék kamen aus den serbischen Siedlungsgebieten im Südosten von Bosnien-Herzegowina aus Gacko, Foca, Visegrad, Trebinje, Srebrenica, Sarajevo, Rogatica, Cajnice, Bileca u.a. Sie wurden mit dem Beginn der Militäroperationen der k.u.k. Armee in Südbosnien und an der Grenze zu Serbien ab dem Jänner 1916 deportiert. Darunter befanden sich zahlreiche Frauen und Kinder – als de facto Geiseln – um die männliche Bevölkerung in Bosnien und Serbien von Widerstandsaktionen abzuhalten.

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Quelle: Auszug aus dem Sterbebuch Neckenmarkt/Sopronnyék 1916 – Internierungslager: Burgenländisches Landesarchiv

Flecktyphus und Fleckfieber:

So wie in zahlreichen anderen Lagern für Internierte, Kriegsflüchtlinge und Kriegsgefangene waren Epidemien und massenhaftes Sterben an der Tagesordnung. Dies war bedingt durch die katastrophalen hygienischen und sanitären Verhältnisse, den Mängeln an den baulichen Maßnahmen, dem Nahrungsmangel, der Überbelegung der Baracken, der fehlenden Beheizung, sowie durch Nässe, Kälte und den Kleidungsmangel. Haupterkrankungen waren Tuberkulose, Cholera, Bauch- sowie Flecktyphus. Vielfach kamen die Deportierten bereits in einem schlechten gesundheitlichen Zustand in die Lager, da sie oft wochenlang im sogenannten Etappengebiet hinter der Front unter desolaten hygienischen Zuständen der Verwahrlosung preisgegeben, lebten, und erst als sie für die Armee eine akute Seuchengefahr darstellten, deportiert wurden. Als Lagerarzt in Neusiedl am See/Nezsider arbeitete der Offiziersarzt Dr. Armin Grünfeld. Hier kam es erstmals im Frühjahr 1915 zum Ausbruch von Flecktyphus und Fleckfieber. Bis Kriegsende kamen zirka 5.000 serbische Zivilinternierte im Lager ums Leben. Die Verstorbenen wurden in Einzelgräbern und 117 Massengräbern bestattet.

Oberstabsarzt Arthur Schattenfroh war während des Krieges als Hygieniker in beratender Funktion in der für das Militärsanitätswesen zuständigen 14. Abteilung im k.k. Kriegsministerium tätig. In dieser Funktion inspizierte er die verschiedenen Gefangenenlager der Monarchie, fertigte Berichte darüber an, und wirkte bei den Regelungen der sanitären und baulichen Verhältnisse mit. Darunter finden sich auch seine Berichte über die Inspektionen des Lagers in Neusiedl aus dem Jahre 1915.

Arthur Schattenfroh (*27.10.1869 Salzburg, gest. 12.10.1923 Wien) war Hygieniker und Bakteriologe. Er studierte ab 1887 an der Medizinischen Fakultät der Universität Graz, wo er 1893 promovierte, und dazwischen in Straßburg und in Wien. Danach arbeitete er bei dem Pathologen Richard Paltauf (*9.2.1858 Judenburg/Steiermark, gest. 21.4.1924 Semmering) in Wien. Im Jahr 1896 kam er als Assistent zu Maximilian Gruber (*1853 Wien, gest. 16.9.1927 Berchtesgaden/Deutschland) an das Hygiene-Institut der Medizinischen Fakultät der Universität Wien. 1898 habilitierte er sich und wurde zum Priv. Doz. für Hygiene, 1902 zum ao. Prof. und 1905 zum o. Prof. und zum Vorstand des Institutes ernannt. 1908/09 und 1915-1918 fungierte er als Dekan der Medizinischen Fakultät der Universität Wien.

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Quelle: Österreichs Illustrierte Zeitung, 20.6.1915.

In seinen wissenschaftlichen Forschungsarbeiten beschäftigte er sich mit bakteriologischen Fragen und der Immunitätslehre. Darüber bekleidete er Funktionen im Niederösterreichischen Landessanitätsrat, danach im Obersten Sanitätsrat und ab 1906 in der Unfallverhütungskommission, weiters ab 1910 im Lebensmittelbeirat. Ab 1905 war er Vorstand der staatlichen Untersuchungsanstalt für Lebensmittel und in der Ausbildung der Amtsärzte tätig.

Literatur von Arthur Schattenfroh aus der Zweigbibliothek für Geschichte der Medizin (eine Auswahl):

Über die bacterien-feindlichen Eigenschaften der Leucocyten (Habilitationsschrift), München 1897.

(Zweigbibliothek für Geschichte der Medizin SA 2.879)

[http://webapp.uibk.ac.at/alo_cat/card.jsp?id=8638157&pos=12&phys=]

Über die Neuerungen in der Beleuchtungstechnik und deren hygienische Beurtheilung. Vortrag, gehalten in der Österreichischen Gesellschaft für Gesundheitspflege am 10. März 1897, in: Monatsschrift für Gesundheitspflege, H. 7-8, 1897.

(Zweigbibliothek für Geschichte der Medizin SA 2.886)

[http://webapp.uibk.ac.at/alo_cat/card.jsp?id=8638167&pos=21&phys=]

Über hitzebeständige bactericide Leukocytenstoffe, in: Münchner medizinische Wochenschrift, Nr. 35. 1898, S. 7.

Zweigbibliothek für Geschichte der Medizin – Separatasammlung

[http://webapp.uibk.ac.at/alo_cat/card.jsp?id=8457626&pos=0&phys=]

Weitere Untersuchungen über die bacterienfeindlichen Stoffe der Leukocyten, in: Archiv für Hygiene, Bd. 35, H. 2, 1899.

(Zweigbibliothek für Geschichte der Medizin SA 2.887)

[http://webapp.uibk.ac.at/alo_cat/card.jsp?id=8638177&pos=30&phys=]

Über Rauschbrand, in: Thierärztliches Centralblatt, Nr. 23 vom 10. August 1902.

(Zweigbibliothek für Geschichte der Medizin SA 2.865)

[http://webapp.uibk.ac.at/alo_cat/card.jsp?id=8638168&pos=22&phys=]

Untersuchungen in einer Grundwasserversorgungs-Anlage, Wien 1903.

(Zweigbibliothek für Geschichte der Medizin SA 2.881)

[http://webapp.uibk.ac.at/alo_cat/card.jsp?id=8638176&pos=29&phys=]

Die hygienischen Einrichtungen Wiens. Vortrag, gehalten den 10. Dezember 1902, in: Vorträge des Vereines zur Verbreiterung naturwissenschaftlicher Kenntnisse, Wien H. 2, 1903.

(Zweigbibliothek für Geschichte der Medizin 9.228/43,2)

[http://webapp.uibk.ac.at/alo_cat/card.jsp?id=8638158&pos=13&phys=]

Neue Wasserreinigungsverfahren, Vortrag gehalten am 9. Dezember 1903, in: Vorträge des Vereins zur Verbreiterung naturwissenschaftlicher Kenntnisse in Wien, H. 3, 1904.

(Zweigbibliothek für Geschichte der Medizin 9.228/44,3)

[http://webapp.uibk.ac.at/alo_cat/card.jsp?id=8638179&pos=32&phys=]

Moderne Tuberkulosebekämpfung. Vortrag, gehalten den 16. November 1904, in: Vorträge des Vereines zur Verbreiterung naturwissenschaftlicher Kenntnisse, Wien H. 7, 1905.

(Zweigbibliothek für Geschichte der Medizin 9.228/45,7)

[http://webapp.uibk.ac.at/alo_cat/card.jsp?id=8638175&pos=28&phys=]

Antitoxische und antiinfektiöse Immunität, Wien 1905.

(Zweigbibliothek für Geschichte der Medizin SA 2.863)

[http://webapp.uibk.ac.at/alo_cat/card.jsp?id=8638165&pos=19&phys=]

Die Stellung des Schularztes. Vortrag, gehalten den 8. November 1905, in: Vorträge des Vereines zur Verbreiterung naturwissenschaftlicher Kenntnisse, Wien H. 6, 1906.

(Zweigbibliothek für Geschichte der Medizin 9.228/46,1)

[http://webapp.uibk.ac.at/alo_cat/card.jsp?id=8638173&pos=26&phys=]

Welche besonderen sanitären Verhältnisse kommen in den Fragen des Kinderschutzes und der Jugendfürsorge in Betracht und welche Maßnahmen sind hier in erster Reihe in Anwendung zu bringen? (Gutachten) (= k.k. Hof- und Staatsdruckerei 1907, Schriften des I. Österreichischen Kinderschutzkongresses) Wien 1907.

(Zweigbibliothek für Geschichte der Medizin SA 2.862)

[http://webapp.uibk.ac.at/alo_cat/card.jsp?id=8638180&pos=33&phys=]

Wissenschaftliche Hygiene und öffentlicher Gesundheitsdienst. Vortrag, gehalten am I. Amtsärzte-Kongress in Wien 1909, in: Österreichische Vierteljahreszeitschrift für Gesundheitspflege, H. 1, 1910.

(Zweigbibliothek für Geschichte der Medizin SA 2.880)

http://webapp.uibk.ac.at/alo_cat/card.jsp?id=8638163&pos=17&phys=

Bemerkungen zur Schularztfrage, in: Wiener klinische Wochenschrift, Nr. 29, 1913, S. 4.

(Zweigbibliothek für Geschichte der Medizin SA 2.869)

[http://webapp.uibk.ac.at/alo_cat/card.jsp?id=8638149&pos=4&phys=]

Über die Immunisierung gegen Diphterie mit Toxin-Antitoxingemischen nach Behring, in: Wiener klinische Wochenschrift, Nr. 39, 1913.

(Zweigbibliothek für Geschichte der Medizin SA 2.870)

[http://webapp.uibk.ac.at/alo_cat/card.jsp?id=8638164&pos=18&phys=]

Hygiene des Städtebaues und des Wohnhauses, in: Expertise über Wohnungshygiene. Zeitschrift für öffentliche Gesundheitspflege, H. 2/3, 1914, S. 6-26.

(Zweigbibliothek für Geschichte der Medizin SA 2.873)

[http://webapp.uibk.ac.at/alo_cat/card.jsp?id=8638162&pos=16&phys=]

Das k.k. Ministerium für Volksgesundheit, in Neue Freie Presse, 10.9.1917.

(Zweigbibliothek für Geschichte der Medizin SA 826 a, b)

[http://webapp.uibk.ac.at/alo_cat/card.jsp?id=8638166&pos=20&phys=]

Text:

Walter Mentzel

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